solle.

»Ich fahre mit«, sagte Quintus bestimmt.

»Meine Anweisungen lauten, nur Senator Cicero abzuholen«, widersprach der Verwalter. »Das Treffen ist hochst sensibel und vertraulich. Nur eine zusatzliche Person ist vonnoten - der Sekretar des Senators, der mit der flotten Schreibhand.«

Ich war genauso wenig erbaut wie Quintus - ich, weil ich zu feige war, um mir ein Kreuzverhor durch Hortensius zu wunschen; er, weil er sich bruskiert fuhlte und vielleicht auch weil er sich - die wohlwollendere Variante - Sorgen um die Sicherheit seines Bruders machte. »Was, wenn das eine Falle ist?«, fragte er, »Was, wenn Catilina da auf dich wartet oder dich auf dem Weg uberfallt?«

»Senator Hortensius burgt fur deine Sicherheit, Senator«, sagte der Verwalter steif. »Ich gebe dir stellvertretend vor allen Zeugen hier mein Ehrenwort.«

»Es geschieht mir schon nichts, Quintus«, sagte Cicero und legte seinem Bruder beruhigend die Hand auf den Arm. »Es ist doch gar nicht in Hortensius' Interesse, dass mir etwas zusto?t. Au?erdem«, fugte er lachelnd hinzu, »bin ich ein Freund von Atticus, eine bessere Sicherheit kann es doch gar nicht geben. Komm, Tiro. Horen wir uns an, was Hortensius uns zu sagen hat.«

Aus der relativen Sicherheit der Bibliothek begaben wir uns hinaus auf die Stra?e, wo ein elegantes carpentum wartete, an dessen Seite Hortensius' Wappen prangte. Der Verwalter setzte sich vorne neben den Kutscher, Cicero und ich stiegen hinten ein, und im nachsten Augenblick schlingerten wir schon den Hugel hinunter. Allerdings fuhren wir nicht wie erwartet nach Suden zum Palatin, sondern in nordlicher Richtung zur Porta Fontinalis. Wir reihten uns in den Verkehrsstrom ein, der zum Ende des Tages die Stadt verlie?. Cicero verbarg sein Gesicht in den Falten seiner wei?en Toga. Was ihn scheinbar vor den Staubwolken schutzte, die die Wagenrader aufwirbelten, sollte ihn tatsachlich vor den Blicken seiner Wahler schutzen - immerhin sa? er in einer Kutsche von Hortensius. Als wir jedoch jenseits der Stadtgrenze waren, zog er seine Faltenhaube herunter. Er war sichtlich nicht glucklich daruber, dass wir das Stadtgebiet verlie?en, denn trotz seiner mutigen Worte wusste er genau, dass es ein Leichtes war, hier drau?en einen todlichen Unfall zu arrangieren. Die Stra?e war von wuchtigen Familiengruften gesaumt, hinter denen gerade die Sonne unterging. Die langen pechschwarzen Schatten, die die Pappeln auf den Weg warfen, sahen wie Felsspalten aus. Wir wurden kurz von einem langsamen Ochsenfuhrwerk aufgehalten, aber als der Kutscher seine Peitsche schnalzen lie?, zogen wir rasch daran vorbei und konnten gerade noch rechtzeitig vor einem schnell der Stadt zustrebenden, vierradrigen Wagen wieder einscheren. Inzwischen wussten wir, wohin wir fuhren. Cicero zog sich erneut die Toga uber den gesenkten Kopf und verschrankte die Arme. Welche Gedanken schossen ihm wohl durch den Kopf? Schlie?lich verlie?en wir die Stra?e und rumpelten uber einen frisch gekiesten Weg einen steilen Hugel hinauf. Der gewundene Weg fuhrte uns uber platschernde Bache und durch dustere, duftende Pinienwaldchen. Tauben gurrten in der Abenddammerung. Durch ein riesiges offenes Tor fuhren wir in einen Park und hielten vor einer unermesslich gro?en Villa, in der ich das Modell wiedererkannte, das Gabinius auf dem Forum dem neidischen Pobel prasentiert hatte: Wir standen vor dem Palast des Lucullus.

*

Noch viele Jahre spater musste ich bei dem Geruch von frischem Zement und nasser Farbe immer an Lucullus und sein hallendes Mausoleum denken, das er vor den Toren Roms fur sich erbaut hatte. Was fur eine herausragende, melancholische Gestalt -der vielleicht gro?te Heerfuhrer, den die Aristokraten seit funfzig Jahren hervorgebracht hatten. Von Pompeius' um den endgultigen Sieg im Osten gebracht, von den politischen Intrigen seiner Feinde, zu denen auch Cicero gehorte, zu jahrelanger Untatigkeit vor den Toren Roms verurteilt, von allen Ehrungen, ja sogar den Senatssitzungen ausgeschlossen, weil er die Stadtgrenzen nicht uberschreiten durfte, ohne sein Recht auf einen Triumph zu verwirken. Weil er immer noch uber das militarische imperium verfugte, hatte er auch noch militarische Wachposten, und in der Halle warteten murrische Liktoren mit Rutenbundeln und Beilen - und zwar so viele Liktoren, wie Cicero auffiel, dass nach seiner Rechnung noch ein zweiter General im aktiven Dienst auf dem Gelande sein musste. »Haltst du es fur moglich, dass Quintus Metellus hier ist?«, fragte er mich flusternd, als Hortensius' Verwalter uns in das hohlenartige Innere des Palastes fuhrte. »Bei allen Gottern, ich glaube, er ist tatsachlich da.«

Wir gingen durch verschiedene mit Kriegsbeute vollgestopfte Raume, bis wir schlie?lich in den gro?en Raum eintraten, der als Saal des Apollo bekannt ist. Unter einem Wandgemalde, auf dem Apollo mit einem goldenen Bogen einen Feuerpfeil abschie?t, sa?en sechs ins Gesprach vertiefte Manner. Beim Gerausch unserer Schritte auf dem Marmorboden verstummten sie, schauten uns an und schwiegen horbar. Quintus Metellus war tatsachlich da - stammiger, grauer und verwitterter nach seinem jahrelangen Kommando auf Kreta, aber immer noch unverkennbar der Mann, der versucht hatte, die Sizilier dazu zu notigen, ihre Klage gegen Verres fallen zu lassen. Neben Metellus sa? auf einer Seite sein Verbundeter aus alten Gerichtstagen, Hortensius, dessen kuhles, fein geschnittenes Gesicht keinerlei Regung zeigte, und auf der anderen Seite Catulus, dunn und scharf wie die Klinge eines Messers. Isauricus, der gro?e alte Mann des Senats, war ebenfalls anwesend -um die siebzig muss er an jenem Juliabend gewesen sein, was man ihm allerdings nicht ansah (er war einer von diesen Menschen, denen man ihr Alter nie ansah: Er sollte neunzig Jahre alt werden und die Trauerfeiern fast aller Anwesenden erleben). Mir fiel auf, dass er die Abschrift in Handen hielt, die ich Hortensius uberbracht hatte. Die beiden Lucullus-Bruder komplettierten das Sextett. Den jungeren, Marcus, kannte ich aus dem Senat, er war ein bekanntes Gesicht aus der vordersten Bank. Lucius, den beruhmten General, hatte ich noch nie zuvor gesehen, er hatte achtzehn der letzten dreiundzwanzig Jahre im Militardienst au?erhalb von Rom verbracht. Er war etwa Mitte funfzig, und mir wurde schnell klar, warum Pompeius so leidenschaftlich eifersuchtig auf ihn war - in Galatien bei der Ubergabe des Oberbefehls fur den Osten war es sogar zu Handgreiflichkeiten zwischen den beiden gekommen. Lucullus verstromte eine kuhle Grandezza, die sogar Catulus etwas gewohnlich aussehen lie?.

Es war schlie?lich Hortensius, der das peinliche Schweigen beendete. Er stand auf und stellte Cicero dem General vor. Cicero streckte die Hand aus, und einen Augenblick lang glaubte ich, dass Lucullus den Handschlag verweigern wurde, denn dieser kannte Cicero ja nur als Parteiganger von Pompeius und als einen jener popularen Politiker, die bei seiner Abberufung die Finger im Spiel gehabt hatten. Aber schlie?lich nahm er seine Hand doch - allerdings so vorsichtig, wie man einen schmutzigen Schwamm in einer Latrine anfasst. »Imperator«, sagte Cicero und verneigte sich hoflich. Dann nickte er auch Metellus zu: »Imperator.«

»Und wer ist das?«, fragte Isauricus und zeigte auf mich.

»Tiro, mein Sekretar«, antwortete Cicero. »Er hat das Treffen in Crassus' Haus protokolliert.«

»Nun, was mich angeht, ich glaube kein Wort davon«, sagte Isauricus und stie? mit dem Schriftstuck in meine Richtung. »Niemand kann eine derart ausfuhrliche Besprechung Wort fur Wort aufzeichnen. Kein Mensch kann das.«

»Tiro hat sein eigenes Kurzschriftsystem entwickelt«, erlauterte Cicero. »Zeig ihm die Aufzeichnungen, Tiro, so wie du sie gestern Nacht gemacht hast.«

Ich zog die Notizbucher aus der Tasche und verteilte sie an die Runde.

»Bemerkenswert«, sagte Hortensius, wahrend er sich meine Notizen ansah. »Diese Symbole, stehen die fur Laute oder fur ganze Worter?«

»Die meisten fur Worter und fur allgemeine Redewendungen«, antwortete ich.

»Das will ich sehen«, sagte Catulus aggressiv. »Schreib mit, was ich sage.« Er sprach gleich weiter, sodass mir kaum Zeit blieb, ein frisches Notizbuch und meinen Schreibgriffel hervorzuholen. »Wenn das stimmt, was ich hier lese, dann steuert der Staat als Folge einer kriminellen Verschworung auf einen Burgerkrieg zu. Stimmt es nicht, dann handelt es sich um die hinterhaltigste Falschung in der Geschichte Roms. Ich personlich betrachte dieses Schriftstuck als Falschung, und zwar weil ich es fur unmoglich halte, dass ein menschliches Wesen ein derartiges Protokoll anfertigen kann. Dass Catilina ein Hitzkopf ist, das wissen wir schon lange, aber er ist ein wahrer und ehrenhafter Romer, kein verschlagener, von Ehrgeiz zerfressener Au?enseiter. Sein Wort gilt mir mehr als das eines homo novus - und das wird auch immer so bleiben! Was willst du von uns, Cicero? Nach allem, was zwischen uns vorgefallen ist, kannst du nicht ernsthaft annehmen, dass ich deinen Griff nach dem Konsulat unterstutze. Also, was willst du?«

»Nichts«, erwiderte Cicero freundlich. »Mir sind Informationen in die Hande gefallen, von denen ich annahm, sie konnten euch interessieren. Deshalb habe ich sie an Hortensius weitergeleitet, das ist alles. Ihr habt mich doch an diesen Ort bringen lassen, oder nicht? Ich habe nicht darum gebeten. Vielmehr hatte ich guten Grund zu fragen: Was wollt ihr? Wollt ihr zwischen die Muhlsteine geraten, die euch nach und nach die Luft aus dem Leib pressen? Zwischen Pompeius und seinen Armeen im Osten auf der einen und Crassus, Caesar und

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