»Blabla. Erspar mir das Advokatengewasch. Privat, von Mann zu Mann.« Pius winkte ihn mit dem Finger naher heran. Die meisten seiner Zahne waren auf diversen Schlachtfeldern geblieben, und er machte ein pfeifendes Gerausch, als er versuchte zu flustern. »Du kennst dich in den Gerichtshofen besser aus als ich. Wer ist der Richtige dafur?«

»Ehrlich gesagt, das wird nicht ganz leicht werden«, sagte Cicero. »Catilinas Gewalttatigkeit ist allgemein bekannt. Der Mann braucht Mut, der Klage gegen einen derart schamlosen Morder einreicht. Und vermutlich wird Catilina sich im nachsten Jahr um das Konsulat bewerben. Da wachst ein machtiger Feind heran.«

»Konsulat?« Pius schlug sich plotzlich heftig auf die Brust. Der dumpfe Schlag lie? seine priesterlichen Begleiter zusammenzucken. »Sergius Catilina wird nicht Konsul werden, nicht im nachsten und auch in keinem anderen Jahr, nicht solange noch ein Rest von Leben in diesen alten Knochen steckt. Es muss doch in dieser Stadt jemanden geben, der Manns genug ist, diesen Schurken vor seinen Richter zu bringen. Und wenn nicht ... nun, ich bin noch lange kein so seniler Trottel, als dass ich nicht mehr wusste, wie man in dieser Stadt einen Kampf durchficht. Und du, Prator, hast nichts weiter zu tun, als in deinem Kalender genugend Platz freizuhalten, damit dieser Fall zur Anhorung kommt.« Mit diesen Worten drehte er sich um und schlurfte murrisch vor sich hinbrummelnd, mit seinen priesterlichen Adjutanten im Schlepptau, den Gang hinunter.

Wahrend er ihm hinterherschaute, runzelte Cicero die Stirn und schuttelte den Kopf. Da ich nicht annahernd so viel von Politik verstand, wie ich nach dreizehn Jahren in seinen Diensten eigentlich hatte verstehen mussen, war mir vollkommen unbegreiflich, was an dieser Unterhaltung so beunruhigend gewesen sein sollte. Aber Cicero war ohne Frage erschuttert. Sobald wir wieder drau?en auf der Via Sacra waren, zog er mich au?er Horweite der scharfen Ohren unseres proximus lictor und sagte: »Das ist eine Entwicklung, Tiro, die wirklich ernst ist. Ich hatte das kommen sehen mussen.« Als ich ihn fragte, was es ihn kummere, ob man Catilina anklage oder nicht, antwortete er in vernichtendem Tonfall: »Weil es dir verboten ist, du Spatzenhirn, dich zu einer Wahl zu stellen, wenn gegen dich ein Verfahren lauft. Das hei?t: Wenn die Afrikaner einen Fursprecher finden und Anklage gegen Catilina erhoben wird und wenn sich der Fall bis in den nachsten Sommer hineinzieht, dann bleibt Catilina von der Teilnahme an der Konsulatswahl ausgeschlossen, bis der Fall entschieden ist. Was weiter hei?t: Sollte Catilina durch irgendeinen Zufall freigesprochen werden, ist er mein Gegner in meinem Jahr.«

Ich bezweifle, ob irgendein anderer Senator in Rom versucht hatte, so weit in die Zukunft zu blicken - wer wurde schon so viele Wenns aufeinanderschichten und dann daraus einen Grund ableiten, um in Panik auszubrechen. Quintus jedenfalls, nachdem Cicero ihm seine Angste auseinandergesetzt hatte, lachte seinen Bruder aus: »Und wenn dich ein Blitz trafe, Marcus, und wenn Metellus Pius sich noch an den Wochentag erinnern wurde ...« Aber Cicero machte sich weiter Sorgen und zog heimlich Erkundigungen daruber ein, wie die afrikanische Abordnung bei ihrer Suche nach einem glaubwurdigen Anwalt vorankam. Allerdings taten sie sich dabei so schwer, wie Cicero vermutet hatte - trotz der gewaltigen Menge an Beweisen, die sie uber Catilinas Verfehlungen zusammengetragen hatten, und trotz der Tatsache, dass Pius eine Resolution durch den Senat gebracht hatte, in der dem fruheren Statthalter eine Ruge erteilt wurde. Niemand lechzte danach, es mit einem derart gefahrlichen Gegner aufzunehmen und das Risiko einzugehen, eines spaten Abends mit dem Gesicht nach unten im Tiber zu treiben. Und so dumpelte die Anklage erst mal vor sich hin, und Cicero brauchte sich nicht weiter darum zu kummern. Unglucklicherweise war ihm das nicht lange vergonnt.

KAPITEL XIV

Am Ende seiner Amtsperiode als Prator hatte Cicero das Recht, au?er Landes zu gehen und fur ein Jahr eine Provinz zu regieren. Das war gangige Praxis in der Republik. Es gab einem Mann Gelegenheit, Erfahrungen in der Verwaltungsarbeit zu sammeln und au?erdem seine wegen der Auslagen fur das

Amt strapazierte Kasse wieder aufzufullen. Nach der Ruckkehr verschaffte man sich einen Eindruck von der politischen Stimmung, und wenn diese einem vielversprechend erschien, bewarb man sich im folgenden Sommer um das Konsulat. Antonius Hybrida, zum Beispiel, dem mit den Kosten fur die Spiele des Apollo offensichtlich gewaltige Verbindlichkeiten entstanden waren, machte in Kappadokien Jagd auf Beute. Cicero schlug einen anderen Weg ein, er verzichtete auf sein Recht, eine Provinz zu verwalten. Zum einen wollte er von vornherein die Moglichkeit ausschlie?en, dass man ihm eine fingierte Anklage anhangte und sich ihm auf Monate ein Sonderermittler an die Fersen heftete. Zum anderen erinnerte er sich ungern an das Jahr, das er als Quastor auf Sizilien verbracht hatte. Seitdem hasste er es, Rom fur langer als ein oder zwei Wochen verlassen zu mussen. Es hat wohl selten einen eingefleischteren Stadtmenschen als Cicero gegeben. Aus der Geschaftigkeit auf den Stra?en und in den Gerichten, im Senat und auf dem Forum sog er seine Kraft. Die Aussicht auf ein Jahr oder Provinzgesellschaft in Kilikien oder Makedonien, und sei sie noch so lukrativ, war ihm ein Grauel.

Au?erdem hatte er jede Menge Arbeit als Anwalt. Als Erstes stand die Verteidigung von Pompeius' ehemaligem Volkstribunen Gaius Cornelius an, den die Aristokraten wegen Hochverrats angeklagt hatten. Nicht weniger als funf bedeutende aristokratische Senatoren - Hortensius, Catulus, Lepidus, Marcus Lucullus und sogar der alte Metellus Pius - taten sich gegen Cornelius zusammen wegen der Rolle, die er zugunsten der Gesetze von Pompeius gespielt hatte. Sie warfen ihm vor, das Veto eines anderen Volkstribunen gesetzwidrig missachtet zu haben. Angesichts eines derart schwerwiegenden Vorwurfs war ich mir sicher, dass man Cornelius ins Exil schicken wurde. Er war offenbar der gleichen Meinung, denn er hatte seinen Hausstand schon zusammengepackt und war bereit zur Abreise. Wie immer jedoch, wenn seine Gegner Hortensius und Catulus hie?en, lief Cicero zu Hochform auf und hielt zum Abschluss seiner Verteidigung eine au?erst eindrucksvolle Rede. »Sollen wir uns tatsachlich uber die traditionellen Rechte von Volkstribunen von funf hochgestellten Senatoren belehren lassen«, fragte er, »die allesamt die Gesetze Sullas unterstutzt haben, mit denen dieser eben jene Rechte abgeschafft hat? Ist einer von diesen illustren Senatoren aufgestanden und hat den tapferen Gnaeus Pompeius unterstutzt, als dieser in seiner ersten Amtshandlung als Konsul das Vetorecht der Tribunen wiederhergestellt hat? Die entscheidende Frage lautet doch: Ist es wirklich die plotzliche Sorge um die Traditionen des Volkstribunats, die diese Senatoren dazu bewegt hat, die Fischteiche und Saulengange ihrer Landsitze zu verlassen und vor Gericht zu ziehen? Oder sind es nicht vielmehr gewisse andere >Traditionen<, die ihnen viel mehr am Herzen liegen - namlich ihr traditionelles Eigeninteresse und ihr traditionelles Verlangen nach Rache?«

In ahnlichem Ton ging es noch eine Zeit lang weiter, und als Cicero schlie?lich zum Ende kam, hatte es den Anschein, als seien die funf beruhmten Klagefuhrer (die den Fehler gemacht hatten, nebeneinander Platz zu nehmen) auf die Halfte ihrer Gro?e geschrumpft - vor allem Pius, der mit gewolbter Hand am Ohr auf seinem Platz hin und her rutschte und anscheinend Schwierigkeiten hatte, den Ausfuhrungen seines umherwandernden Peinigers zu folgen. Dies sollte einer der letzten offentlichen Auftritte des alten Soldaten gewesen sein, bevor sich die lange Dammerung seiner Krankheit endgultig auf ihn herabsenkte. Nachdem die Geschworenen Cornelius von allen Anklagepunkten freigesprochen hatten, verlie? Pius unter hohnischem Gelachter das Gericht. Dabei war sein Gesicht gezeichnet von seniler Verwirrung, welche heute, so furchte ich, auch der naturgema?e Ausdruck meiner eigenen Zuge ist. Als wir uns fur den Heimweg fertig machten, sagte Cicero mit gewisser Befriedigung: »Jedenfalls wird er jetzt wohl wissen, wer ich bin.«

Ich werde nicht alle Prozesse erwahnen, die Cicero in dieser Zeit fuhrte, denn es mussen Dutzende gewesen sein. Alle aber waren Teil seiner Strategie, sich moglichst viele einflussreiche Manner zur Unterstutzung seiner Konsulatskandidatur zu verpflichten und dafur zu sorgen, dass sein Name in den Kopfen der Wahler immer prasent blieb. Seine Klienten suchte er naturlich sehr sorgfaltig aus. Unter ihnen waren wenigstens vier Senatoren: Fundanius, der einen gro?en Wahlerverein kontrollierte; Orchivius, der einer seiner Pratorenkollegen gewesen war; Gallius, der seine Kandidatur zum Prator betrieb; und Mucius Orestinus, der sich Hoffnung auf den Posten eines Volkstribunen machte, aber im Augenblick noch des Raubes angeklagt war und dessen Fall unsere Kanzlei fur viele Tage vollauf beschaftigte.

Ich glaube, dass nie zuvor irgendein Kandidat das Geschaft der Politik als genau das betrieben hat -als Geschaft namlich. Jede Woche gab es eine Sitzung in Ciceros Arbeitszimmer, um den Verlauf des Wahlkampfs zu uberwachen. Verschiedene Teilnehmer kamen und gingen, aber der harte Kern bestand aus den immer gleichen funf Personen: Cicero, Quintus, Frugi, mir und Ciceros Lehrling Caelius Rufus, der, obwohl noch sehr jung (vielleicht aber auch gerade deswegen), ein Meister darin war, in der Stadt umlaufende Geruchte aufzuspuren. Quintus fungierte

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