Konsuls Marcus Tullius Cicero. Na, hort sich nicht schlecht an, was? Mit spottischen Bemerkungen von wegen homo novus brauchst du dich nicht mehr herumzuargern. Hier, Tiro, fuhl mal, wie das ist, wenn man den Begrunder einer neuen Politdynastie im Arm halt.« Er reichte mir das Bundel, und ich hielt es so linkisch in meinen Handen, wie es Kinderlose eben tun, wenn man ihnen ein Neugeborenes in den Arm druckt. Ich war erleichtert, als mir das Kindermadchen den Junior wieder abnahm.

Cicero betrachtete inzwischen wieder versonnen den leeren Fleck an der Atriumwand und schwelgte in einem seiner Tagtraume. Ich frage mich, was er da wohl gesehen haben mochte: seine Totenmaske, die ihn wie ein Spiegelbild anstarrte? Als ich mich nach Terentias Befinden erkundigte, sagte er zerstreut: »Was, ja, ja, alles in Ordnung. Du wei?t ja, sie ist eine starke Frau. Zumindest ist sie schon wieder so weit bei Kraften, um mich wegen meines Bundnisses mit Catilina zu nerven.« Widerwillig wandte er den Blick von der leeren Wand. »Also dann, Tiro«, sagte er seufzend. »Unser Schurke wartet, den Termin halten wir besser ein.«

Als wir an jenem Morgen bei Catilina eintrafen, war der ehemalige Statthalter von Afrika die Liebenswurdigkeit in Person. Spater machte Cicero eine Aufstellung von Catilinas »widerspruchlichen Eigenschaften«, aus der ich hier zitieren mochte, da sie dessen Wesen gut beschreibt: ... viele Menschen mit seiner Freundschaft fur sich einzunehmen und sie durch Treue an sich zu binden;. seinen Besitz mit allen zu teilen und in Notzeiten all seinen Freunden zu Diensten zu sein, mit Geld, Einfluss, harter Arbeit und - falls notig - rucksichtslosen Verbrechen; ... die ihm eigenen Launen je nach Situation unter Kontrolle zu halten, sie mal in diese Richtung zu lenken, mal in jene; ... sich serios zugeben bei den Strengen, nachsichtig bei den Freisinnigen, wurdevoll bei den Alten, jovial bei den Jungen, dreist bei den Kriminellen, zugellos bei den Lasterhaften ... Und das war der Catilina, der uns an jenem Morgen empfing: Die Geburt von Ciceros Sohn hatte man ihm offenbar schon zugetragen, denn er schuttelte seinem Advokaten herzlich die Hand, zog eine wunderschone Kassette aus Kalbleder hervor und bestand darauf, dass Cicero sie sofort offnete. Zum Vorschein kam ein Amulett fur ein Neugeborenes aus Silber, das Catilina aus Utica mitgebracht hatte. »Nur ein kleines Schmuckstuck der Eingeborenen dort, es soll Krankheit und bose Geister abwehren«, sagte er. »Mit meinen besten Wunschen fur deinen Jungen.«

»Das ist sehr gro?zugig von dir, Catilina«, sagte Cicero. Das Amulett zierte eine ziemlich erlesene Gravur und war sicher kein gewohnliches billiges Schmuckstuck. Als Cicero es gegen das Licht hielt, sah ich, dass darauf alle Arten sich gegenseitig jagender, exotischer wilder Tiere zu sehen waren, die von zahlreichen sich windenden Schlangen miteinander verbunden waren. Einen Augenblick lang drehte er es noch zwischen den Fingern und wog es auf der Handflache, legte es dann jedoch zuruck in die Kassette und gab es Catilina zuruck. »Ich furchte, das kann ich nicht annehmen.«

»Warum?«, fragte Catilina und lachelte verblufft. »Weil du mein Anwalt bist, und Anwalte keine Bezahlung annehmen durfen? Das nenne ich Integritat! Es ist doch blo? eine Kleinigkeit fur ein Neugeborenes.«

»Nun«, erwiderte Cicero und atmete langsam ein. »Eigentlich bin ich nur gekommen, um dir mitzuteilen, dass ich den Fall nicht ubernehmen werde.«

Ich war gerade damit beschaftigt gewesen, samtliche Unterlagen auf dem kleinen Tisch, der zwischen den beiden Mannern stand, auszubreiten, und hatte sie aus den Augenwinkeln im Blick behalten. Jetzt senkte ich schnell den Kopf und tat geschaftig. Nach einer Ewigkeit, wie mir schien, in der keiner von beiden etwas sagte, horte ich Catilinas Stimme, die leise fragte: »Und warum nicht?«

»Ich will ganz ehrlich sein: Weil du einfach zu offensichtlich schuldig bist.«

Wieder herrschte Stille. Dann Catilinas Stimme, die immer noch sehr gelassen klang. »Auch Fonteius war der Erpressung der Gallier schuldig, und trotzdem hast du ihn verteidigt.«

»Ja. Aber es gibt verschiedene Stufen von Schuld. Fonteius war korrupt, aber harmlos. Du bist korrupt und noch etwas vollkommen anderes.«

»Das zu entscheiden, ist Sache des Gerichts.«

»Normalerweise wurde ich dir zustimmen. Aber du hast das Urteil schon im Voraus gekauft, und bei dieser Posse mochte ich nicht mitspielen. Du hast es mir unmoglich gemacht, mich selbst davon zu uberzeugen, dass mein Handeln ehrenhaft ware. Und wenn ich mich selbst nicht uberzeugen kann, dann kann ich auch niemand anderen uberzeugen -nicht meine Frau, nicht meinen Bruder und - was mir vielleicht noch wichtiger ist - auch nicht meinen Sohn, wenn er mal alt genug sein wird, um das alles zu verstehen.«

In diesem Augenblick riskierte ich einen Blick auf Catilina. Er stand vollkommen regungslos da, die Arme hingen locker an ihm herunter. Er erinnerte mich an ein Tier, das plotzlich einem Rivalen begegnet, an die lauernde, kampfbereite Ruhe des Raubtiers kurz vor dem Sprung. Als er antwortete, kam mir die Beilaufigkeit seines Tonfalls etwas zu angestrengt vor. »Dir ist klar, dass diese Entscheidung fur mich keine, fur dich aber sehr wohl Folgen haben wird? Es spielt keine Rolle, wer mich vertritt. Fur mich andert sich gar nichts. Man wird mich freisprechen. Aber du wirst statt meiner Freundschaft meine Feindschaft haben.«

Cicero zuckte mit den Achseln. »Ich drange mich nach keines Mannes Feindschaft. Sollte sie sich aber nicht vermeiden lassen, so werde ich sie ertragen.«

»Du hast noch nie eine Feindschaft wie die meine ertragen mussen, da kannst du sicher sein. Frag die Afrikaner.« Er grinste. »Frag Gratidianus.«

»Du hast ihm die Zunge herausgeschnitten, Catilina. Die Konversation durfte sich schwierig gestalten.«

Catilina beugte sich leicht vor, und der Gedanke schoss mir durch den Kopf, er konnte Cicero antun, was er bei Clodius am Abend zuvor nur angedeutet hatte. Aber das ware Wahnsinn gewesen, und Catilina war nie vollstandig von Sinnen: wenn ja, ware alles viel einfacher gewesen. Stattdessen beherrschte er sich und sagte: »Nun, dann muss ich dich wohl gehen lassen.«

Cicero nickte. »Das musst du wohl. Lass die Unterlagen hier, Tiro. Wir brauchen sie nicht mehr.«

Ich kann mich an kein weiteres Wort zwischen den beiden erinnern. Ich glaube, es fiel auch keins mehr. Catilina und Cicero wandten sich einfach den Rucken zu, die traditionelle Geste zur Besiegelung gegenseitiger Feindschaft, dann verlie?en wir die alte, leere, knarzende Villa und traten hinaus in die Hitze des romischen Sommers.

KAPITEL XV

Es folgte ein hochst schwieriger und unruhiger Abschnitt in Ciceros Leben, in dem er sicher oft bereut hat, sich Catilina zu einem derart erbitterten Feind gemacht und sich nicht einfach mit irgendeiner Ausrede aus seiner Verpflichtung herausgewunden zu haben. Es kamen namlich, wie er oft genug sagte, nur drei Ergebnisse fur die anstehende Konsulatswahl infrage, und die waren alle drei nicht angenehm. Entweder er wurde Konsul und Catilina nicht, dann ware vollig offen, was sein geschlagener Rivale in seinem Groll unternehmen und wie weit er gehen wurde. Oder Catilina wurde Konsul und er nicht, dann wurde er mit der ganzen Macht seines Amtes gegen ihn vorgehen. Oder - und das versetzte ihn meiner Meinung nach am meisten in Panik - er und Catilina wurden gemeinsam Konsul, dann wurde sein Traum vom hochsten Imperium zu einer einjahrigen Dauerschlacht degenerieren, und die Staatsgeschafte wurden durch ihre erbitterte Feindschaft paralysiert.

Der erste Schock traf Cicero ein paar Tage spater bei der Eroffnung des Prozesses gegen Catilina. Der leitende Anwalt der Verteidigung war namlich kein anderer als einer der Konsuln, Lucius Manlius Torquatus, das Oberhaupt eines der altesten und angesehensten Patriziergeschlechter Roms. Catilina wurde von der gesamten alten Aristokratengarde ins Gericht begleitet - darunter naturlich Catulus, aber auch Hortensius, Lepidus und Curio der Altere. Trost fand Cicero nur darin, dass sich Catilinas Schuld ohne jeden Zweifel offenbarte und dass Clodius, der auf seinen eigenen Ruf achten musste, anstandige Arbeit leistete und alles aus den Beweismitteln herausholte. Torquatus war zwar ein weltgewandter und praziser Anwalt, aber er konnte auch nichts anderes tun als den - um eine damals gebrauchliche, ziemlich rude Wendung zu benutzen -Schei?haufen mit Parfum zu betraufeln. Die Geschworenen waren zwar bestochen worden, aber die Zeugnisse von Catilinas Verhalten in Afrika waren derart schockierend, dass die Richter ihn fast schuldig gesprochen hatten. Allerdings wurde er nur per infamiam freigesprochen - das hei?t, er wurde vom Gericht unehrenhaft entlassen. Aus Angst vor der Rache Catilinas und seiner Anhanger verlie? Clodius kurze Zeit spater die Stadt und trat in die Dienste von Lucius Murena ein, dem neuen Statthalter der Provinz Narbonensis in Gallia Transalpina. »Hatte ich Catilina doch selbst verteidigt«, stohnte Cicero. »Dann sa?e er jetzt mit Verres am Strand von Massilia.«Wenigstens hatte er die Schande vermieden, Catilina als Verteidiger dienstbar gewesen zu sein - was er ubrigens zum gro?en Teil

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