diesem Gebiet angeheuert zu haben, Ranunculus und Filum, die ihm vorausreisten und dafur sorgten, dass er in jeder Stadt von einer ansehnlichen Anhangerschar erwartet wurde. Fur die beiden Haudegen gab es keinen einzigen wei?en Fleck auf der Wahlkreislandkarte Italiens. Sie wussten, wer von den lokalen Rittern es Cicero ubel nahme, wenn er ihnen nicht seinen Respekt zollte, und wem man besser aus dem Weg ging; welche die bedeutendsten Wahlbezirke und Zenturien in jeder Region waren und welche hochstwahrscheinlich einmal wichtig werden konnten; welche Themen die Burger am meisten bewegten und welche Zusagen sie als Gegenleistung fur ihre Stimmen erwarteten. Obwohl sie kein anderes Gesprachsthema als Politik kannten, konnte Cicero mit ihnen bis spat in die Nacht hinein Fakten und Geschichten austauschen und war dabei so glucklich, als unterhielte er sich mit einem Philosophen oder sonst einem geistreichen Menschen.

Selbst wenn ich mich noch an alle Einzelheiten der Kampagne erinnerte, ich hatte nicht vor, sie hier aufzuzahlen. Bei allen Gottern, ein Haufen Asche ware alles, was bei naherer Betrachtung von den meisten politischen Karrieren ubrig bliebe. Fruher hatte ich die Namen aller Konsuln der letzten hundert und die der meisten Pratoren der letzten vierzig Jahre auswendig gewusst. Inzwischen haben sie sich fast alle aus meinem Gedachtnis verabschiedet, ausgeloscht wie die Lichter in der Bucht von Neapel um Mitternacht. Kein Wunder, dass die Stadte und Menschenmengen aus Ciceros Wahlkampf zu einem einzigen allgemeinen Eindruck verschmolzen sind, der aus geschuttelten Handen, gehorten Geschichten, ertragenem Stumpfsinn, empfangenen Petitionen, erzahlten Witzen, gegebenen Garantien sowie besanftigten und umschmeichelten Lokalgro?en besteht. Der Name Cicero war damals beruhmt, sogar au?erhalb Roms. Die Leute stromten in Massen herbei, um ihn zu sehen, besonders in den gro?eren Stadten mit eigener Rechtsprechung, wo seine Anklagereden aus dem Fall Verres - selbst diejenigen, die er gar nicht gehalten hatte - in zahllosen Kopien im Umlauf waren. Er war ein Held fur die unteren Schichten wie fur die angesehenen Ritter, die ihn als einen Streiter gegen die Habgier und den Snobismus der Aristokratie betrachteten. Aus diesem Grund offneten sich ihm auch nur sehr selten die Turen der gro?en patrizischen Familien. Wenn wir an deren Anwesen vorbeikamen, wurden wir oft verhohnt und gelegentlich auch mit diversen Gegenstanden beworfen.

Wir eilten weiter Richtung Norden, widmeten entlang der Via Flaminia jeweils einen Tag jeder etwas gro?eren Stadt - Narnia, Carsulae, Mevania, Fulginia und Tadinum - und erreichten etwa zwei Wochen nach unserer Abreise aus Rom schlie?lich die Adriatische Kuste. Es lag schon einige Jahre zuruck, dass ich das Meer zum letzten Mal gesehen hatte, und als hinter dem Staub und Gestrupp das glitzernde Blau auftauchte, war ich so aufgeregt wie ein kleines Kind. Es war ein wolkenloser und milder Nachmittag, der verirrte Nachzugler eines schon lange verblassten Sommers. Spontan lie? Cicero anhalten, sodass wir alle an den Strand gehen konnten. Merkwurdig, welche Dinge einem unausloschlich in Erinnerung bleiben. Wahrend ich die politischen Details jener Reise fast alle vergessen habe, so erinnere ich mich immer noch genau an jede Einzelheit dieser einstundigen Rast -an den Geruch des Seegrases und den Geschmack der salzigen Gischt auf meinen Lippen; an die Warme der Sonne auf meinen Wangen; an das Klackern der Kiesel, wenn die Wellen auf den Strand schlugen, und das Rauschen, wenn sie sich wieder zuruckzogen; und an Ciceros Lachen, als er zu demonstrieren versuchte, wie Demosthenes angeblich seine Sprechtechnik verbessert haben soll, indem er namlich seine Reden mit dem Mund voller Kieselsteine einstudierte.

Ein paar Tage spater, in Ariminum, bogen wir auf die Via Aeinilia ein und wandten uns nach Westen, weg vom Meer in die Provinz Gallia Cisalpina. Ab jetzt spurten wir den schneidenden Wind des nahenden Winters. Zu unserer Linken ragten steil die schwarzpurpurnen Berge des Apennin auf, zu unserer Rechten erstreckte sich das Delta des Po grau und flach bis zum Horizont. Ich hatte das seltsame Gefuhl, dass wir uns in der Ecke eines gro?en Raumes befanden und wie Insekten am Fu? einer Wand entlangkrabbelten. Das zu jener Zeit alles beherrschende politische Thema in Gallia Cisalpina war das Wahlrecht. Wer sudlich des Po lebte, durfte wahlen, wer nordlich davon lebte, nicht. Die von Pompeius und Caesar angefuhrten Popularen waren dafur, das Burgerrecht uber den Fluss bis zu den Alpen auszudehnen; die Aristokraten und ihr Wortfuhrer Catulus witterten eine Verschworung, die ihre Macht weiter schmalern sollte, und waren dagegen. Cicero befurwortete naturlich eine Ausdehnung des Wahlrechts so weit wie moglich - das war seine zentrale Wahlkampfaussage.

Nie zuvor hatte man in dieser Gegend einen Wahlkampfer furs Konsulat gesehen. In jedem kleinen Ort kamen Hunderte von Menschen, um Cicero zu horen. Normalerweise stand er hinten auf einem unserer Wagen und sprach von dort zu den Leuten. Er hielt uberall die gleiche Rede, sodass ich schon bald meine Lippen synchron mit seinen bewegen konnte. Er brandmarkte eine Logik als Unsinn, die behauptete, dass ein Mann, der auf einer Seite eines Wasserlaufes wohne, ein Romer sei, sein Vetter auf der anderen Seite aber ein Barbar, obwohl beide Latein sprachen. »Rom, das ist nicht nur eine Sache der Geografie«, rief er aus. »Rom wird nicht bestimmt durch Flusse, Berge oder gar Meere; Rom ist keine Frage des Blutes, der Rasse oder Religion; Rom, das ist ein Ideal. Seit unsere Vorfahren vor zehntausend Jahren aus diesen Bergen hinunter in die Ebenen zogen und lernten, als Gemeinschaften unter der Herrschaft des Rechts zu leben, ist Rom die vollkommenste Verkorperung von Freiheit und Recht, die die Menschheit je gesehen hat.« Wenn also seine Zuhorer eine Stimme hatten, so schloss er, dann mussten sie sie zum Wohl derer verwenden, die keine hatten, denn das sei ihr Anteil an der Zivilisation, ihr besonderes Geschenk, das so wertvoll sei wie das Geheimnis des Feuers. Jeder Mann solle zumindest einmal in seinem Leben Rom gesehen haben. Und sie sollten gleich im nachsten Sommer, wenn das Reisen bequem sei, nach Rom kommen und auf dem Marsfeld ihre Stimme abgeben, und falls sie jemand fragte, warum sie die weite Reise auf sich genommen hatten, »dann antwortet, weil Marcus Cicero uns geschickt hat!«. Daraufhin sprang er vom Wagen, bahnte sich seinen Weg durch die applaudierende Menge und verteilte dabei aus einem Sack, den einer seiner Helfer trug, mit vollen Handen Kichererbsen, und ich folgte ihm wie ein Schatten, nahm seine Anweisungen entgegen und notierte Namen.

Wahrend des Wahlkampfs lernte ich viel uber Cicero. Trotz der vielen Jahre, die wir bereits zusammen verbracht hatten, behaupte ich sogar, dass ich in diesen Kleinstadten sudlich des Po -Faventia etwa oder Claterna - sein Wesen erst richtig kennenlernte. In den Momenten, wenn die spatherbstliche Sonne langsam zu verblassen begann und ein kalter Wind von den Bergen herunterwehte, wenn die Lichter in den kleinen Laden entlang der Hauptsra?e entzundet wurden und die Augen der einheimischen Bauern ehrfurchtig hinaufblickten zu dem beruhmten Senator, der, die drei Finger ausgestreckt, auf seinem Wagen stand und von den Errungenschaften Roms erzahlte, da erkannte ich, dass er trotz all seiner Kultiviertheit immer noch einer von ihnen war - ein Mann aus einer kleinen Provinzstadt mit einem idealisierten Traum von der Republik und davon, was es bedeutete, ein Burger zu sein. Dieser Traum loderte umso heftiger in ihm, weil auch er ein Au?enseiter war.

In den nachsten zwei Monaten widmete sich Cicero voll und ganz den Wahlern in Gallia Cisalpina, vor allemjenen in der Gegend um die Provinzhauptstadt Placentia, die direkt am Po liegt und in der die Diskussion um das Burgerrecht ganze Familien entzweite. Sein Wahlkampf wurde entschieden unterstutzt vom Statthalter Piso - merkwurdigerweise jener Piso, der Pompeius das Schicksal von Romulus angedroht hatte, sollte er weiter seine Plane nach dem alleinigen Oberbefehl verfolgen. Aber Piso war Pragmatiker, und au?erdem hatte seine Familie wirtschaftliche Interessen jenseits des Po. Deshalb befurwortete er die Ausdehnung des Wahlrechts. Er stattete Cicero und sein Gefolge sogar mit besonderen Befugnissen aus, damit sie sich freier bewegen konnten. Die Saturnalien verbrachten wir in Pisos eingeschneitem Amtssitz. Der Statthalter fand mehr und mehr Gefallen an Ciceros Umgangsformen und Intelligenz, sodass er ihm eines Abends, als er schon ziemlich viel Wein getrunken hatte, auf die Schulter klopfte und verkundete: »Cicero, du bist ja doch ein ganz anstandiger Bursche. Ein anstandigerer Bursche und ein anstandigerer Patriot, als ich geglaubt hatte. Wenn es nach mir ginge, hatte ich nichts gegen einen Konsul Cicero einzuwenden. Jammerschade, dass es nie dazu kommen wird.«

Cicero schaute ihn betroffen an. »Warum bist du dir da so sicher?«

»Weil die Aristokraten das nie zulassen werden, sie kontrollieren die Mehrheit der Wahler.«

»Sicher, ihr Einfluss ist gro?«, raumte Cicero ein. »Aber ich habe die Unterstutzung von Pompeius.«

Piso brach in brullendes Gelachter aus. »Na, das wird dir ja viel nutzen! Der spielt am anderen Ende der Welt den gro?en Herrn. Au?erdem: Ist dir noch nie aufgefallen, dass Pompeius au?er fur sich selbst fur niemanden sonst die Hand ruhrt? Wei?t du, auf wen ich an deiner Stelle ein Auge haben wurde?«

»Auf Catilina?«

»Ja, auf den auch. Um wen ich mir allerdings wirklich Sorgen machen wurde, das ist Antonius Hybrida.«

»Aber der Mann ist ein Schwachkopf.«

»Cicero jetzt enttauschst du mich aber. Seit wann steht denn Dummheit einer politischen Karriere im Weg? Hor auf meinen Rat: Hybrida ist der Mann, um den sich die Aristokraten scharen werden, dann bleibt fur dich und Catilina nichts weiter als der Kampf um den zweiten Platz. Und vergiss Pompeius, er wird dir keine Hilfe sein.«

Cicero lachelte und spielte den Unbekummerten. Tatsachlich hatten ihn Pisos Worte ins Mark getroffen, und sobald Tauwetter einsetzte, brachen wir auf und reisten auf schnellstem Weg zuruck nach Rom.

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