verlie? das Haus, ohne mich zu bemerken, und ging, gefolgt von einem Sekretar mit Aktentasche, sofort die Stra?e hinunter Richtung Forum. Kurze Zeit spater tauchte Caelius auf. Er blieb auf der Turschwelle stehen, hielt sich gegen die Sonne die Hand uber die Augen und blinzelte in meine Richtung. Ich sah sofort, dass er wie ublich die ganze Nacht unterwegs gewesen und offensichtlich wenig erbaut davon war, dass man ihn geweckt hatte. Ein dichter Stoppelbart bedeckte sein gut geschnittenes Kinn. Standig steckte er die Zunge heraus, schluckte und verzog das Gesicht, als ware der Geschmack in seinem Mund so grasslich, dass er ihn nicht mehr lange aushalten wurde. Mit vorsichtigen Schritten kam er zu mir heruber, und als er mich fragte, was um alles in der Welt ich denn wollte, stammelte ich, dass er mir unbedingt etwas Geld leihen musse.

Er blinzelte mich unglaubig an. »Wofur?«

»Na ja, es gibt da ein Madchen«, sagte ich linkisch. Das Gleiche hatte er mir immer geantwortet, wenn er mich um Geld angepumpt hatte, und mir fiel einfach nichts anderes ein. Ich fasste ihn am Arm und versuchte mit ihm ein Stuck die Stra?e hinunterzugehen, weil ich befurchtete, Crassus konnte plotzlich in der Tur auftauchen und uns zusammen sehen. Aber er zog seinen Arm weg und blieb schwankend stehen, wo er war.

»Ein Madchen?«, wiederholte er. »Du?« Dann fing er an zu lachen. Aber anscheinend bekam er solche Kopfschmerzen davon, dass er gleich wieder aufhorte und sich mit den Fingern uber die Schlafen fuhr. »Wenn ich Geld hatte, Tiro, wurde ich es dir sofort geben. Ich wurde es dir sogar schenken, einfach weil ich dich zu gern mal mit einem anderen Lebewesen als mit Cicero sehen wurde. Aber das wird wohl nie passieren, du bist nicht der Typ fur Madchen. Soweit ich das beurteilen kann, mein armer Tiro, bist du fur gar nichts der richtige Typ.« Er schaute mich scharf an. »Wofur brauchst du das Geld wirklich?« Warmer Atem, der nach abgestandenem Wein roch, stieg mir in die Nase. Unwillkurlich schuttelte es mich, was er sofort als Gestandnis missdeutete. »Du lugst«, sagte er. Langsam breitete sich ein Grinsen auf seinem Stoppelgesicht aus. »Cicero hat dich hergeschickt, weil er irgendwas wissen will.«

Wieder zupfte ich ihn am Armel, und diesmal ging er mit. Allerdings nur ein paar Schritte, denn die plotzliche Bewegung schien ihm nicht zu bekommen. Er blieb auf einmal stehen, wurde kalkwei? im Gesicht und hielt warnend einen Finger in die Luft. Dann traten ihm die Augen aus den Hohlen, der Hals schwoll an, und nach einem besorgniserregenden Wurgen schoss ihm ein Schwall zahflussigen Breis aus dem Mund, der mir sofort ein anderes Bild in Erinnerung rief: das von einem Zimmermadchen, das aus dem ersten Stock einen vollen Eimer auf die Stra?e leert. (Man moge mir die Einzelheiten verzeihen, aber diese Szene ist mir eben zum ersten Mal seit sechzig Jahren wieder eingefallen, und ich musste derma?en lachen.) Jedenfalls schien Caelius das gut getan zu haben, denn die Farbe kehrte in sein Gesicht zuruck, und er war gleich viel munterer und fragte, was Cicero denn nun von ihm wissen wolle.

»Das liegt doch auf der Hand«, erwiderte ich leicht gereizt.

»Ich wunschte, ich konnte euch helfen, Tiro«, sagte er und wischte sich mit dem Handrucken den Mund ab. »Du wei?t, dass ich euch helfen wurde, wenn ich konnte. Bei Crassus ist es nicht halb so angenehm wie bei Cicero. Der alte Glatzkopf ist vielleicht ein Ekel - noch schlimmer als mein Vater. Buchfuhrung von morgens bis abends, das ist so ziemlich das Langweiligste, was es gibt auf der Welt, bis auf Handelsrecht vielleicht, damit hat er mich den ganzen letzten Monat geknechtet. Aber was Politik angeht, die ich ja ganz unterhaltsam finde, da halt er mich von allem fern.«

Ich versuchte es noch mit ein paar Fragen, zum Beispiel uber Caesars Besuch an jenem Morgen, aber es zeigte sich schnell, dass er uber Crassus' Plane nicht das Geringste wusste. (Naturlich kann er auch gelogen haben, aber angesichts seiner notorischen Geschwatzigkeit bezweifelte ich das.)

Nachdem ich mich dennoch bei ihm bedankt und schon 'halb zum Gehen gewandt hatte, hielt er mich am Ellbogen fest. »Cicero muss wirklich verzweifelt sein, wenn er mich im Hilfe bittet«, sagte er und schaute mich mit ungewohnter Ernsthaftigkeit an. »Sag ihm, dass es mir leidtate, wenn er in Schwierigkeiten stecken sollte. Er ist ein Dutzend Mal mehr wert als Crassus und mein Vater zusammen.«

*

Ich nahm nicht an, dass ich Caelius Rufus so bald wiedersehen wurde. Den ganzen Tag, der vollkommen im Zeichen der Abstimmung uber das Bestechungsgesetz stand, dachte ich nicht mehr an ihn. Cicero war auf dem Forum unermudlich tatig. Mit seinem Gefolge ging er von einem Mitglied eines Wahlbezirks zum nachsten und setzte sich nachdrucklich fur Figulas Gesetzesentwurf ein. Am meisten freute ihn, dass er unter der Flagge mit dem Namen VETURIA einige Hundert Burger aus Gallia Cisalpina antraf, die als Reaktion auf seine Wahlkampfreise zum ersten Mal nach Rom gekommen waren, um ihre Stimme abzugeben. Lang und breit sprach er mit ihnen daruber, wie wichtig es sei, den Stimmenkauf bei Wahlen auszumerzen. Als er sich schlie?lich von ihnen verabschiedete, hatte er feuchte Augen. »Ein Jammer«, murmelte er. »Da reisen die armen Leute von so weit her an und mussen sich von Crassus und seinem Geld verhohnen lassen. Aber wenn wir das Gesetz durchbekommen, dann habe ich vielleicht die Waffe in der Hand, mit der ich den Schurken zur Strecke bringen kann.«

Ich hatte den Eindruck, dass Ciceros Arbeit Fruchte trug und die lex Figula angenommen werden wurde, denn die Mehrheit der Wahler war nicht korrupt. Aber nur weil eine gesetzliche Ma?nahme redlich und vernunftig ist, hat man noch keine Garantie, dass sie auch angenommen wird; nach meiner Erfahrung trifft sogar das Gegenteil zu. Am fruhen Nachmittag trat der populare Volkstribun Mucius Orestinus - der, des Raubes angeklagt, einmal Ciceros Klient gewesen war - an die Rampe der Rostra und verunglimpfte das Gesetz als Angriff der Aristokraten auf die Integritat des Volkes. Er hob sogar Cicero als Einzigen namentlich hervor und bezeichnete ihn als einen Mann, der - so seine Worte - »fur das Amt des Konsulats ungeeignet« sei und sich als Freund des Volkes aufspiele, aber nie etwas fur das Volk getan habe, es sei denn, er habe damit auch seine eigenen Interessen fordern konnen. Die eine Halfte der Menge quittierte diese Au?erung mit Buhrufen und Hohngelachter, die andere - vermutlich die, die ihre Stimme regelma?ig verkaufte und das auch weiter so halten wollte - jubelte begeistert.

Das war zu viel fur Cicero. Schlie?lich hatte er erst im Jahr zuvor einen Freispruch fur Mucius erreicht. Wenn diese aalglatte Ratte jetzt sein sinkendes Schiff verlie?, dann musste es jeden Augenblick auf den Meeresgrund aufschlagen. Cicero bahnte sich mit vor Zorn hochrotem Kopf einen Weg durch die Menge und forderte, antworten zu durfen. »Was ist mit deiner Stimme, Mucius, wer hat die gekauft?«, brullte er, doch Mucius stellte sich taub. Die Menschen um uns herum zeigten auf Cicero, stie?en ihn nach vorn zu den Tempelstufen und riefen dem Volkstribun zu, er solle ihn sprechen lassen, aber das war augenscheinlich das Letzte, was Mucius wollte. Er wollte uberhaupt nicht, dass uber das Gesetz abgestimmt wurde, weil er furchtete, dass es angenommen werden konnte. Er hob den Arm und verkundete, begleitet von tumultartigen Szenen und Handgreiflichkeiten zwischen den beiden rivalisierenden Fraktionen, mit feierlicher Stimme, dass er sein Veto gegen die Vorlage einlege. Damit war die lex Figula gestorben. Figulus erklarte daraufhin, dass er fur den morgigen Tag eine Sitzung des Senats einberufe, damit uber das weitere Vorgehen beraten werden konne.

Das war ein bitterer Augenblick fur Cicero. Als wir wieder zu Hause waren und ich es schlie?lich geschafft hatte, die Tur vor der nachdrangenden Anhangerschar zu schlie?en, furchtete ich, er wurde wie damals am Tag vor den Wahlen zum Adilat einen Zusammenbruch erleiden. Er war sogar zu erschopft, um mit Tullia zu spielen. Und auch als Terentia ihm vorfuhrte, wie der kleine Marcus seine ersten wackeligen Schritte ohne fremde Hilfe machte, hob er seinen Sohn nicht hoch, um ihn in die Luft zu werfen, wie er es sonst zur Begru?ung immer tat, sondern tatschelte ihm nur die Wange, zwickte ihn geistesabwesend am Ohr und ging dann gleich weiter Richtung Arbeitszimmer - auf dessen Schwelle er uberrascht stehen blieb, weil da niemand anderer als Caelius Rufus vor seinem Schreibpult sa?.

Laurea, der neben der Tur stand, entschuldigte sich bei Cicero. Er habe Caelius gesagt, dass er wie alle anderen Besucher im Tablinum warten solle, aber der habe sich nicht abweisen lassen; was er mitzuteilen habe, sei so vertraulich, dass er von Fremden lieber nicht gesehen werden wolle.

»Ist schon gut, Laurea. Unser junger Freund Rufus ist immer willkommen. Allerdings furchte ich«, setzte Cicero hinzu, wahrend er Caelius die Hand schuttelte, »dass ich nach dem langen und deprimierenden Tag heute einen ziemlich trubseligen Unterhalter abgebe.«

»Vielleicht muntern dich die Neuigkeiten, die ich habe, ja ein bisschen auf«, sagte Caelius und fing an zu grinsen.

»Ist etwa Crassus gestorben?«

»Ganz im Gegenteil«, erwiderte Caelius lachend. »Er ist sogar quicklebendig. Angesichts des zu erwartenden Triumphs bei den Wahlen hat er fur heute Abend schon mal eine gro?e Konferenz einberufen.«

»Ach, tatsachlich?«, sagte Cicero. Ich sah sofort, dass diese Information ihn wieder etwas belebte wie ein kurzer Nieselregen eine verwelkte Blume. »Und wer nimmt da teil, an dieser Konferenz?«

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