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Wir kamen Mitte Januar an, und zunachst schien alles gut zu laufen. Cicero sturzte sich wieder in die Hektik seiner anwaltlichen Tatigkeit in den Gerichtshofen, und der Wahlkampfstab traf sich wieder wochentlich unter der Leitung von Quintus, der Cicero versicherte, dass seine Anhangerschaft nach wie vor fest zu ihm stehe. Der junge Caelius gehorte nicht mehr zum Kreis, wurde aber mehr als ersetzt von Ciceros altestem und engstem Freund Atticus, der nach zwanzig Jahren in Griechenland nach Rom zuruckgekehrt war.

Atticus, dessen Bedeutung fur Ciceros Leben ich bislang nur gestreift habe, begann nun eine au?erst bedeutsame Rolle fur ihn zu spielen. Ohnehin schon ein reicher Mann, hatte er erst kurzlich ein prachtiges Haus auf dem Quirinal plus zwanzig Millionen Sesterzen in bar geerbt, und zwar von seinem Onkel Quintus Caecilius, der einer der verhasstesten und menschenfeindlichsten Geldverleiher Roms gewesen war. Es sagt viel uber Atticus, dass er der Einzige war, der mit dem widerwartigen alten Mann bis zu dessen Tod einen einigerma?en normalen Umgang gepflegt hatte. Obwohl einige hinter diesem Verhalten Opportunismus zu erkennen glaubten, hatte es sich Atticus in Wahrheit aufgrund seiner Lebensphilosophie zum Prinzip gemacht, sich niemals mit einem Menschen zu streiten. Er war ein begeisterter Anhanger der Lehren von Epikur -»Anfang und Ende jeden glucklichen Lebens ist das Vergnugen« -, wobei ich anmerken mochte, dass er nicht zu der Sorte von Epikureern gehorte, die im Allgemeinen als Luxussuchtige missverstanden werden, sondern ein Anhanger der wahren Lehre war, die danach zu trachten sucht, was die Griechen ataraxia oder unerschutterliche Seelenruhe nennen. Er ging Streitigkeiten und unerfreulichen Dingen jeder Art konsequent aus dem Weg (selbstredend war er unverheiratet) und wollte nichts anderes vom Leben, als sich tagsuber mit Philosophie zu beschaftigen und abends zusammen mit seinen kultivierten Freunden zu speisen. Er glaubte, dass die gesamte Menschheit das anstreben sollte, und wunderte sich daruber, dass sie das nicht tat. Cicero erinnerte Atticus gelegentlich an eine Tatsache, die er gern verga?: dass namlich nicht jeder ein Vermogen geerbt hatte. Er zog nie auch nur eine Sekunde etwas so Enervierendes oder Gefahrliches wie eine politische Karriere in Erwagung. Dennoch hatte er sich die Muhe gemacht, gleichsam als Versicherung gegen die Wechselfalle des Lebens, zu jedem Aristokraten, der jemals nach Athen gekommen war, freundschaftlichen Kontakt zu suchen - was im Lauf von zwei Jahrzehnten eine stattliche Anzahl gewesen war. Von jedem Besucher hatte er den Fanilienstammbaum aufgezeichnet, hatte diesen von seinen Sklaven mit herrlichen Illustrationen versehen lassen und hn dann als Geschenk uberreicht. Au?erdem konnte Attikus hervorragend mit Geld umgehen. Kurz: Es durfte wohl nie jemanden gegeben haben, der sich mit so weltlichen Mitteln von allem Weltlichen zu losen trachtete wie Titus Pomponius Atticus.

Er war drei Jahre alter als Cicero, der gro?en Respekt vor ihm hatte, nicht nur wegen seines Reichtums, sondern auch wegen seiner gesellschaftlichen Verbindungen. Denn wenn ss einen Mann gibt, dem man quasi automatisch Zugang zu den gut unterrichteten Kreisen gewahrt, dann ist es jemand wie der vermogende und geistreiche Junggeselle von Mitte vierzig, der aufrichtiges Interesse an der Ahnentafel seines Gastgebers und seiner Gastgeberin bekundet. Das machte Atticus zur unschatzbaren Quelle politischer Informationen, und es waren seine Auskunfte, die Cicero allmahlich vor Augen fuhrten, wie ernst zu nehmend der Widerstand gegen seine Kandidatur war. Als Erstes erfuhr Atticus bei einem Tischgesprach von seiner beruhmten Freundin Servilia, der Halbschwester Catos, dass Antonius Hybrida definitiv in den Wahlkampf einsteigen wurde. Ein paar Wochen spater berichtete er Cicero von einer Bemerkung, in der Hortensius (ebenfalls einer seiner Bekannten) angedeutet habe, dass Hybrida und Catilina planten, gemeinsam anzutreten. Das war ein herber Schlag. Obwohl Cicero so tat, als nahme er es auf die leichte Schulter - »ist doch bestens, ein doppelt so gro?es Ziel kann man auch doppelt so leicht treffen« -, spurte ich, dass er angeschlagen war. Er selbst hatte keinen Mitkandidaten, und im Augenblick gab es auch niemanden, der ernsthaft dafur infrage gekommen ware.

Aber die wirklich schlechte Nachricht erreichte uns erst im spaten Fruhjahr nach der Sitzungspause des Senats. Atticus lie? den beiden Cicero-Brudern eine Nachricht zukommen, dass er sie dringend sprechen musse, und so machten wir drei uns nach Schlie?ung der Gerichte sofort auf den Weg. Atticus' Haus, das auf einem Felsvorsprung neben dem Tempel des Salus stand, war die perfekte Junggesellenbehausung - nicht zu gro?, aber mit dem herrlichsten Ausblick auf die Stadt, vor allem von der Bibliothek aus, die Atticus zum Herzstuck des Hauses gestaltet hatte. Busten der bedeutendsten Philosophen hingen an den Wanden, und es standen uberall kleine gepolsterte Banke herum, da Atticus es sich zur festen Regel gemacht hatte, nie ein Buch zu verleihen, aber jedem seiner Freunde erlaubte, ihn jederzeit zu besuchen und ein Buch vor Ort zu lesen oder sich sogar eine Abschrift davon zu machen. Als wir die Bibliothek an jenem Nachmittag betraten, lag Atticus in der weiten wei?en Tunika eines Griechen unter dem Kopf von Aristoteles auf einer Liege und las, wenn ich mich recht erinnere, in einer Ausgabe von Kyriai doxai, der zentralen Lehre von Epikur.

Er kam sofort zur Sache. »Ich war gestern auf dem Palatin, zum Abendessen im Haus von Metellus Celer und seiner Frau Clodia. Einer von den anderen Gasten war ein ehemaliger Konsul, ein Aristokrat von feinstem Geblut ...« Er blies auf einer imaginaren Trompete. »Und zwar kein Geringerer als Publius Cornelius Lentulus Sura.«

»Himmel noch mal«, sagte Cicero lachelnd. »Mit wem du alles verkehrst.«

»Hast du gewusst, dass Lentulus noch einmal antreten will? Er will sich im Sommer zum Prator wahlen lassen.«

»Ach, tatsachlich?« Cicero schaute finster drein und rieb sich die Stirn. »Er ist ein Busenfreund von Catilina. Dann stecken beide wohl unter einer Decke. Allmahlich finden sie alle zusammen, die Halunken.«

»Kann man wohl sagen, das ist eine ganz hubsche politische Bewegung - er, Catilina, Hybrida, und ich hatte den Eindruck, dass da noch andere dabei sind. Aber er hat sonst keine Namen genannt. Irgendwann hat er uns allen einen Papyrus mit der Prophezeiung eines Orakels unter die Nase gehalten, er wurde der dritte Cornelier sein, der als Diktator uber Rom herrschen wurde.«

»Die alte Schnarchnase? Diktator? Du hast ihm hoffentlich ins Gesicht gelacht?«

»Nein, das habe ich nicht«, sagte Atticus. »Ich habe ihn sehr ernst genommen. Das solltest du zur Abwechslung auch mal versuchen, Cicero, anstatt nur immer deine vernichtenden Sticheleien abzuschie?en, nach denen kein Mensch mehr den Mund aufmacht. Nein, ich habe ihn ermutigt, doch weiterzuerzahlen, und er trank noch einen kleinen Becher von Celers exzellentem Wein, und ich horte weiter zu. Und er trank und trank, bis er mich schlie?lich zur Verschwiegenheit verpflichtete und mir sein gro?es Geheimnis anvertraute.«

»Und das ist?«, fragte Cicero und beugte sich auf seinem Stuhl vor, denn Atticus hatte sie bestimmt deshalb hierher zitiert.

»Sie haben Crassus.«

Stille.

»Crassus' Stimme?«, fragte Cicero. Soweit ich mich erinnern kann, war dies das erste Mal, dass ich Cicero etwas derart Idiotisches habe sagen horen: Ich schreibe es dem Schock zu.

»Nein«, antwortete Atticus gereizt. »Er unterstutzt sie. Du wei?t, was ich meine. Er finanziert sie. Kauft ihnen einfach die komplette Wahl - sagt Lentulus.«

Vorubergehend schien Cicero seiner Sprache beraubt. Nach einer langen Pause war es Quintus, der als Erster wieder das Wort ergriff: »Das glaube ich nicht. Lentulus muss ganz schon gebechert haben, wenn er derma?en lacherliche Spruche von sich gibt. Was sollte Crassus fur einen Grund haben, solche Leute an die Macht zu bringen?«

Cicero fand seine Stimme wieder. »Um mich fertigzumachen«, sagte er.

»Blodsinn!«, rief Quintus verargert. (Warum war er so verargert? Ich nehme an, weil er befurchtete, die Geschichte konnte stimmen. Dann wurde er wie ein Idiot dastehen, vor allem weil er seinem Bruder immer wieder versichert hatte, dieser hatte die Wahl schon so gut wie gewonnen.) »Kompletter Blodsinn!«, rief er noch einmal, allerdings nun etwas weniger selbstsicher. »Wir wissen doch, dass Crassus bereits kraftig in Caesars Zukunft investiert. Zwei Konsulate plus eine Pratur zusatzlich, das kostet. Nicht nur eine Million Sesterzen, sondern vier oder funf. Er hasst dich, Marcus, das wei? jeder. Aber ob er dich mehr hasst, als er sein Geld liebt? Da habe ich meine Zweifel.«

»Nein«, sagte Cicero mit fester Stimme. »Ich glaube, du liegst falsch, Quintus. Die Geschichte hort sich verdammt wahr an. Es ist meine Schuld, dass ich die Gefahr nicht fruher erkannt habe.« Er war jetzt auf den Beinen und ging hin und her, wie immer, wenn er angestrengt uber etwas nachdachte. »Angefangen hat alles mit Hybridas Spielen des Apollo - die muss schon Crassus bezahlt haben. Mit den Spielen ist Hybrida von den politischen Toten auferstanden. Und Catilina? Konnte der mit den paar Statuen und Bildern so viel Geld flussig machen, um eine ganze Geschworenenbank zu bestechen? Bestimmt nicht. Und selbst wenn, wer bezahlt jetzt seinen Wahlkampf? Ich habe sein Haus von innen gesehen, und eins ist sicher: Der Mann ist bankrott.« Cicero fuhr herum, sein geistesabwesender Blick ging nach links, nach rechts, so schnell, wie in seinem Kopf die Gedanken aufblitzten.

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