nennt man wohl »Zucht«. Ehen innerhalb der edelsten Familien Roms uber vierhundert Jahre hinweg waren notig gewesen, um diese beiden Schurken hervorzubringen, die so reinrassig waren wie Vollblutaraber und genauso schnell, eigensinnig und gefahrlich.

»Unserer Meinung nach sollte die Sache so ablaufen«, sagte Catilina. »Unser junger Clodius hier halt eine brillante Rede fur die Anklagevertretung, und jeder wird sagen, das ist der neue Cicero, jetzt ist Catilina fallig. Aber dann kommst du, Cicero, und konterst mit einer noch brillanteren Rede fur die Verteidigung, sodass es anschlie?end keinen Menschen mehr uberrascht, wenn ich freigesprochen werde. Das Ende der Geschichte ist, dass wir den Leuten ein gutes Spektakel geliefert haben und jeder von uns danach besser dasteht als vorher. Ich werde vor dem Volk Roms fur unschuldig erklart, Clodius bekommt seinen Lorbeer als der tapfere kommende Mann, und du hast einen weiteren fulminanten Sieg vor Gericht errungen, fur einen Mandanten, der noch eine Spur nobler ist als deine ubliche Klientel.«

»Und wenn die Geschworenen anders entscheiden?«

»Daruber brauchst du dir keine Sorgen zu machen.« Catilina klopfte auf seine Tasche. »Um die Geschworenen habe ich mich gekummert.«

»Das Recht ist ja so teuer heutzutage«, sagte Clodius lachelnd. »Der arme Catilina musste sogar seine Familienerbstucke versilbern, damit ihm Gerechtigkeit widerfahrt. Das ist wirklich ein Skandal. Was macht da blo? das gemeine Volk?«

»Ich muss die Prozessakten einsehen«, sagte Cicero. »Wann beginnt die Anhorung?«

»In drei Tagen«, sagte Catilina und machte dem Sklaven, der an der Tur stand, ein Zeichen. »Reicht das, damit du dich ausreichend vorbereiten kannst?«

»Wenn man die Geschworenen schon uberzeugt hat, dann reichen mir fur meine Rede zwei kurze Satze: >Das hier ist Catilina! Schickt ihn nach Hause.<«

»O nein, so kommst du mir nicht davon. Ich will die komplette ciceronische Auffuhrung!«, sagte Catilina. »Ich will von dir: >Dieser nnnoble Mmman ... das Bbblut von Jahrhunderten ... seht die Tranen seiner Fffrau und seiner Fffreunde ... <« Er wedelte mit seinem Arm uberschwanglich in der Luft herum und machte auf primitive Weise Ciceros kaum noch horbares Stottern nach. Clodius lachte. Beide waren schon leicht angetrunken. »Ich will Spruche wie >Bbbarbaren aus Afrika bbbesudeln die Ehre dieses altehrwurdigen Gggerichts .. .< Ich will, dass du vor unseren Augen Karthago und Troja heraufbeschworst, dass du Dido und Aeneas ...«

»Ja, ja, schon gut«, schnitt ihm Cicero kuhl das Wort ab. »Du wirst professionelle Arbeit bekommen.« Der Sklave war inzwischen mit den Gerichtsunterlagen zuruckgekehrt. Ich stopfte sie hastig in meine Dokumententasche, da ich spurte, dass die alkoholisierte Stimmung umzukippen drohte, und es mir angeraten schien, Cicero so schnell wie moglich von hier wegzuschaffen. »Wir mussen uns noch einmal treffen, um die Beweislage durchzusprechen«, fuhr Cicero in unverandert kuhlem Tonfall fort. »Am besten gleich morgen, wenn dir das recht ist.«

»Absolut, ich habe nichts Besseres vor«, sagte Catilina. »Ich hatte eigentlich vor, wie dir naturlich bekannt sein durfte, diesen Sommer zur Konsulatswahl anzutreten, bis dieser junge Ubeltater hier mir einen Strich durch die Rechnung gemacht hat.«

Fur einen Mann seiner Gro?e war Catilina unerhort behande. Er machte plotzlich einen Satz nach vorn, schlang seinen muskulosen rechten Arm um Clodius' Hals und druckte den Kopf des Jungeren so weit nach unten, dass dieser wehrlos in seinem Klammergriff hing. Der arme Clodius -der, nebenbei bemerkt, auch kein Schwachling warstohnte dumpf auf und krallte halbherzig seine Finger in Catilinas Arm. Catilina verfugte uber erschreckende Krafte. Heute frage ich mich, ob er nicht im nachsten Augenblick mit einer ruckartigen Aufwartsbewegung seines Unterarms Clodius' Genick gebrochen hatte, wenn Cicero nicht mit ruhiger Stimme gesagt hatte: »Als dein Verteidiger, Catilina, erlaube ich mir den Hinweis, dass es ein schwerwiegender Fehler ware, deinen Anklager zu ermorden.«

Catilina wirbelte herum und starrte Cicero mit finsterem Blick an - als hatte er fur einen Augenblick vergessen, wen er vor sich hatte. Dann fing er an zu lachen. Er fuhr durch Clodius' blondes Lockenhaar und gab ihn frei. Clodius stolperte hustend zuruck und massierte seine Schlafen und seine Kehle. Er warf Catilina einen Blick zu, in dem die pure Mordlust stand, doch auch er fasste sich sofort wieder, fing an zu lachen und richtete sich auf. Sie umarmten sich, Catilina rief nach mehr Wein, und wir uberlie?en sie ihrem Gelage. »Ein reizendes Parchen«, sagte Cicero, als wir am Tempel der Luna vorbeigingen. »Mit ein bisschen Gluck haben sie sich bis morgen fruh gegenseitig umgebracht.«

Als wir Ciceros Haus erreichten, lag Terentia in den Wehen. Es gab keinen Zweifel. Ihre Schreie waren bis auf die Stra?e zu horen. Cicero stand im Atrium und war wei? vor Panik und Entsetzen. Bei Tullias Geburt war er nicht in Rom gewesen, und seine philosophischen Bucher hatten ihn nicht auf das vorbereitet, was sich da abspielte. »Allmachtiger Himmel, das hort sich an, als wurde sie gefoltert. Terentia!« Er lief zur Treppe, wurde aber von einer der Hebammen aufgehalten.

Eine qualend lange Zeit warteten wir im Speisezimmer. Cicero bat mich, bei ihm zu bleiben, war aber zunachst zu nervos, um zu arbeiten. Er legte sich auf die Liege, auf der Terentia gelegen hatte, als wir zu Catilina gegangen waren, sprang aber immer wieder auf und lief unruhig hin und her, sobald er Terentias Schreie horte. Die Luft war hei? und druckend, die schwarzen Rauchfaden der ruhig brennenden Kerzenflammen sahen aus wie Senkbleischnure, die starr von der Decke hingen. Ich machte mich daran, die Gerichtsunterlagen, die mir der Sklave in Catilinas Haus gegeben hatte, auf dem Boden auszubreiten und nach bestimmten Kategorien zu ordnen - Anklagepunkte, Zusammenfassungen von Urkundenbeweisen, eidliche Aussagen. Um sich abzulenken, fing Cicero schlie?lich an zu lesen. Auf dem Bauch liegend hob er eine Papyrusrolle nach der anderen auf, hielt sie neben die Lampe, die ich ihm hingestellt hatte, und vertiefte sich in die Unterlagen. Immer wieder stohnte er kurz auf, aber ich wusste nicht, ob das an dem nicht nachlassenden Schreien oder an den grauenhaften Anschuldigungen gegen Catilina lag. Die enthielten tatsachlich die entsetzlichsten Schilderungen von Brutalitat und Vergewaltigung aus fast jeder Stadt in Afrika, von Urica bis Thaenae, von Thapsus bis Thelepte. Nach ein oder zwei Stunden warf er die Rollen angeekelt beiseite und bat mich, Papier zu holen, er wolle ein paar Briefe diktieren. Der erste war fur Atticus. Er legte sich auf den Rucken, schloss die Augen und konzentrierte sich. Ich habe die Abschrift des Briefes hier vor mir liegen.

Es ist lange her, dass ich eine Zeile von dir in Handen hielt. Uber meinen Wahlkampf habe ich dir schon ausfuhrlich berichtet. Im Augenblick bereite ich die Verteidigung meines Mitkandidaten Catilina vor. Wir haben geneigte Geschworene, und die Anklagevertretung wird in jeder Hinsicht kooperieren. Im Fall eines Freispruchs sollte Catilina einer Zusammenarbeit mit mir im Wahlkampf wohlwollender gegenuberstehen. Das ist zumindest meine Hoffnung. Sollte es anders ausgehen, werde ich es philosophisch nehmen.

»Ha! Was bleibt mir auch ubrig?« Er schloss die Augen.

Ich brauche dich hier, und zwar bald. Jeder scheint der festen Meinung zu sein, dass deine adeligen Freunde sich gro?e Muhe geben werden, um meine Wahl zu verhindern ...«

An dieser Stelle bricht der Brief ab, denn von oben war anstatt eines weiteren Schreis nun ein ganz anderes Gerausch zu horen - namlich das krahende Kreischen eines Neugeborenen. Cicero sprang auf und sturmte die Treppe hinauf. Als er kurze Zeit spater wieder zuruckkam, nahm er mir schweigend Brief und Stift aus den Handen und schrieb eigenhandig oben auf die Seite:

Ich habe die Ehre, dir mitteilen zu konnen, dass ich Vater eines Sohnes geworden bin. Terentia ist wohlauf.

*

Wie die Anwesenheit eines gesunden Neugeborenen ein Haus doch verwandelt. Ich glaube, das liegt daran, obwohl das nur selten zugegeben wird, dass es einen doppelten Segen darstellt. Die unausgesprochenen, alle Geburten begleitenden Angste - die vor Schmerzen, Tod und Missbildungen -sind gebannt, und an ihre Stelle tritt das Wunder eines neuen Lebens. Erleichterung und Freude sind ineinander verflochten.

Naturlich war es mir nicht gestattet, Terentias Zimmer zu betreten, aber ein paar Stunden nach der Geburt brachte Cicero seinen Sohn nach unten und prasentierte ihn stolz den Mitgliedern des Haushalts und seinen Klienten. Viel zu sehen gab es nicht, um ehrlich zu sein, ein kleines rotlich wundes Gesicht und einen schwarzen Tupfer aus feinen Harchen. Er war eingewickelt in dieselben Wolltucher, die schon vor uber vierzig Jahren bei Cicero ihren Dienst getan hatten. Aus seiner Zeit als Kleinkind hatte der Senator auch noch eine Silberrassel aufgehoben, die er jetzt uber dem winzigen Gesicht hin und her wedelte. Vorsichtig trug er seinen Sohn ins Atrium und zeigte ihm die Stelle an der Wand, wo eines Tages, falls seine Traume sich bewahrheiteten, sein eigenes Bildnis als Konsul hangen wurde. »Und dann«, flusterte Cicero, »bist du Marcus Tullius Cicero, Sohn des

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