»Irgendwie habe ich immer gewusst, dass mit der Wahl irgendetwas nicht stimmt. instinktiv. Ich habe gespurt, dass da von Anfang eine unsichtbare Macht gegen mich am Werk ist. Hybrida und Catilina! Keine Wahl hat solche Kreaturen als Kandidaten verdient, geschweige denn als Spitzenkandidaten. Werkzeuge anderer Leute, nichts weiter.«

»Dann kampfen wir also gegen Crassus?«, fragte Quintus. seine Stimme klang, als hatte er schon aufgegeben.

»Crassus, ja. Oder ist es in Wirklichkeit Caesar, der mit Crassus' Geld agiert? Jedes Mal, wenn ich mich umschaue, bilde ich mir ein, ich sahe gerade noch einen Zipfel von Caesars Umhang hinter einer Ecke verschwinden. Er glaubt, er ist kluger als alle anderen, und vielleicht ist er das ja auch. Aber nicht in diesem Fall. Atticus ...« Er blieb vor seinem Freund stehen und umfasste mit beiden Handen dessen Hande.». mein alter Freund, ich kann dir gar nicht genug danken.«

»Wofur? Ich habe blo? einen faden Schwatzer abgefullt, und der hat mir dann etwas erzahlt. Nicht der Rede wert.«

»Ganz im Gegenteil, um die Geschichten von faden Schwatzern zu ertragen, braucht man Stehvermogen. Und Stehvermogen ist ein elementarer Bestandteil von Politik. Es sind die Schwatzer, von denen man die wichtigen Sachen erfahrt.« Cicero druckte Atticus herzlich die Hande und wandte sich dann an seinen Bruder. »Wir brauchen ein paar Beweise, Quintus. Ranunculus und Filum sind dafur genau die Richtigen, die stobern schon was auf fur uns. Es gibt wahrscheinlich nicht viel in diesen Wahlkampfzeiten, uber das die beiden nicht Bescheid wissen.«

Quintus war seiner Meinung, und so endete schlie?lich das Schattenboxen im Vorfeld dieser Konsulatswahl, und der echte Kampf konnte beginnen.

KAPITEL XVI

Um herauszufinden, was da vor sich ging, dachte sich Cicero eine Falle aus. Anstatt sich einfach danach zu erkundigen, welche Plane Crassus verfolge - was nicht nur zu nichts fuhren, sondern Ciceros Gegner obendrein darauf aufmerksam machen wurde, dass er einen Verdacht hatte -, rief er Ranunculus und Filum zu sich. Er trug ihnen auf, in der Stadt das Angebot zu streuen, dass sie im Auftrag eines anonymen Senators, der seine Chancen bei den anstehenden Konsulatswahlen bedroht sehe jedem Wahlerverein pro Stimme funfzig Sesterzen zahlen wurden.

Ranunculus war ein gnomenhaftes, irgendwie unfertig aussehendes Wesen, auf dessen schwachlichem Korper ein Kopf mit einem platten, runden Gesicht sa?. Den Spitznamen »Kaulquappe« trug er zu Recht. Filum sah aus wie eine Riesenspindel, wie ein mit Leben erfullter Holzstock.

Schon die Vater und Gro?vater der beiden waren Stimmenkaufer gewesen. Sie kannten das Spiel. Sie verschwanden in den Seitenstra?en und Weinschenken und konnten Cicero eine Woche spater berichten, dass etwas sehr Seltsames im Gang war. Keiner der bekannten Stimmenkaufer war zur Zusammenarbeit bereit. »Was hei?t«, wie es Ranunculus mit seiner piepsigen Stimme ausdruckte, »dass Rom zum ersten Mal seit dreihundert Jahren nur von ehrbaren Mannern bevolkert ist oder dass alle Stimmen, die zu kaufen waren, schon aufgekauft worden sind.«

»Es muss doch einen geben, der umfallt«, sagte Cicero. Wir erhohen den Preis! Macht euch wieder auf die Beine, bietet diesmal hundert.«

Also zogen sie erneut los, kamen aber nach einer weiteren Woche mit dem gleichen Ergebnis wieder zuruck. Die anscheinend schon an die Stimmenkaufer ausbezahlte Summe musste so gro? gewesen sein, dass sich keiner den geheimnisvollen Klienten zum Feind machen wollte. Es war keine einzige Stimme mehr auf dem Markt, und es lief nicht einmal die Andeutung eines Geruchts um, wer dieser Klient sein konnte. Nun stellt sich die Frage, wie eine derart umfassende Operation, bei der es um Tausende von Stimmen ging, abgewickelt werden konnte, ohne dass auch nur das Geringste durchsickerte. Die Antwort lautet, dass alles sehr gut organisiert war, dass vielleicht nur ein Dutzend Vermittler - Interpreter, wie sie genannt wurden - eingeschaltet waren, die die Identitat des Kaufers kannten (ich muss gesehen, dass in der Vergangenheit auch Ranunculus und Fiulum als interpretes tatig gewesen waren). Diese Leute kontaktierten die Funktionare des Wahlervereins und handelten den Preis aus - die und die Summe fur, sagen wir, funfzig oder funfhundert Stimmen, je nachdem wie gro? der Verein war. Weil naturlich keiner in diesem Spiel dem anderen aber den Weg traute, wurde das Geld danach an den Sequester ubergeben, eine weitere Mittelsperson, die das Bargeld zur Uberprufung durch die Stimmenkaufer aufbewahrte. Und schlie?lich gab es fur die Auszahlung nach der Wahl eine dritte Spezies Dunkelmanner, die sogenannten divisores, die das Geld verteilten. Deshalb war die erfolgreiche Bekampfung dieser Art von Korruption au?erst schwierig, denn selbst wenn man einen Mann bei der Ubergabe von Bestechungsgeldern festnehmen konnte, war es gut moglich, dass der keine Ahnung hatte, wer der eigentliche Auftraggeber fur den Stimmenkauf war. Und dennoch wollte Cicero einfach nicht hinnehmen, dass niemand das Schweigen brach. »Wir haben es hier nicht mit einem altehrwurdigen romischen Ritterorden zu tun«, brullte er in einem seiner seltenen Wutanfalle. »Das sind Stimmenkaufer. Irgendwo sitzt einer, der sogar einen so gefahrlichen Zahlmeister wie Crassus betrugt, wenn das Geld stimmt. Also los, findet den Kerl, und findet raus, wie hoch sein Preis ist - oder muss ich etwa alles selbst machen?«

Um diese Zeit - das muss in der zweiten Junihalfte gewesen sein, etwa einen Monat vor dem Wahltermin - wusste die ganze Stadt, dass etwas Seltsames vor sich ging. Es bahnte sich eine der denkwurdigsten und am hartesten umkampften Wahlen der jungeren Geschichte an, mit nicht weniger als sieben Kandidaten fur das Konsulat, was hie?, dass sich in jenem Jahr viele Manner gute Chancen ausrechneten. Die Spitzenkandidaten, so die allgemeine Erwartung, wurden Catilina, Hybrida und Cicero sein. Dahinter sah man den arroganten und schroffen Galba und den tiefreligiosen Cornificius. Fur chancenlos hielt man den korpulenten Exprator Cassius Longinius sowie Gaius Licinius Sacerdos, der noch vor Verres Statthalter von Sizilien gewesen und mindestens zehn Jahre alter als seine Rivalen war. (Sacerdos war einer jener irritierenden Kandidaten, die »keine personlichen Ziele verfolgten«, wie sie gern sagten, sondern denen es ausschlie?lich um »Sachfragen« ging. Uber solche Leute pflegte Cicero zu sagen: »Vor Mannern, die behaupten, dass sie ein Amt nicht fur sich selbst anstreben, muss man sich immer in Acht nehmen. Das sind die eitelsten von allen.«) Einige der Kandidaten, denen die ungewohnliche Umtriebigkeit der Stimmenkaufer nicht verborgen geblieben war, konnten den Konsul Marcius Figulus dazu bewegen, im Senat einen scharfen Gesetzesentwurf gegen illegale Wahlkampfpraktiken einzubringen, der unter dem Namen lex Figula bekannt wurde. Es war einem Kandidaten schon vorher verboten gewesen, Bestechungsgeld anzubieten; das neue Gesetz stellte auch unter Strafe, wenn ein Wahler Bestechungsgeld annahm.

Am Tag der Senatsaussprache uber den Gesetzesantrag bat der Konsul zuerst reihum die Kandidaten um ihre Meinung. Sacerdos, dem als altesten Kandidaten das erste Rederecht zustand, sprach sich scheinheilig fur das neue Gesetz aus; ich konnte sehen, wie Cicero sich vor Arger wand angesichts der Phrasen, die Sacerdos von sich gab. Hybrida sprach sich naturlich dagegen aus, stumperhaft und geistlos, wie man es von ihm gewohnt war - niemand ware auf den Gedanken gekommen, dass sein Vater einmal der begehrteste Anwalt Roms gewesen war. Der ohnehin chancenlose Galba nutzte die Gelegenheit, um seine Kandidatur zuruckzuziehen und hochmutig zu erklaren, dass die Teilnahme an einem derart erbarmlichen Schauspiel nur die Erinnerung an seine Vorfahren besudele. Catilina sprach sich aus naheliegenden Grunden ebenfalls gegen die lex Figula aus. Allerdings muss ich zugeben, dass er ein beeindruckendes Bild abgab, wie er seelenruhig und hoch aufragend zwischen seinen Banknachbarn stand. Als er zum Schluss seiner Ausfuhrungen kam, deutete er auf Cicero und donnerte, dass die Einzigen, die von einem weiteren neuen Gesetz profitieren wurden, die Anwalte seien, was die Aristokraten mit den ublichen Bravorufen quittierten. Als Cicero sich erhob, war ich gespannt, was er sagen wurde. Er befand sich in einer heiklen Lage, denn er wollte naturlich nicht, dass das Gesetz scheiterte, aber so kurz vor dem wichtigsten Wahlgang seines Lebens wollte er genauso wenig bei den Wahlervereinen anecken, die das Gesetz naturlich als Angriff auf ihre Ehre betrachteten. Er zog sich geschickt aus der Affare.

»Im Prinzip befurworte ich das Gesetz«, sagte er. »Denn es kann nur den Schuldigen zur Last werden. Der ehrenhafte Burger hat von einem Gesetz gegen die Bestechung nichts zu befurchten, und der unehrenhafte sollte daran erinnert werden, dass eine Stimme eine heilige Verpflichtung ist und kein Gutschein, den man einmal im Jahr zu Geld machen kann. Aber es gibt etwas, das nicht stimmt an diesem Gesetz: ein Ungleichgewicht, das ins Lot gebracht werden muss. Wollen wir wirklich, dass der arme Mann, der der Versuchung erliegt, scharfer zu verurteilen ist als der reiche Mann, der den Armen vorsatzlich dieser Versuchung ausgesetzt hat? Ich will das Gegenteil: Wenn

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