was ich aber nicht verstehen konnte. In diesem Augenblick wurde mir zum ersten Mal bewusst, wie nahe die beiden sich im Lauf der Jahre gekommen waren: Aus der Zweckheirat war inzwischen eine au?ergewohnliche Partnerschaft geworden.

So viele Menschen drangten sich im Haus, dass Cicero Muhe hatte, sich seinen Weg vom Tablinum ins Atrium zu bahnen, wo Quintus, Frugi und Atticus mit einer ansehnlichen Zahl von Senatoren auf ihn warteten. Zu denen, die ihre Unterstutzung fur Cicero demonstrieren wollten, gehorten sein alter Freund Servius Sulpicius; der namhafte Rechtsgelehrte Gallus, der eine eigene Kandidatur abgelehnt hatte; der altere Frugi, dem er naturlich auch familiar verbunden war; Marcellinus, der ihn seit dem Verres-Prozess immer unterstutzt hatte; sowie viele Senatoren, die er vor Gericht vertreten hatte: Cornelius, Fundanius, Orchivius und auch Fonteius, der korrupte Exstatthalter von Gallien. Wahrend ich mich im Schlepptau Ciceros durch die uberfullten Raume kampfte, wurde ich immer wieder an Ereignisse aus den vergangenen zehn Jahren erinnert, so viele Protagonisten aus schon fast vergessenen Gerichtssaalschlachten liefen mir uber den Weg. Sogar Popillius Laenas, dessen Neffen Cicero am Tag von Sthenius' Ankunft in Rom vor einem Schuldspruch wegen Vatermordes bewahrt hatte, war gekommen. Die Atmosphare glich eher einem Familientreffen als einer Wahlveranstaltung, und Cicero war wie immer bei solchen Anlassen in seinem Element: Ich bezweifle, dass es auch nur einen Sympathisanten gab, dem er nicht die Hand schuttelte und mit dem er nicht einen zumindest so ausfuhrlichen Plausch hielt, dass hinterher jeder das Gefuhl hatte, eine spezielle personliche Behandlung erfahren zu haben.

Kurz bevor wir das Haus verlie?en, nahm Quintus seinen Bruder beiseite und fragte ihn - ziemlich verargert, wenn ich mich recht erinnere -, wo um alles in der Welt er die ganze Nacht gewesen sei, es hatte nicht viel gefehlt und er hatte ihn suchen lassen. Angesichts der vielen Leute sagte Cicero leise, dass er ihm spater alles erzahlen wurde. Das krankte Quintus nur noch mehr. »Was glaubst du, wer ich bin?«, fragte er. »Dein Dienstmadchen? Erzahl's mir sofort!« Und so berichtete ihm Cicero in kurzen Worten uber den Ausflug zu Lucullus' Palast und sein Gesprach mit Metellus, Catulus, Hortensius und Isauricus.

»Die ganze Patrizierbande«, murmelte Quintus aufgeregt. Seine Gereiztheit war schlagartig verflogen. »Bei allen Gottern, wer hatte je so was gedacht? Und bekommen wir ihre Unterstutzung?«

»Stundenlang haben wir diskutiert, aber am Ende wollten sie sich nicht festlegen, bevor sie nicht mit den anderen gro?en Familien gesprochen hatten«, sagte Cicero, der sich immer wieder nervos umschaute, ob auch niemand sie belauschte. Aber es herrschte so viel Trubel, dass seine Sorge unbegrundet war. »Ich glaube, Hortensius hatte sofort Ja gesagt. Catulus war instinktiv dagegen. Die anderen werden schlie?lich das tun, was ihnen am nutzlichsten erscheint. Wir mussen einfach abwarten.«

Atticus, der sich zu uns gesellt und alles mitgehort hatte, sagte: »Aber die Echtheit des Protokolls haben sie nicht angezweifelt, oder?«

»Nein, ich glaube nicht. Das haben wir Tiro zu verdanken. Wir reden spater weiter. Jetzt will ich eure zuversichtlichsten Gesichter sehen, schlie?lich haben wir eine Wahl zu gewinnen.« Und dann druckte er jedem von uns der Reihe nach die Hand.

Wohl selten hat ein Kandidat ein grandioseres Spektakel geboten als Cicero an jenem Tag auf dem Fu?marsch zum Marsfeld. Das gro?te Verdienst daran gebuhrte zweifellos Quintus. Unsere Parade umfasste drei- bis vierhundert Personen: Musiker, junge Burschen, die mit Bandern geschmuckte Zweige trugen, Madchen, die Rosenblatter streuten, Ciceros Schauspielerfreunde, Senatoren, Ritter, Geschaftsinhaber, Standbesitzer von den Markten, regelma?ige Zuschauer aus den Gerichtshofen, Vertreter der Zunfte, Gerichtsschreiber, Reprasentanten von romischen Gemeinden aus Sizilien und Gallia Cisalpina. Beim Einzug auf das Marsfeld veranstalteten wir einen Hollenlarm, wir johlten und pfiffen, und sofort stromte uns eine riesige Menge an Wahlern entgegen. Nach meiner Erfahrung wird jede gerade anstehende Wahl als die bedeutendste aller Zeiten bezeichnet - immer. An jenem Tag zumindest konnte man das mit einigem Grund behaupten -mit dem zusatzlichen Reiz, dass ihr Ausgang angesichts der umtriebigen Stimmenkaufer, der schieren Anzahl an Kandidaten und der Feindschaft zwischen ihnen - nach Ciceros Senatsattacke auf Catilina und Hybrida - vollig offen war.

Wir waren auf Arger gefasst, weshalb Quintus vorsichtshalber einige unserer kraftigeren Helfer direkt vor und hinter seinem Bruder postiert hatte. Als wir uns dem Wahlgelande naherten und ich weiter vorn Catilina und seine Anhanger neben dem Zelt des Wahlleiters stehen sah, wurde ich nervos. Ein paar von Catilinas Schlagern stie?en hohnische Bemerkungen aus, als wir die Absperrung erreichten, aber Catilina selbst warf uns nur einen kurzen, geringschatzigen Blick zu und setzte dann sein Gesprach mit Hybrida fort. Erstaunt fragte ich den jungen Frugi im Flusterton, ob es ihn nicht auch wundere, dass Catilina nicht wenigstens ein paar einschuchternde Drohungen fur uns ubrig habe, schlie?lich habe das schon immer zu seiner Taktik gehort, worauf Frugi erwiderte: »Wahrscheinlich glaubt er, dass er das nicht notig hat. Er ist sich sicher, dass er gewinnt.« Seine Antwort trug nicht gerade zu meiner Beruhigung bei.

Doch dann geschah etwas hochst Ungewohnliches. Cicero und die anderen Senatoren, insgesamt etwa zwei Dutzend Manner, die sich um das Konsulat oder die Pratur bewarben, standen, von ihren Anhangern durch einen niedrigen Holzzaun getrennt, innerhalb einer kleinen fur sie reservierten Zone. Der prasidierende Konsul unterhielt sich gerade mit dem Auguren, um sich zu vergewissern, dass die fur den Beginn der Abstimmung erforderlichen Zeichen gunstig standen, als mit einem Gefolge von etwa zwanzig Mann Hortensius auftauchte. Die Menge teilte sich, um ihn durchzulassen. Er trat an den Zaun und rief Cicero, der seine Unterhaltung mit einem der anderen Kandidaten - ich glaube, es war Cornificius -unterbrach und zu ihm ging. Allein das uberraschte die Leute, denn jeder wusste um die gegenseitige Abneigung der beiden alten Rivalen. Unter den Zuschauern kam Unruhe auf. Auch Catilina und Hybrida drehten sich um und starrten heruber. Einen Augenblick lang schauten sich Cicero und Hortensius an, dann nickten sie sich in der gleichen Sekunde zu, streckten die Hande uber den Zaun, und jeder schuttelte langsam die Hand des anderen. Kein einziges Wort wurde gesprochen. Dann, die Hande der beiden hielten sich noch fest umschlossen, drehte Hortensius sich halb zu der Menge um und hob Ciceros Arm in die Hohe. Donnernder Applaus, in dem nur einige Buhs und Unmutsau?erungen zu horen waren, brach unter den Menschen los, denn es gab keinen Zweifel daran, was diese Geste bedeutete. Nie und nimmer hatte ich damit gerechnet: Die Aristokraten unterstutzten Cicero! Sofort drehten sich Hortensius' Begleiter um und verschwanden in alle Richtungen in der Menschenmenge - wahrscheinlich, um den Zenturien mitzuteilen, dass sie ihr Abstimmungsverhalten zu andern hatten. Ich riskierte einen Blick zu Catilina und sah auf seinem Gesicht nichts als Verbluffung. Der Vorfall war einerseits von so offensichtlicher Bedeutung gewesen, dass die Menschen immer noch daruber redeten, hatte sich aber andererseits mit einer Beilaufigkeit abgespielt, dass Minuten spater Hortensius schon wieder verschwunden war. Kurz darauf forderte Figulus die Kandidaten auf, ihm zum Podium zu folgen, damit er die Abstimmung eroffnen konne.

*

Einen Idioten erkennt man sofort. Es ist der Mann, der immer genau wei?, wie eine Wahl ausgeht. Aber eine Wahl ist ein lebendiges Wesen - man konnte fast sagen, sie ist das vitalste Lebewesen uberhaupt: mit Abertausenden von Gehirnen, Gliedma?en und Augen, mit Abertausenden von Gedanken und Sehnsuchten; es windet und wendet sich und schlagt unvorhersehbare Richtungen ein, und das manchmal nur spa?eshalber, um den Schlaubergern zu zeigen, wie falsch sie liegen. Das jedenfalls habe ich gelernt, wahrend an jenem Tag auf dem Marsfeld das Prozedere der Wahl seinen Lauf nahm. Die Eingeweide wurden untersucht, der Vogelflug am Himmel auf verdachtige Bewegungen beobachtet und der Segen der Gotter erfleht; Epileptiker wurden aufgefordert, das Marsfeld zu verlassen (in jenen Tagen hatte ein epileptischer Anfall - morbus comitialis - zur Folge, dass die Wahl automatisch fur ungultig erklart werden musste); eine Legion wurde in Marsch gesetzt, um die Zufahrtsstra?en nach Rom gegen einen Uberraschungsangriff zu sichern; die Kandidatenliste wurde verlesen, das Trompetensignal ertonte, uber dem Janiculum-Hugel wurde die rote Flagge gehisst, und dann schritt das romische Volk zur Wahl.

Das Los entschied uber die Ehre, welche der einhundertdreiundneunzig Zenturien als erste ihre Stimme abgeben durfte. Mitglied dieser sogenannten centuria praerogativa zu sein wurde als seltene Gnade betrachtet, denn ihre Entscheidung gab oft die Richtung fur die gesamten Wahlen vor. Nur die reichsten Zenturien waren berechtigt, an der Auslosung teilzunehmen. Ich wei? noch, wie die damaligen Gewinner, eine Ansammlung strammer Kaufleute und Bankiers, wichtigtuerisch uber die Holzbrucke schritten und hinter den Abtrennwanden verschwanden. Ihre Stimmen waren schnell ausgezahlt, Figulus trat an die Rampe des Podiums und verkundete, dass sie fur Cicero an erster und Catilina an zweiter Stelle gestimmt hatten. Erstaunte Rufe wurden laut, denn all die Idioten, von denen ich eben gesprochen habe, hatten Catilina als Sieger und Hybrida als Zweiten vorhergesagt. Als Ciceros Anhanger begriffen, was geschehen war, wurden die erstaunten Rufe schnell von Jubelgebrull ubertont, das sich uber das ganze Marsfeld ausbreitete. Cicero stand unter dem Baldachin, den man vor

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