dem Podium des Konsuls aufgespannt hatte. Er gestattete sich nur den Hauch eines fluchtigen Lachelns und setzte dann - Schauspieler, der er war -eine Miene voller Wurde und Autoritat auf, die auch einem romischen Konsul gut zu Gesicht gestanden hatte. Getrennt durch alle anderen Kandidaten, so weit weg von ihm wie nur moglich, stand Catilina. Er sah aus, als hatte man ihm ins Gesicht geschlagen. Nur Hybridas Gesichtsausdruck war nichtssagend - ob das daran lag, dass er wie ublich betrunken war, oder an seiner Dummheit, die ihm verwehrte, das gerade Geschehene zu begreifen, kann ich nicht sagen. Crassus und Caesar hatten lassig miteinander plaudernd an der Stelle gestanden, wo die Wahler nach der Stimmabgabe hinter der Absperrwand hervortraten. Als ich jetzt ihre Gesichter sah, hatte ich am liebsten laut gelacht, so entgeistert schauten sie sich an. Sie besprachen sich kurz, dann machte sich jeder in hochster Eile in eine andere Richtung davon -zweifellos, um nachzuforschen, wie es geschehen konnte, dass zwanzig Millionen Sesterzen nicht ausgereicht hatten, um die
Wenn Crassus tatsachlich die von Ranunculus geschatzten achttausend Stimmen gekauft hatte, hatte das normalerweise genugen mussen, um die Wahl zu seinen Gunsten zu entscheiden. Allerdings war die Wahlbeteiligung dank des gro?en Interesses in ganz Italien in diesem Jahr au?ergewohnlich hoch. Wahrend die Abstimmung voranschritt, wurde immer klarer, dass der Oberbefehlshaber der Stimmeneinkaufer sein Ziel knapp verfehlen wurde. Fest zu Cicero hatten immer der Ritterstand, die Pompeianer und die unteren Schichten gestanden. Mit den aristokratisch kontrollierten Stimmenblocken, die Hortensius, Catulus, Metellus, Isauricus und die Lucullus-Bruder beisteuerten, bekam er von jeder Zenturie, ob als erste oder zweite Praferenz, eine Stimme. Schon bald ging es nur noch darum, wer Ciceros Amtskollege werden wurde. Am Vormittag sprach noch alles fur Catilina. Meinen Notizen zufolge (die ich erst gestern wiedergefunden habe) lautete der Zwischenstand um zwolf Uhr mittags folgenderma?en:
Cicero .............. 81 Zenturien
Catilina ............. 34 Zenturien
Hybrida ............ 29 Zenturien
Sacerdos ............ 9 Zenturien
Longinus............. 5 Zenturien
Cornificius........... 2 Zenturien
Doch dann stimmten die
Cicero ............. 193 Zenturien
Hybrida ........... 102 Zenturien
Catilina ............. 65 Zenturien
Sacerdos .......... 12 Zenturien
Longinus............. 9 Zenturien
Cornificius........... 5 Zenturien
Wir jubelten, bis uns der Hals wehtat. Cicero selbst machte einen vollig geistesabwesenden Eindruck. Das machte mich nervos. Hatte er nicht gerade sein Lebensziel erreicht? Von jetzt an trug er permanent das zur Schau, was ich spater sein »Konsulgesicht« nannte: das Kinn leicht angehoben, der Mund ein entschlossener Strich, den Blick scheinbar auf ein weit entferntes, glorreiches Ziel gerichtet. Hybrida streckte Catilina die Hand hin, die dieser jedoch ignorierte. Stattdessen stieg er wie in Trance vom Podium herunter. Er war ruiniert, bankrott -hochstens noch ein oder zwei Jahre, dann wurden sie ihn auch aus dem Senat werfen. Ich schaute mich nach Crassus und Caesar um. Nichts. Wahrscheinlich waren sie schon vor Stunden gegangen, als Cicero die fur den Sieg erforderliche Anzahl an Zenturien beisammengehabt hatte. Ebenso die Aristokraten, die in der gleichen Sekunde nach Hause gegangen waren, als sie Catilina sicher aus dem Weg geraumt wussten. Wie Manner, die gezwungenerma?en eine unangenehme Pflicht zu erfullen hatten - zum Beispiel den tollwutigen Lieblingsjagdhund toten zu mussen -und jetzt so schnell wie moglich wieder in die stille Behaglichkeit ihres Heims zuruckwollten.
*
Und so gewann Marcus Tullius Cicero im Alter von zweiundvierzig Jahren, dem jungsten erlaubten Alter, das hochste
»Wie hast du es blo? geschafft, Marcus, sie zu uberreden?«, fragte Atticus, der ganz weltlich gesinnt sein konnte, wenn er erst mal genugend guten Wein konsumiert hatte. »Auch wenn du im Umgang mit Worten ein Genie bist, diese Leute haben dich immer verachtet, sie haben praktisch alles verabscheut, was du jemals gesagt hast oder wofur du eingetreten bist. Was hast du ihnen angeboten, au?er dass du Catilina aus dem Weg raumst?«
»Es liegt auf der Hand«, antwortete Cicero, »dass sie mir ein Versprechen abgenommen haben: Wenn Crassus, Caesar und die Volkstribunen ihr Gesetz fur die Landreform einbringen werden, dann ist es meine Aufgabe, den Widerstand dagegen zu organisieren.«
»Keine kleine Aufgabe«, sagte Quintus.
»Das ist alles?«, fragte Atticus. (Ruckblickend bin ich der festen Uberzeugung, dass Atticus damals die Rolle des Anwalts im Kreuzverhor spielte und er die Antwort auf seine Frage bereits gekannt hat, wahrscheinlich von seinem Freund Hortensius.) »Sonst hast du keine Zusagen gemacht? Du hast immerhin mehrere Stunden mit ihnen gesprochen.«
Cicero zuckte leicht mit den Augen. »Nun ja, ich musste mich bereit erklaren«, sagte er zogernd, »als Konsul dem Senat vorzuschlagen, Lucullus und Quintus Metellus ihren Triumph zu bewilligen.«