wahrend meins die gesamte lateinische Sprache mit ihrem riesigen Wortschatz und ihrer komplexen Grammatik zu viertausend Symbolen verdichtete. Und das obendrein auf eine Weise, die es jedem willigen Schuler erlaubt, meine Kurzschrift zu erlernen. Theoretisch konnte sogar eine Frau Stenografin werden.

Wer das System beherrscht, wei?, dass in der Praxis kaum etwas so verheerende Folgen hat wie eine zitterige Hand. Angst macht aus geschickten Fingern lukanische Wurste, und ich hatte befurchtet, dass ich an jenem Abend vor lauter Nervositat nicht schnell genug wurde schreiben konnen. Aber als ich erst einmal mit meinen Notizen begonnen hatte, hatte das eine merkwurdig beruhigende Wirkung auf mich. Fur einen Gedanken, was ich da uberhaupt schrieb, blieb mir keine Zeit. Agypten, Kolonisten, offentliches Land, Regierungsbeauftragte - ich horte die Worte, ohne ihre Bedeutung auch nur ansatzweise zu verstehen; mein einziger Ehrgeiz bestand darin, sie so schnell niederzuschreiben, wie sie ausgesprochen wurden. Eigentlich war die Hitze das gro?te Problem: Ich kam mir in meinem kleinen Gefangnis vor wie in einem Backofen. Der Schwei? lief mir von der Stirn und juckte in den Augen; meine Handflachen waren so feucht, dass es mir schwerfiel, den glitschigen Schreibgriffel richtig zu halten. Nur ab und zu, wenn ich mich vorbeugte und ein Auge an ein Guckloch in dem Teppichgewebe presste, um mich zu vergewissern, wer da gerade sprach, wurde ich mir des gewaltigen Risikos bewusst, das ich eingegangen war. Das Gefuhl au?erster Verwundbarkeit wurde noch durch die Tatsache verstarkt, dass ich oft den Eindruck hatte, einer oder mehrere aus der Runde wurden genau in meine Richtung blicken. Vor allem Catilina schien die Szene auf meinem Wandteppich zu faszinieren. Der schlimmste Augenblick kam ganz zum Schluss, als Crassus die Besprechung fur beendet erklarte. »Wenn wir das nachste Mal zusammenkommen«, sagte er, »wird unser aller Schicksal und das von Rom auf immer eine neue Wendung genommen haben.« Als der Beifall verklungen war, stand Catilina auf und ging direkt auf mich zu. Ich schrak zuruck, druckte mich gegen die Wand und sah, wie seine Finger hochstens eine Handbreit von meinem schwei?nassen Gesicht entfernt uber das Gewebe des Teppichs strichen. Die vor meinen Augen hin-und herwandernde Delle besitzt noch heute die Macht, mich mitten in der Nacht schreiend aus dem Schlaf hochfahren zu lassen. Aber Catilina hatte nichts weiter im Sinn, als Crassus ein paar Komplimente uber die herrliche Handwerkskunst zu machen, worauf eine kurze Unterhaltung daruber folgte, wo Crassus den Teppich gekauft und -unausweichlich bei Crassus - was er fur ihn bezahlt hatte. Dann verschwanden die beiden aus meinem Blickfeld.

Ich wartete. Als ich schlie?lich einen Blick durch eins der Gucklocher wagte, war niemand mehr da. Nur die unordentlich herumstehenden Stuhle wiesen daraufhin, dass uberhaupt eine Besprechung stattgefunden hatte. Ich musste mich sehr beherrschen, um nicht einfach den Teppich zuruckzuschlagen und zur Tur zu sturzen. Aber wir hatten vereinbart, dass ich in der Nische bliebe, bis Caelius mich holte. Also kauerte ich mit dem Rucken zur Wand und mit um die hochgezogenen Knie geschlungenen Armen in meinem engen Versteck und wartete. Ich habe keine Ahnung, wie lange die Konferenz gedauert hatte, doch da die vier Notizbucher, die ich mitgebracht hatte, fast vollgeschrieben waren, muss sie viel Zeit in Anspruch genommen haben. Ich wei? auch nicht mehr, wie lange ich auf Caelius wartete. Moglich, dass ich eingeschlafen war, denn als er endlich kam, war es vollkommen dunkel. Samtliche Lampen und Kerzen, einschlie?lich meiner Ollampe, waren heruntergebrannt. Als er den Teppich zur Seite zog, zuckte ich zusammen; wortlos hielt er mir die Hand hin und half mir auf. Zusammen schlichen wir durch das schlafende Haus in den Kellerraum und krabbelten ins Freie. Als ich mit steifen Knochen in der Gasse stand, bedankte ich mich flusternd.

»Keine Ursache«, flusterte er zuruck. Im schwachen Mondschein konnte ich das aufgeregte Leuchten in seinen Augen sehen - Augen, die so weit aufgerissen, so hell waren, dass mir klar wurde, das waren nicht nur die Worte eines torichten Gro?mauls, das war ernst gemeint, als er hinzufugte: »War mir ein Vergnugen.«

*

Es war weit nach Mitternacht, als ich schlie?lich wieder zu Hause war. Alle schliefen schon bis auf Cicero, der im Speisezimmer auf mich gewartet hatte. Nach den Buchern zu urteilen, die neben der Liege auf dem Boden herumlagen, musste er mich schon seit Stunden erwartet haben. »Und?«, sagte er. Als ich nickte und damit den Erfolg meiner Mission signalisierte, kniff er mir in die Wange und erklarte, dass ich der mutigste und schlaueste Sekretar sei, den je ein Staatsmann gehabt habe. Ich gab ihm die Notizbucher, er schlug das erste auf und hielt es ans Licht. »Klar, deine verdammten Hieroglyphen«, sagte er und zwinkerte mir zu. »Also los, setz dich hin, ich hol dir einen Becher Wein, und dann kannst du mir alles erzahlen. Willst du was essen?« Er schaute sich unbeholfen um; die Rolle des Dieners war ihm nicht gerade angeboren. Kurz darauf sa? ich ihm gegenuber, vor mir ein voller Becher Wein, ein Apfel und meine Notizbucher - wie ein Schuljunge, der seine Lektion aufsagen soll.

Die Wachstafeln selbst sind nicht mehr in meinem Besitz, aber Cicero hat die Abschriften, die er davon anfertigen lie?, zusammen mit seinen vertraulichsten Unterlagen aufgehoben. Wahrend ich sie mir jetzt anschaue, wundert es mich nicht mehr, dass ich der Diskussion damals nicht hatte folgen konnen. Die Verschworer hatten sich offenbar vorher schon mehrere Male getroffen, denn ihre Beratungen an jenem Abend setzten einiges an Vorwissen voraus. Es wurde viel uber Gesetzgebungsplane, Erganzungen zu Gesetzesentwurfen und Aufteilungen von Verantwortungsbereichen gesprochen. Man darf sich das nicht so vorstellen, dass ich Cicero einfach meine Aufzeichnungen vorlas und wir damit alles verstanden hatten. Wir bruteten viele Stunden uber ratselhaften Bemerkungen, die wir drehten und wendeten, bis wir uns schlie?lich ein klares Bild machen konnten. Immer wieder rief Cicero: »Diese durchtriebenen Schurken, schlau, verdammt schlau!«, stand dann auf, drehte ein paar Runden im Zimmer und setzte sich wieder. Kurz gesagt gliederte sich die Verschworung, an der Caesar und Crassus seit vielen Monaten gezimmert haben mussten, in vier Teile. Als Erstes strebten sie die Kontrolle uber den Staat an, und zwar mit Siegen in allen allgemeinen Wahlen, die ihnen nicht nur beide Konsulate, sondern auch alle zehn Volktribunate plus ein paar Praturen bescheren sollten; Angesichts der taglich schwindenden Unterstutzung fur Cicero, so die Stimmenkaufer, sei dieses Ziel mehr oder weniger eine vollendete Tatsache. Der zweite Schritt sah vor, dass die Volkstribunen im Dezember ein Gesetz fur eine umfassende Landreform einbringen sollten, welches die Auflosung der gro?en staatlichen Landereien beinhaltete - vor allem in den fruchtbaren Ebenen Kampaniens - sowie deren sofortige Verteilung als Ackerland an funftausend stadtische Plebejer. Im dritten Schritt sollten im Marz zehn von Crassus und Caesar angefuhrte Regierungsbeauftragte gewahlt werden, die die Vollmacht erhielten, eroberte Gebiete im Ausland zu verkaufen und mit den daraus erzielten Erlosen per Zwangsenteignung weitere riesige Landgebiete in Italien zu erwerben, um damit ein noch gro?eres Besiedlungsprogramm zu starten. Als letzte Stufe stand fur kommenden Sommer nichts Geringeres als die Annektierung Agyptens auf dem Programm. Als Vorwand wurde das umstrittene, vor etwa siebzehn Jahren verfasste Testament eines seiner toten Herrscher, Konig Ptolemaios des Soundsovielten, dienen, in dem er angeblich sein gesamtes Herrschaftsgebiet dem romischen Volk vermachte; die Profite auch daraus wurden zu weiterem Landerwerb in Italien besagten Regierungsbeauftragten zur Verfugung stehen.

»Bei allen Gottern, das ist ein als Landreform getarnter Staatsstreich!«, rief Cicero erregt, nachdem wir meine Aufzeichnungen komplett durchgegangen waren. »Diese zehn Regierungsbeauftragen unter Crassus und Caesar, das sind dann die wahren Herren des Landes. Die Konsuln und die anderen Magistrate, degradiert zu Nullen. Mit den im Ausland erplunderten Geldern konnen sie ihre Herrschaft zu Hause auf unbegrenzte Zeit absichern.« Er lehnte sich zuruck und sa? mit verschrankten Armen, das Kinn auf der Brust, lange Zeit schweigend da.

Ich war erschopft von den Strapazen und wollte nur noch schlafen. Wir hatten die ganze Nacht durchgearbeitet, und die ersten Sonnenstrahlen fielen ins Zimmer: Der letzte Tag vor den Wahlen war angebrochen. Drau?en stimmten die Vogel ihr morgendliches Konzert an, und kurz darauf horte ich, wie jemand die Treppe herunterkam. Es war Terentia. Sie trug noch ihr Nachthemd, um die schmalen Schultern hatte sie sich einen Schal geschlungen; die Haare waren ungekammt, und sie schaute uns aus ihrem ungeschminkten Gesicht verschlafen an. Ich erhob mich respektvoll und blickte verlegen zur Seite. »Marcus!«, rief sie, ohne mich zu beachten. »Was um alles in der Welt machst du so fruh hier unten?«

Er erklarte ihr missmutig, was passiert war. Wenn es um politische oder finanzielle Dinge ging, konnte man Terentia nichts vormachen - ware sie keine Frau und schon einigerma?en wach gewesen, dann wei? ich nicht, wie sie reagiert hatte. Terentia war durch und durch Aristokratin, und als sie begriff, was er gerade gesagt hatte, war sie naturlich entsetzt. Der Gedanke, staatliches Land zu privatisieren und dem Volk zu uberlassen, war fur sie der erste Schritt zur Zerstorung Roms.

»Du musst an vorderster Stelle dagegen ankampfen«, bedrangte sie Cicero. »Das kann dir den Wahlsieg bringen. Jeder ehrbare Mann wird sich dir anschlie?en.«

»Ach ja, tatsachlich?« Cicero nahm eins der Notizbucher vom Tisch. »Offener Widerstand dagegen konnte ubel auf mich zuruckfallen. Ein gro?er Block im Senat war schon immer fur eine Annexion Agyptens - die eine Halfte aus patriotischen Grunden, die andere aus reiner Geldgier. Und da drau?en auf den Stra?en, da wird der Ruf

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