Jetzt begriff ich endlich, warum Cicero am Morgen nach der Konferenz mit den Aristokraten so grimmig und geistesabwesend gewesen war. Quintus stellte seinen Teller ab und schaute ihn mit unverhohlen angeekeltem Gesichtsausdruck an. »Erst sollst du also das Volk gegen dich aufbringen, indem du die Landreform verhinderst, und dann sollst du dir auch noch Pompeius zum Feind machen, indem du seinen scharfsten Rivalen den Triumph gewahrst?«

»Ich furchte, Bruderherz«, erwiderte Cicero verdrossen, »dass die Aristokraten kaum zu solchem Reichtum gekommen waren, wenn sie nicht beinharte Verhandler waren. Ich habe mich so lange gewehrt, wie es ging.«

»Aber warum hast du mitgespielt?«

»Weil ich gewinnen musste.«

»Aber was gewinnen, was genau?«

Cicero schwieg.

»Es ist doch alles bestens«, mischte sich Terentia ein und tatschelte ihrem Ehemann das Knie. »Ich denke, alle diese Ma?nahmen sind in Ordnung.«

»Dass dir das gefallt, glaube ich«, sagte Quintus erregt. »Aber nach ein paar Wochen im Amt ist Marcus alle seine Anhanger los. Das Volk wird ihm Verrat vorwerfen. Die Pompeianer auch. Und die Aristokraten lassen ihn sofort fallen, wenn er seinen Zweck erfullt hat. Wer bleibt dann noch, der ihn verteidigt?«

»Ich«, sagte Tullia. »Ich werde ihn verteidigen.« Diesmal lachte niemand uber ihr kindliches Treuebekenntnis. Sogar Cicero konnte sich nur ein mattes Lacheln abringen. Doch dann fing er sich wieder.

»Also wirklich, Quintus«, sagte er. »Du verdirbst uns den ganzen Abend. Zwischen zwei Extremen findet sich immer auch ein dritter Weg. Crassus und Caesar mussen aufgehalten werden: Das schaffe ich. Und was Lucullus angeht, wird jeder akzeptieren, dass er fur seine Verdienste im Krieg gegen Mithridates den Triumph hundertmal verdient hat.«

»Und was ist mit Metellus?«, fiel ihm Quintus ins Wort.

»Sicher lasst sich auch an Metellus etwas Lobenswertes finden. Du musst mir nur etwas Zeit lassen.«

»Und Pompeius?«

»Wie wir alle wissen, ist Pompeius lediglich ein ergebener Diener dieser Republik«, erwiderte Cicero mit einer lassigen Handbewegung. »Und was noch wichtiger ist«, fugte er trocken hinzu, »er ist nicht da.«

Kurz herrschte Stille, dann fing Quintus zogernd an zu lachen. »Er ist nicht da«, wiederholte er. »Das ist allerdings wahr.« Und Sekunden spater lachten wir alle; wir konnten einfach nicht an uns halten.

»So gefallt mir das schon besser«, sagte Cicero lachelnd. »Die Kunst des Lebens besteht darin, sich mit Problemen erst dann zu beschaftigen, wenn sie auftauchen, und seine Lebenslust nicht dadurch zu ruinieren, dass man sich schon weit im Voraus daruber den Kopf zerbricht. Vor allem nicht heute Abend.« Und dann glanzte plotzlich eine Trane in einem seiner Augenwinkel. »Wisst ihr, auf wen wir trinken sollten? Wir sollten einen Trinkspruch ausbringen zum Gedenken an unseren geliebten Vetter Lucius. Er war hier mit uns auf dem Dach, als ich zum ersten Mal uber das Konsulat gesprochen habe, und er hatte den heutigen Tag sicher gern erlebt.« Er erhob seinen Becher, und auch wir erhoben unsere Becher, und ich musste unwillkurlich an die letzten Worte denken, die Lucius an Cicero gerichtet hatte: »Worte, nichts als Worte. Hort das denn nie auf mit diesen Praktiken, mit denen du die anderen nach deiner Pfeife tanzen lasst?«

Spater, als alle anderen schon nach Hause oder zu Bett gegangen waren, lag Cicero auf dem Rucken, die Hande hinter dem Kopf verschrankt, auf einer der Liegen und schaute hinauf zu den Sternen. Ich sa? auf der Liege gegenuber und hielt mein Notizbuch bereit fur den Fall, dass er mir noch etwas diktieren wollte. Krampfhaft versuchte ich, die Augen offen zu halten. Ich war fast ohnmachtig vor Mudigkeit. Als mir zum vierten oder funften Mal das Kinn auf die Brust fiel, hob er den Kopf, schaute zu mir heruber und sagte, ich solle mich schlafen legen. »Du musst ausgeruht sein, du bist jetzt der Privatsekretar des designierten Konsuls von Rom. Dein Verstand wird in Zukunft so scharf sein mussen wie dein Stift.« Als ich aufstand, lehnte er sich zuruck und widmete sich wieder der Betrachtung des Himmels. »Wie wird die Nachwelt wohl uber uns urteilen, Tiro?«, sinnierte er. »Das ist fur einen Staatsmann die einzige Frage. Bevor jedoch die Nachwelt ihr Urteil sprechen kann, muss sie erst mal wissen, wer wir uberhaupt waren.« Ich wartete noch eine Zeit lang, aber es kam nichts mehr. Er schien vergessen zu haben, dass ich noch da war. Also ging ich und uberlie? ihn seinen Gedanken.

ANMERKUNGEN DES AUTORS

Auch wenn es sich bei Imperium um einen Roman handelt, so schildert er doch uberwiegend Begebenheiten, die sich wirklich ereignet haben. Der Rest konnte sich zumindest so ereignet haben. Hoffentlich (und da begebe ich mich in die Hande des Schicksals) ist nichts darunter, das sich nachweisbar nicht ereignet hat. Dass Tiro eine Biografie von Cicero verfasst hat, ist belegt durch Plutarch und Asconius. Das Werk ist beim Untergang des Romischen Reiches verloren gegangen.

Den gro?ten Dank schulde ich der neunundzwanzigbandigen Ausgabe von Ciceros Reden und Briefen in der bei Harvard University Press erschienenen Loeb Classicai Library. Eine weitere unschatzbare Hilfe war mir The Magistrates of The Roman Republic, Volume II, 99 B.C.31 B.C. von T. Robert S. Broughton, veroffentlicht von der American Philological Association. Des Weiteren verneige ich mich vor Sir William Smith (18131893), dem Herausgeber des Dictionary of Greek and Roman Biography and Mythobgy, des Dictionary of Greek and Roman Antiquities und des

Dictionary of Greek and Roman Geography - drei gewaltige und unubertroffene Monumente humanistischer Bildung aus viktorianischer Zeit. Naturlich habe ich noch viele andere Arbeiten neueren Datums zurate gezogen, die ich zu gegebener Zeit wurdigen werde.

R. H., 16. Mai 2006

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