definitiv erklart, dass er nicht das geringste Interesse daran habe, Konsul zu werden.

»Ist das zu fassen?«, jammerte Cicero, wahrend wir uns um sein Schreibpult drangten und die Liste der moglichen Mitkandidaten studierten. »Da biete ich Gallus den besten Posten der Welt an, und zum Dank dafur erklart er sich dazu bereit, dass er mir vielleicht den einen oder anderen Tag beistehen wurde. Er wolle sich lieber auf die Juristerei konzentrieren!« Cicero nahm seinen Stift, strich Gallus' Namen durch und setzte unten auf die Liste den von Catilina. Trage klopfte er mit dem Stift auf das Verzeichnis, unterstrich den Namen, machte einen Kreis darum, hob dann den Kopf und schaute uns der Reihe nach an. »Einen moglichen Partner, vom dem wir noch gar nicht gesprochen haben, gibt es naturlich noch.«

»Und der ware?«, fragte Quintus.

»Catilina.«

»Marcus!«

»Das ist mein voller Ernst«, sagte Cicero. »Denken wir das einmal durch. Nur mal angenommen, ich wurde, anstatt zu versuchen, Clodius die Anklage abzujagen, Catilina anbieten, seine Verteidigung zu ubernehmen. Wenn ich einen Freispruch erreichen kann, dann ware er verpflichtet, mich bei den Konsulatswahlen zu unterstutzen. Falls er aber schuldig gesprochen wird und ins Exil gehen muss, dann ist das sein Ende. Also ... mit beidem konnte ich gut leben.«

»Du wurdest tatsachlich Catilina verteidigen?« Quintus kannte seinen Bruder sehr gut. Der musste sich schon einiges leisten, bevor Quintus schockiert war. An diesem Tag aber war er fast sprachlos.

»Wenn er einen Anwalt notig hatte, wurde ich sogar den schwarzesten Damon aus der Unterwelt verteidigen. Das ist der Kern unseres Rechtssystems.« Cicero runzelte die Stirn und schuttelte gereizt den Kopf. »Das haben wir doch alles schon durchgekaut, wei?t du nicht mehr, kurz vor Lucius' Tod? Erspar mir bitte diesen vorwurfsvollen Blick, Bruderherz. Was steht in deinem schlauen Buch? Ich bin ein homo novus, ich bin in Rom, ich will das Konsulat. Genau die drei Punkte sagen doch alles. Ich bin ein homo novus, deshalb konnen nur ich selbst und ihr paar Freunde mir helfen. Wir sind in Rom und nicht an irgendeinem abstrakten Ort in einem philosophischen Werk. Rom ist eine ruhmreiche Stadt, die auf einem Haufen Dreck erbaut ist. Und ich will das Amt, das Unsterblichkeit bedeutet, das Konsulat. Gibt es einen besseren Grund zu kampfen? Meine Antwort lautet: ja, ich werde Catilina verteidigen, wenn notig, und dann werde ich so schnell wie moglich wieder mit ihm brechen. Und er wird genau das Gleiche machen. Das ist die Welt, in der wir leben.« Cicero lehnte sich auf seinem Stuhl zuruck und hob beide Hande. »Das ist Rom.« im.

Cicero unternahm nicht sofort etwas, er wollte abwarten, ob die Anklage gegen Catilina tatsachlich vorangetrieben wurde. Viele waren der Ansicht, dass Clodius sich nur wichtig machen oder von der Schande der Scheidung seiner Schwester ablenken wollte. Aber der Sommer brach an, und schwerfallig, wie die Justiz nun einmal war, durchlief das Verfahren seine verschiedenen Stadien, postulatio, divinatio, nominas dilatio, bis schlie?lich die Geschworenen ausgewahlt wurden und der Beginn des Prozesses auf die letzte Juliwoche festgesetzt wurde. Damit gab es keine Moglichkeit mehr, dass Catilina den Prozess rechtzeitig bis zu den Konsulatswahlen uberstehen wurde. Die Frist fur die Nominierungen ware dann schon abgelaufen.

In diesem Stadium entschloss sich Cicero, Catilina wissen zu lassen, dass er an der Ubernahme seiner Verteidigung interessiert sei. Er zerbrach sich ausgiebig den Kopf daruber, wie er ihm das Angebot zukommen lassen solle, denn erstens wollte er bei einer Ablehnung nicht sein Gesicht verlieren, und zweitens wollte er sich fur den Fall, dass er im Senat unter Druck geriet, die Moglichkeit offenhalten, jede Kontaktaufnahme zu Catilina abzustreiten. Schlie?lich entschied er sich fur ein Vorgehen, dessen Gewitztheit typisch fur ihn war. Er lie? Caelius in sein Arbeitszimmer rufen, schwor ihn auf absolute Vertraulichkeit ein und eroffnete ihm dann seinen Plan, Catilina zu verteidigen: Was er davon halte? (»Aber zu niemandem ein Wort, verstanden?«) Das war genau die Art Klatsch, die Caelius so liebte. Naturlich konnte er der Versuchung nicht widerstehen und gab die vertraulichen Informationen an seine Freunde weiter - darunter auch Marcus Antonius, der nicht nur Hybridas Neffe, sondern auch der Adoptivsohn von Catilinas engem Freund Lentulus Sura war.

Ich schatze, es dauerte gerade mal anderthalb Tage, dann stand ein Bote mit einem Brief von Catilina vor der Tur. Er lie? anfragen, ob Cicero ihn nicht mal besuchen wolle, und schlug einen Termin nach Einbruch der Dunkelheit vor - wegen der Vertraulichkeit. »Der Fisch hat also angebissen«, sagte Cicero und zeigte mir den Brief. Er schickte den Sklaven mit der mundlichen Antwort zuruck, dass er Catilina noch heute Abend in dessen Haus besuchen werde.

Terentia stand inzwischen kurz vor der Niederkunft und fand die Julihitze in Rom unertraglich. Sie lag unruhig stohnend im stickigen Speisezimmer auf einer Liege, flankiert von Tullia, die ihr mit piepsender Stimme vorlas, und einem Hausmadchen, das ihr Luft zufachelte. Ihre Laune, die auch im gunstigsten Fall immer unter leicht erhohter Temperatur litt, bewegte sich in diesen Tagen permanent im Fieberbereich. Als bei Einbruch der Dunkelheit die Kandelaber angezundet wurden und Cicero sich zum Ausgehen fertig machte, wollte sie sofort wissen, wohin er ginge. Als er nur ausweichend antwortete, warf sie ihm unter Tranen vor, dass er sich eine Konkubine genommen habe - warum sonst sollte ein respektabler Mann um diese Stunde noch au?er Haus gehen? Also erzahlte er ihr widerwillig die Wahrheit, dass er auf dem Weg zu Catilina sei. Naturlich besanftigte sie das nicht im Mindesten, im Gegenteil, es brachte sie nur noch mehr in Rage. Wie konne er auch nur eine Sekunde die Gesellschaft dieses Monsters ertragen, das ihre eigene Schwester, eine vestalische Jungfrau, verfuhrt habe, worauf Cicero nur spottisch anmerkte, Fabia sei schon immer »mehr vestalisch als Jungfrau« gewesen. Terentia versuchte vergeblich, sich aufzusetzen, und so geleiteten den amusiert lachelnden Cicero und mich nur ihre wutenden Beschimpfungen bis zur Haustur.

Die Nacht ahnelte sehr jener Nacht kurz vor den Adilswahlen, als Cicero Pompeius besucht hatte: die gleiche druckende Hitze, der gleiche fiebrige Mondschein und die gleiche sanfte Brise, die den Verwesungsgestank vom Friedhof jenseits der Porta Esquilina uber die ganze Stadt wehte. Wir gingen hinunter aufs Forum, wo Sklaven die Stra?enlaternen anzundeten, vorbei an den stumm und dunkel daliegenden Tempeln und dann den Palatin hinauf, wo Catilinas Haus stand. Ich trug eine Aktentasche, wie immer, und Cicero hatte die Hande hinter dem Rucken verschrankt und hing mit gesenktem Kopf seinen Gedanken nach. Damals war der Palatin noch nicht so dicht bebaut wie heute, die Hauser standen weiter auseinander. Ich horte das Platschern eines Baches und roch den Duft von Gei?blatt und Heckenrosen. »Das ist der richtige Ort zum Leben, Tiro«, sagte Cicero und blieb auf der Treppe stehen. »Wenn es keine Wahlen mehr gibt, die ich gewinnen muss, und ich nicht mehr so darauf achten muss, was die Leute uber mich denken, dann werden wir hier leben. Ein Haus mit einem Garten, wo ich lesen kann und -stell dir das blo? vor! - die Kinder spielen konnen.« Er drehte sich um und schaute in Richtung Esquilin. »Wenn das Kind endlich da ist, wird es fur uns alle leichter werden. Es ist, als wartete man darauf, dass ein Sturm losbricht.«

Catilinas Haus war problemlos zu finden, denn es befand sich in unmittelbarer Nahe des Tempels der Luna, der nachts zu Ehren der Mondgottin immer von Fackeln beleuchtet wurde. Vor der Tur wartete ein Sklave, der uns in die Vorhalle der Villa der Sergii fuhrte, wo Cicero von einer wunderschonen Frau begru?t wurde. Dabei handelte es sich um Catilinas Frau Aurelia Orestilla, deren Tochter Catilina zuerst verfuhrt haben soll, bevor er sich dann an ihre Mutter herangemacht hatte, um deretwegen er danach, so das Gerucht, seinen Sohn aus erster Ehe ermordet hatte (der Junge hatte gedroht, eher wurde er Aurelia toten, als eine derart beruchtigte Kurtisane als seine neue Mutter zu akzeptieren). Cicero wusste das alles und schnitt Aurelias uberschwangliche Begru?ung schroff ab. »Ich bin gekommen«, sagte er, »um mit deinem Mann zu sprechen, nicht mit dir.« Sie biss sich auf die Lippen und verstummte. Das Haus war eines der altesten von ganz Rom. Die Bodendielen knarrten unter unseren Schritten, wahrend wir dem Sklaven ins Innere des Hauses folgten, das nach verstaubten alten Vorhangen und Weihrauch roch. Ich erinnere mich noch an den merkwurdigen Umstand, dass das Haus anscheinend erst kurzlich fast vollstandig ausgeraumt worden war. An den Wanden zeichneten sich da, wo einmal Bilder gehangen hatten, rechteckige Umrisse ab, und auf dem Boden markierten Staubringe die Stellen, an denen vorher Statuen gestanden hatten. Im Atrium hingen nur noch die schabigen, vom Rauch der Ollampen gelb eingefarbten Wachsmasken von Catilinas Ahnen an den Wanden. Hier erwartete uns Catilina. Er war uberraschend gro?, mindestens einen Kopf gro?er als Cicero. Die zweite Uberraschung war, dass hinter ihm Clodius stand. Fur Cicero muss das ein gewaltiger Schock gewesen sein, was er sich als disziplinierter Anwalt allerdings nicht anmerken lie?. Er schuttelte geistesgegenwartig erst Catilina, dann Clodius die Hand. Nachdem er hoflich den Wein, den man ihm anbot, abgelehnt hatte, kamen die drei Manner ohne Umschweife zur Sache.

Ruckblickend fallt mir auf, wie ahnlich sich Catilina und Clodius waren. Es war das einzige Mal, dass ich sie zusammen in einem Raum gesehen habe, und mit ihrer schleppenden Sprechweise und der Art, wie sie so lassig nebeneinanderstanden, als gehorte ihnen ganz selbstverstandlich die Welt, sahen sie aus wie Vater und Sohn. Das

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