»Catilina, Hybrida, Caesar. Wer sonst noch kommt, wei? ich nicht. Als ich aus dem Haus bin, haben sie gerade die Stuhle aufgestellt. Einer von Crassus' Sekretaren, der in der Stadt unterwegs war, um die Einladungen zu uberbringen, hat mir das erzahlt. Da lief die Volksversammlung noch.«
»Interessant«, murmelte Cicero. »Was wurde ich dafur geben, da Mauschen spielen zu konnen.«
»Kein Problem«, sagte Caelius. »Das Treffen findet in dem Raum statt, in dem Crassus auch seine geschaftlichen Besprechungen abhalt. Dabei hat er oft - aber nicht heute Abend, wie mir mein Informant versichert - einen Sekretar dabei, der Notizen von dem Gesprochenen macht, aber so, dass die andere Person nichts davon mitbekommt. Dafur hat er sich einen kleinen Horchposten einbauen lassen, ein Kammerchen, das sich hinter einem Wandteppich befindet. Er hat mir das mal gezeigt, als er mir von seinen Tricks als Geschaftsmann erzahlt hat.«
»Du willst sagen, dass Crassus sich
»>Wer glaubt, dass er keine Zeugen hat, macht schnell unuberlegte Versprechungen< - Crassus' Worte.«
»Du vermutest also, dass du dich da drin verstecken und mitschreiben kannst?«
»Ich nicht«, widersprach Caelius spottisch. »Ich bin doch kein Sekretar. Ich hab an Tiro gedacht«, sagte er und klopfte mir auf die Schulter, »unseren Meister der Kurzschrift.«
Ich wurde mich ja gern damit brusten, dass ich mich, ohne zu zogern, zu diesem Selbstmordkommando bereit erklart hatte. Aber dem war nicht so. Ganz im Gegenteil, ich habe mich mit allen praktischen Einwanden, die mir in den Sinn kamen, gegen Caelius' Plan ausgesprochen. Wie sollte ich unbemerkt in Crassus' Haus gelangen? Wie sollte ich es wieder verlassen? Wie sollte ich, verborgen hinter dem Wandteppich, bei dem Durcheinander an Stimmen erkennen, wer gerade sprach? Aber Caelius wusste auf alle meine Fragen eine Antwort. Ich fuhlte eine panische Angst in mir hochsteigen. »Was, wenn man mich schnappt und foltert?«, fragte ich Cicero. Das war der Kern aller meiner Angste. »Ich kann nicht beschworen, dass ich so mutig ware, Euch nicht zu verraten.«
»Cicero kann einfach leugnen, dass er davon gewusst hat«, sagte Caelius - eine von meinem Standpunkt aus wenig hilfreiche Losung. »Au?erdem ist allgemein bekannt, dass unter Folter abgepresste Aussagen nicht verlasslich sind.«
»Ich glaube, ich falle in Ohnmacht«, witzelte ich matt.
»Rei? dich zusammen, Tiro«, ermahnte mich Cicero, der umso aufgeregter wurde, je langer er zuhorte. »Niemand wird dich foltern, und niemand wird dich vor Gericht zerren. Dafur werde ich schon sorgen. Wenn du entdeckt wirst, werde ich deine Freilassung aushandeln, ich werde jeden Preis zahlen, damit dir nichts zusto?t.« Mit seinem charakteristischen Doppelgriff druckte er meine beiden Hande und schaute mir tief in die Augen. »Du bist mehr ein zweiter Bruder fur mich als mein Sklave, Tiro. Schon seit wir damals vor vielen Jahren in Athen zusammen die Philosophen studiert haben - erinnerst du dich? Ich hatte bereits viel fruher mit dir uber das Thema Freilassung sprechen sollen, aber irgendwie ist immer eine neue Krise dazwischengekommen, die mich abgelenkt hat. Also sage ich dir jetzt, und Caelius ist mein Zeuge, dass es meine feste Absicht ist, dir die Freiheit zu schenken - und das einfache Leben auf dem Land, nach dem du dich schon immer gesehnt hast. Und ich sehe den Tag vor mir, wenn ich von meinem Haus zu deinem kleinen Gehoft hinuber reite und wir dann zusammen in deinem Garten sitzen und die uber einem Olivenhain oder Weinberg untergehende Sonne beobachten und uns uber all die Abenteuer unterhalten, die wir zusammen erlebt haben.« Cicero lie? meine Hande los, und ich sah die in der warmen Abendluft flirrende landliche Idylle noch einen Augenblick vor mir, dann verblasste sie. »Und«, sagte er forsch, »das Angebot ist in keiner Weise daran gebunden, ob du diese Aufgabe nun ubernimmst oder nicht, das mochte ich noch einmal deutlich betonen. Du hast es dir jetzt schon mehr als genug verdient. Ich wurde dir nie befehlen, dich in Gefahr zu begeben. Du wei?t, wie schlecht es im Augenblick um meine Sache bestellt ist. Du allein musst tun, was du fur richtig haltst.«
Das waren fast genau seine Worte. Wie hatte ich sie auch jemals vergessen konnen?
KAPITEL XVII
Die Konferenz sollte bei Einbruch der Dunkelheit beginnen, was bedeutete, dass wir keine Zeit mehr zu verlieren hatten. Als die Sonne hinter dem Kapitolshugel versank und ich zum zweiten Mal an diesem Tag den Palatin hinaufging, hatte ich das beunruhigende Gefuhl, in eine Falle zu tappen. Wie konnte ich mir oder in diesem Fall auch Cicero sich sicher sein, dass Caelius Rufus nicht die Seiten gewechselt hatte und seine Loyalitat jetzt Crassus gehorte? War »Loyalitat« nicht ohnehin ein absurdes Wort angesichts des auf wechselhafte, fluchtige Vergnugungen ausgerichteten Charakters meines jungen, launenhaften Begleiters? Jedenfalls konnte man jetzt sowieso nichts mehr andern. Caelius bog gerade vor mir in einen schmalen Weg ein, der zur Ruckseite von Crassus' Haus fuhrte. Er druckte einen dichten Vorhang aus dicken, verschlungenen Efeuranken zur Seite, hinter dem eine winzige eisenbeschlagene Tur zum Vorschein kam, die vollkommen zugerostet aussah. Trotzdem schwang sie nach einem kurzen, kraftigen Sto? von Caelius' Schulter gerauschlos auf. Wir sprangen in einen leeren Kellerraum.
Wie Catilinas Haus war auch dieses sehr alt und im Lauf der Jahrhunderte immer wieder erweitert worden, sodass ich in den labyrinthischen Gangen schon nach kurzer Zeit die Orientierung verlor. Crassus war beruhmt dafur, dass er viele au?erst gut ausgebildete Sklaven besa?, die er ubrigens als eine Art Arbeitsvermittler auch au?er Haus vermietete. Er hatte so viele Sklaven, dass es mir unmoglich erschien, unentdeckt bis in besagten Raum vorzudringen. Aber wenn Caelius in seinen Jahren der juristischen Ausbildung in Rom etwas gelernt hatte, dann war es, wie man irgendwo gesetzwidrig rein- und wieder rauskam. Wir durchquerten einen Innenhof, schlupften kurz in ein Vorzimmer, um ein Hausmadchen vorbeizulassen, und betraten schlie?lich einen gro?en leeren Raum, der mit erlesenen Wandteppichen aus Babylon und Korinth geschmuckt war. In der Mitte standen im Halbkreis etwa zwanzig vergoldete Stuhle, darum herum zahlreiche schon entzundete Lampen und Kandelaber. Caelius nahm eine der Lampen, ging zugig zu einem schweren wollenen Wandteppich, auf dem Diana mit einem Speer einen Hirsch erlegte, und hob ihn am Rand an. Dahinter verbarg sich eine Nische wie fur eine Statue, gerade hoch und tief genug fur einen einzelnen Mann, mit einem kleinen, etwa in Mannshohe vorstehenden Sims, auf den Caelius die Lampe stellte. Als ich laute Mannerstimmen horte, schlupfte ich schleunigst in die Nische. Caelius legte den Finger an die Lippen, zwinkerte mir zu und hangte den Wandteppich wieder vor die Offnung. Schnell verklangen seine Schritte, ich war allein.
Erst war ich vollkommen blind, doch allmahlich gewohnte ich mich an das schwache Licht der Ollampe, die direkt hinter meiner Schulter stand. Vor mir entdeckte ich mehrere winzige Gucklocher, die man in das dicke Wollgewebe gebohrt hatte und durch die ich den ganzen Raum uberblicken konnte. Ich horte jetzt Schritte, die rasch naher kamen, und plotzlich schob sich vor meine Augen etwas Dunkles, das ich verschwommen als die Ruckseite eines verrunzelten, rosafarbenen Glatzkopfes ausmachte. In der nachsten Sekunde drohnte Crassus' Stimme so laut in meinen Ohren, dass ich fast nach vorn gestolpert ware. Er bat seine Gaste mit freundlicher Stimme, doch einzutreten. Dann gab er meine Gucklocher frei, und andere Manner gingen an mir vorbei und nahmen auf den Stuhlen Platz: der behande Catilina, Hybrida mit seinem Saufergesicht, der geschniegelt und gleichgultig- arrogant wirkende Caesar, der untadelige Lentulus Sura, Mucius, der Held des Nachmittags, und zwei beruchtigte Stimmenkaufer. Au?erdem erkannte ich einige Senatoren, die das Volktribunat anstrebten. Sie alle schienen bester Laune zu sein, waren zu Scherzen aufgelegt, und Crassus musste erst ein paar Mal in die Hande klatschen, um die Besprechung eroffnen zu konnen.
»Meine Herren, vielen Dank, dass ihr gekommen seid«, sagte er, wobei er mit dem Rucken zu mir stand. »Es gibt viel zu besprechen, und wir haben nicht viel Zeit. Also gleich zum ersten Punkt: Agypten. Caesar?«
Crassus setzte sich, und Caesar stand auf. Mit dem Zeigefinger strich er sich eins seiner dunnen Haare hinter das Ohr. Vorsichtig, um ja kein Gerausch zu machen, zog ich mein Notizbuch und meinen Schreibgriffel hervor. Und als Caesar mit seiner unverwechselbar scharfen Stimme zu sprechen begann, begann ich zu schreiben.
*
Meine Kurzschrifttechnik ist - wenn ich mir an dieser Stelle diese unbescheidene Zwischenbemerkung erlauben darf - eine ganz wunderbare Erfindung. Auch wenn ich zugeben muss, dass Xenophon schon knapp vierhundert Jahre vor mir eine primitive Spielart davon entwickelt hatte, die aber mehr ein privates Hilfssystem zur Abfassung von Texten als eine richtige Kurzschrift war. Au?erdem funktionierte sein System nur auf Griechisch,