gemacht hatte. Ich beugte mich gerade vor, um sie mir genauer anzuschauen, als hinter mir Hortensius den Raum betrat.

»Wer hatte das gedacht?«, sagte er, wahrend ich mich schuldbewusst aufrichtete. »Unter dem Dach meiner Vorfahren mal einen Abgesandten von Marcus Cicero begru?en zu durfen, damit hatte ich nicht gerechnet. Worum geht es?«

Offensichtlich machte er sich gerade fertig fur die morgendliche Senatssitzung, denn er war schon mit seiner Senatorentoga bekleidet - allerdings noch ohne Schuhe, seine Fu?e steckten in gewohnlichen Sandalen. Au?erdem empfand ich es als seltsam, den alten Feind so ungeschutzt au?erhalb der Arena zu sehen. Ich gab ihm Ciceros Brief, den er sofort offnete und in meiner Gegenwart las. Als er zu den Namen gelangte, warf er mir einen scharfen Blick zu. Ich spurte, dass er angebissen hatte, aber naturlich war er zu gut erzogen, um es sich anmerken zu lassen.

»Richte ihm aus, dass ich mir den Bericht anschaue, sobald es mir meine Zeit erlaubt«, sagte er und nahm die Rolle entgegen. Dann ging er, als hatte er in seinem ganzen Leben noch nichts in seinen manikurten Handen gehalten, was uninteressanter gewesen ware, gemachlich auf dem gleichen Weg zuruck, den er gekommen war. Allerdings bin ich mir sicher, dass er in der Sekunde, als ich ihn nicht mehr sehen konnte, in seine Bibliothek gerannt ist und das Siegel aufgerissen hat. Was mich betraf, so ging ich wieder hinaus an die frische Luft und nahm fur den Ruckweg in die Stadt die Caci-Treppe, da mir bis zum Sitzungsbeginn des Senats noch Zeit zur Verfugung stand und mich der andere Weg naher an Crassus' Haus vorbeifuhrte, als mir lieb war. Uber die Treppe gelangte ich in die Gegend um die Via Etrusca, wo sich alle Parfum- und Weihrauchgeschafte befanden. Die Wohlgeruche versetzten meinen durch Schlafentzug geschwachten Korper fast in einen Rauschzustand. Meine Stimmung war seltsam losgelost von der realen Welt und ihren Sorgen. Ich wei? noch, was mir damals durch den Kopf ging: Morgen um diese Zeit ist die Wahl auf dem Marsfeld schon in vollem Gange, und wahrscheinlich wissen wir auch schon, ob Cicero Konsul wird oder nicht, aber ob er es nun wird oder nicht, andert nichts daran, dass die Sonne scheinen und dass es im Herbst wieder regnen wird. Ich trieb mich auf dem Forum Boarium herum und schaute den Leuten zu, die ihre Blumen und ihr Obst einkauften, und fragte mich, wie es wohl ware, wenn man sich nicht im Geringsten fur Politik interessierte, sondern - wie die Dichter sagen - »ein Leben im Schatten« genie?t, vita umbratilis. Das genau hatte ich vor, wenn Cicero mir die Freiheit und einen Bauernhof schenkte. Ich wurde die Fruchte essen, die ich anbaute, und die Milch der Ziegen trinken, die ich aufzog; abends wurde ich meine Tur zumachen und mich keinen Deut mehr um irgendeine Wahl scheren. Nie fuhlte ich mich weiser als in diesen Augenblicken.

Als ich schlie?lich das Forum erreichte, hatten sich im Senaculum schon gut zweihundert Senatoren eingefunden, die von einer neugierigen Menschenmenge begafft wurden - nach ihrer bauerlichen Kleidung zu urteilen Leute vom Land, die fur die Wahlen nach Rom gekommen waren. Flankiert von den Auguren sa? Figulus auf seinem Konsulsstuhl in der Eingangstur zum Senatsgebaude und wartete darauf, dass die zur Beschlussfahigkeit erforderliche Anzahl an Senatoren zusammenkam. Hin und wieder gab es einen kleineren Aufruhr, wenn ein Kandidat samt seiner Anhangerschaft auf dem Forum einzog. Ich sah Catilina kommen samt seiner wunderlich bunten Corona aus junger Aristokratie und Abschaum der Stra?e und spater dann Hybrida, dessen larmende Truppe aus Schuldnern und Spielern wie Sabidius und Panthera im Vergleich dazu noch einigerma?en respektabel aussah. Die Senatoren begaben sich nun in den Sitzungssaal, und ich fragte mich schon, ob Cicero etwas zugesto?en sei, als vom Argiletum her Getrommel und Flotenmusik zu horen war und zwei Kolonnen junger Manner, die frisch geschnittene Zweige in die Luft reckten und um die frohlich aufgeregte Kinder herumtollten, auf das Forum einbogen. Dann zog eine von Atticus angefuhrte Gruppe angesehener romischer Ritter ein, auf die Quintus mit etwa einem Dutzend Hinterbankler aus dem Senat folgte. Einige Madchen liefen vor der Parade her und streuten Rosenblatter auf den Boden. Ciceros Einzug stellte den seiner Rivalen bei weitem in den Schatten, und von der Menge wurde er mit entsprechendem Applaus empfangen. Im Mittelpunkt des Trubels, wie im Auge eines Tornados, marschierte der Kandidat selbst, der in die leuchtende toga candida gehullt war, die er schon bei seinen drei erfolgreichen Wahlen zuvor getragen hatte. Da ich ihn normalerweise immer begleitete, kam es nur selten vor, dass ich ihn aus der Distanz beobachten konnte, und so fiel mir heute zum ersten Mal auf, dass er der geborene Schauspieler war, der, wenn er sein Kostum angelegt hatte, erst zu seinem wahren Charakter fand. Als die kraftige Gestalt mit festem Blick an mir vorbeischritt, erschien er mir wie die Verkorperung all der Werte, die das traditionelle Wei? seiner Toga symbolisieren sollten - Klarheit, Redlichkeit, Reinheit. An seinem Gang und abwesenden Gesichtsausdruck erkannte ich, dass er schon vollkommen auf seine Rede konzentriert war. Ich schloss mich der Prozession an, und als er die Kammer betrat, brandete der Jubel seiner Anhanger auf, auf den seine Gegner umgehend mit Buhrufen antworteten.

Man hielt uns zuruck, bis der letzte Senator eingetreten war, dann lie? man uns bis zur Zuschauerschranke vor. Kaum hatte ich mir meinen guten Stammplatz am Turpfosten gesichert, als sich jemand zu mir vordrangelte. Es war Atticus, der vor Aufregung ganz bleich war. »Woher nimmt er blo? die Nerven, sich so was zu trauen?«, fragte er. Bevor ich antworten konnte, erhob sich Figulus und berichtete der Kammer uber das Scheitern seines Gesetzesantrags in der Volksversammlung. Nachdem er eine Zeit lang auf seine leiernde Art gesprochen hatte, forderte er Mucius auf zu erklaren, warum er gegen das vom Senat beschlossene Gesetz sein Veto eingelegt habe. Es herrschte eine druckende, nervose Stimmung in der Kammer. Catilina und Hybrida sa?en bei den Aristokraten, direkt vor ihnen auf der Konsulnbank sa? Catulus, ein paar Platze weiter Crassus und auf der gleichen Seite der Kammer, auf einem der fur die ehemaligen Adilen reservierten Platze, Caesar. Mucius stand auf und erlauterte in wurdevollen Worten, dass sein heiliges Amt von ihm verlange, den Interessen des Volkes zu dienen. Und Figulus' Gesetz sei weit davon entfernt, diesen Interessen zu dienen, es bedrohe vielmehr die Sicherheit des Volkes und beleidige dessen Ehre.

»Blodsinn«, tonte es von der anderen Seite des Ganges. Ich erkannte Ciceros Stimme sofort. »Die haben dich gekauft!«

Atticus packte meinen Arm. »Jetzt geht's los!«,flusterte er.

»Mein Gewissen ...«, fuhr Mucius fort.

»Dein Gewissen hat damit gar nichts zu tun. Du bist ein Lugner, du hast dich verkauft wie eine Hure!«

Plotzlich erfullte den Saal das dumpf grollende Gerausch, das entsteht, wenn ein paar Hundert Menschen gleichzeitig ihrem Nebenmann etwas zuflustern. Cicero sprang auf und signalisierte mit ausgestrecktem Arm, dass er das Wort wunsche. In diesem Augenblick horte ich hinter mir eine Stimme, die Durchlass verlangte. Wir drangten uns zur Seite, um dem unpunktlichen Senator Platz zu machen, der sich ein paar Sekunden spater als Hortensius entpuppte. Er eilte den Gang hinunter, verbeugte sich vor dem Konsul und setzte sich auf seinen Platz neben Catulus, den er umgehend in eine geflusterte Unterhaltung verstrickte. Inzwischen forderten Ciceros Anhanger unter den pedarii lautstark das Wort fur ihren Fursprecher, was ihm als ehemaligem Prator und damit gegenuber Mucius Ranghoherem auch unbestreitbar zustand. Nur sehr zogernd lie? sich Mucius von den Senatoren neben ihm dazu bewegen, sich zu setzen. Cicero zeigte auf ihn - mit dem geraden, starr ausgestreckten Arm in der wei?en Toga sah er aus wie eine Statue der rachenden Justitia - und erklarte: »Du bist eine Hure, Mucius, jawohl, und obendrein ein Verrater, denn erst gestern hast du vor der Volksversammlung erklart, dass ich ungeeignet sei fur das Konsulat, ich, der erste Mann, an den du dich gewandt hast, als man dich des Raubes anklagte! Gut genug fur deine Verteidigung, Mucius, aber nicht gut genug, das romische Volk zu verteidigen, hast du das gemeint? Aber was soll ich mich um dein Gerede scheren, wenn doch die ganze Welt wei?, dass man dich fur diese Verleumdung bezahlt hat?«

Mucius lief knallrot an. Er schuttelte die Faust und schleuderte Cicero Beleidigungen entgegen, die ich im allgemeinen Aufruhr nicht verstehen konnte. Cicero betrachtete ihn verachtlich und bat mit erhobener Hand um Ruhe. »Aber wer ist schon Mucius?«, sagte er geringschatzig und schnalzte dabei mit den Fingern. »Nichts weiter als eine einzelne Hure aus einer ganzen Horde von kauflichen Kreaturen. Und ihr Anfuhrer ist ein Mann von adeliger Geburt, der sich die Bestechung zu seinem Instrument erwahlt hat - und glaubt mir, Senatoren, darauf spielt er wie auf einer Flote. Er besticht Geschworene, Wahler und Volkstribunen. Kein Wunder, dass er unser Gesetz gegen die Bestechung verabscheute und fur ihn nur eine Methode in Betracht kam, es zu verhindern -Bestechung.« Er hielt inne und senkte die Stimme. »Ich mochte die Kammer uber einige Dinge in Kenntnis setzen, die mir zu Ohren gekommen sind.« Es wurde jetzt sehr still. »Gestern Abend haben sich Antonius Hybrida, Sergius Catilina und einige andere Personen im Haus jenes Mannes von adeliger Geburt ...«

»Der Name!«, forderte eine laute Stimme, und einen Augenblick lang glaubte ich tatsachlich, Cicero wurde ihn nennen. Stattdessen schaute er mit derart berechnender Intensitat hinuber zu dem auf der anderen Seite des Ganges sitzenden Crassus, dass er genauso gut hatte hinubergehen und ihm die Hand auf die Schulter legen

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