schlau, so schlau, dass er jeden anderen fur einen Idioten hielt. Jedenfalls erkannte er die Gefahr nicht und ging tatsachlich, wahrend die Geschworenen uber das Urteil abstimmten, nach Hause, um sich fur die fest eingeplante abendliche Siegesfeier umzuziehen und die Haare schneiden zu lassen. Wahrend seiner Abwesenheit wurde er verurteilt, und er wollte gerade wieder ins Gericht zuruckkehren, als Crassus ihn an der Haustur abfing und ihm erzahlte, was geschehen war. Manche sagen, Macer sei so geschockt gewesen, dass er auf der Stelle tot umgefallen sei, andere behaupten, er sei sofort wieder ins Haus zuruckgegangen und habe sich umgebracht, um seinem Sohn die Schande seines Exils zu ersparen. Wie auch immer, jedenfalls starb er, und Crassus hatte - als ob es dessen noch bedurft hatte - einen weiteren Grund, Cicero zu hassen.

*

Am 6. Juli, dem ersten Tag der Spiele des Apollo, begann traditionell der Wahlkampf, obwohl man in jener Zeit den Eindruck hatte, dass immer Wahlkampf herrschte. Kaum war einer zu Ende, fieberten die Kandidaten schon dem nachsten entgegen. Cicero witzelte, dass das eigentliche Regierungsgeschaft lediglich die Zeit zwischen den Wahltagen fullte. Vielleicht ist das einer der Grunde fur den Niedergang der Republik gewesen: Sie hat mit den vielen Wahlen die Burger vollig uberfordert, und die Republik hat sich letztendlich zu Tode gewahlt. Wie auch immer, das offentliche Unterhaltungsprogramm zu Ehren Apollos oblag dem Stadtprator, und das war in jenem Jahr Antonius Hybrida.

Niemand hatte sich gro?e beziehungsweise uberhaupt irgendwelche Hoffnungen auf einigerma?en zufriedenstellende Spiele gemacht, denn jedermann wusste, dass Hybrida sein ganzes Geld versoffen und verspielt hatte. So war es eine gro?e Uberraschung, dass er nicht nur eine Serie wunderbarer Theaterauffuhrungen auf die Beine stellte, sondern auch verschwenderische Spektakel im Circus Maximus, wobei zwolf Wagenrennen, athletische Wettkampfe und eine Tierhetze mit Panthern und allen Arten von exotischen Tieren stattfanden. Ich selbst bin nicht dort gewesen, aber Cicero berichtete mir ausfuhrlich, als er an jenem Abend nach Hause kam. Er lie? sich auf eine der Liegen im leeren Speisezimmer fallen - Terentia war mit Tullia aufs Land gefahren - und erzahlte mir von der Parade in den Circus: von den Wagenlenkern und halb nackten Athleten (Boxer, Ringer, Laufer, Speer- und Diskuswerfer), den Floten- und Leierspielern, den als Bacchanten und Satyren verkleideten Tanzern, den Weihrauchfassern, den Stieren, Ziegen und Farsen, die mit vergoldeten Hornern ihrer Opferung entgegentrotteten, den Kafigen mit den wilden Tieren, den Gladiatoren ... Er schien noch ganz benebelt zu sein von dem Schauspiel. »Was das wohl alles gekostet hat? Die Frage hat mich die ganze Zeit nicht losgelassen. Anscheinend rechnet Hybrida fest damit, dass er das spater in seiner Provinz alles wieder reinholen kann. Du hattest horen sollen, wie sie ihm zugejubelt haben beim Einzug und hinterher beim Auszug aus dem Circus. Ich kann an dem Ganzen nichts finden, Tiro.Tja, kaum zu fassen, aber es bleibt uns wohl nichts anderes ubrig, als unsere Liste zu erganzen. Los, komm mit.«

Zusammen gingen wir in sein Arbeitszimmer, wo ich die Geldtruhe offnete und alle Unterlagen herausnahm, die in Zusammenhang mit Ciceros Wahlkampf fur das Konsulat standen. Dazu gehorten jede Menge geheimer Listen - von Forderern und Geldgebern, von Sympathisanten, die er aber noch auf seine Seite ziehen musste, von Stadten und Regionen, in denen er stark, und solchen, in denen er schwach war. Die Schlusselliste war jedoch die, auf der die moglichen Rivalen einschlie?lich aller uber sie bekannten Informationen - pro und contra - verzeichnet waren. Ganz oben stand Galba, als Nachster kam Gallus, dann Cornificius und schlie?lich Palicanus. Cicero nahm mir die Schreibfeder aus der Hand und schrieb in seiner akkuraten, winzigen Handschrift einen funften Namen dazu, den ich nie auf dieser Liste erwartet hatte: Antonius Hybrida.

*

Und dann, ein paar Tage spater, geschah etwas, das Ciceros Schicksal und die Zukunft des Staates in vollkommen neue Bahnen lenkte - obwohl Cicero das zu jener Zeit nicht erkannte. Dabei fallt mir die mitunter erzahlte Geschichte von dem harmlos aussehenden Fleck ein, den ein Mann eines Morgens auf seiner Haut entdeckt, sich nichts weiter dabei denkt, der sich aber in den folgenden Monaten zu einem riesigen Tumor auswachst. In unserem Fall war der Fleck eine Botschaft, die aus heiterem Himmel ins Haus flatterte und in der Cicero aufgefordert wurde, beim Pontifex maximus Metellus Pius vorstellig zu werden. Pius war sehr alt (vierundsechzig, mindestens) und eine so hochstehende Personlichkeit, dass er sich bislang noch nie dazu herabgelassen hatte, mit Cicero ein Wort zu wechseln, geschweige denn ihn zu einem Gesprach einzubestellen. Cicero war folglich au?erst neugierig, und so machten wir uns mit den Liktoren, die fur freie Bahn sorgten, sofort auf den Weg.

In jenen Tagen befand sich der Amtssitz des Oberhaupts der Staatsreligion in der Via Sacra, neben dem Haus der Vestalinnen, und ich kann mich noch erinnern, wie erfreut Cicero war, dass die Leute ihn dort eintreten sahen. Das Gebaude war das geistliche Zentrum Roms, und nicht viele Menschen erhielten jemals die Chance, einen Fu? uber dessen Schwelle zu setzen. Man fuhrte uns eine Treppe hinauf und dann durch eine lange Galerie, von wo man in den Garten der Vestalinnen hinunterblicken konnte. Insgeheim hoffte ich, einen Blick auf eine jener sechs geheimnisvollen, in wei?es Tuch gekleideten Jungfrauen werfen zu konnen, aber der Garten lag verlassen da. Stehen bleiben konnten wir auch nicht, denn am Ende der Galerie wartete schon der obeinige Pius auf uns, der, flankiert von mehreren Priestern, ungeduldig mit dem Fu? auf den Boden stapfte. Er war sein Leben lang Soldat gewesen, und sein Gesicht hatte das rissige, aufgeraute Aussehen von Leder, das jahrelang bei Wind und Wetter vor der Tur gelegen hatte und erst kurzlich ins Trockene geholt worden war. Ohne Cicero die Hand anzubieten oder einen Stuhl, ohne jede Hoflichkeitsfloskel kam er sofort zur Sache und sagte mit heiserer Stimme: »Prator, ich muss mit dir uber Sergius Catilina sprechen.«

Bei der blo?en Erwahnung des Namens versteifte sich Ciceros Korper. Catilina war der Mann, der seinen entfernten Vetter, den popularen Politiker Gratidianus, zu Tode gefoltert hatte, indem er ihm die Knochen gebrochen, die Augen ausgestochen und die Zunge herausgerissen hatte. Catilina war, als ware ihm ein gezackter Blitz ins Hirn gefahren, von einem gewalttatigen Wahnsinn besessen. Er war liebenswurdig, kultiviert und freundlich, dann machte jemand eine scheinbar harmlose Bemerkung oder warf ihm einen scheinbar respektlosen Blick zu, und schon verlor er jede Selbstbeherrschung. In der Zeit von Sullas Proskriptionen, als auf dem Forum Todeslisten aushingen, war Catilina unter den sogenannten percussores einer der geschicktesten Morder mit Hammer und Messer gewesen und hatte aus den Gutern der von ihm Exekutierten jede Menge Geld herausgepresst. Zu den Opfern gehorte auch sein eigener Schwager. Allerdings verfugte Catilina zweifellos uber Charisma. Auf jeden, den seine Barbarei anwiderte, kamen drei oder vier, die er mit seiner ebenso unma?ig zur Schau gestellten Freigebigkeit anzog. Au?erdem fuhrte er ein sexuell ausschweifendes Leben. Vor sieben Jahre hatte man Catilina wegen der sexuellen Beziehung zu einer vestalischen Jungfrau angeklagt, bei der es sich um niemand anderen als Terentias Halbschwester Fabia gehandelt hatte. Das war ein Kapitalverbrechen, nicht nur von ihm, auch von ihr, und ware Fabia schuldig gesprochen worden, hatte sie die traditionelle Strafe fur eine Vestalin, die ihr heiliges Keuschheitsgelubde brach, erleiden mussen: Man hatte sie in einer eigens dafur bestimmten winzigen Kammer neben der Porta Collina lebendig begraben. Doch die Aristokraten hatten sich unter Catulus' Fuhrung um Catilina geschart und seinen Freispruch gesichert, sodass er seine politische Karriere nahtlos fortsetzen konnte. Vor zwei Jahren war er Prator und danach Statthalter in der Provinz Afrika gewesen, sodass er den Aufruhr um die lex Gabinia nicht miterlebt hatte. Er war gerade erst nach Rom zuruckgekehrt.

»Seit mein Vater vor funfzig Jahren Statthalter von Afrika war«, sagte Pius, »sind die Mitglieder meiner Familie immer die wichtigsten Patrone der Provinz gewesen. Die Menschen dort wenden sich an mich, wenn sie Schutz suchen, und ich kann dir sagen, Prator, dass kein Mann sie je so erzurnt hat wie Sergius Catilina. Er hat die Provinz vollkommen ausgeplundert - hat den Burgern Steuern abgepresst, hat gemordet, hat die Tempelschatze geraubt, hat Frauen und Tochter vergewaltigt. Diese Sergii!«, rief er angeekelt, wurgte einen gro?en gelben Schleimbatzen aus seinem Rachen nach oben und spuckte ihn auf den Boden. »Nennen sich protzig Nachfahren der Trojaner, aber seit zweihundert Jahren war kein Einziger mehr unter ihnen, der einen Funken Anstand im Leib hatte. Ich hore, du bist der verantwortliche Prator, der solche Kreaturen zur Rechenschaft zieht.« Er musterte Cicero von Kopf bis Fu?. »Erstaunlich! Ich kann nicht behaupten, dass ich wusste, wer du uberhaupt bist. Aber gut, was gedenkst du also zu unternehmen?«

Cicero behielt immer die Ruhe, wenn jemand versuchte ihn zu beleidigen. Er sagte nur: »Haben die Afrikaner schon eine Anklage vorbereitet?«

»Ja. Eine Abordnung befindet sich bereits in Rom und sucht nach einem geeigneten Anklager. An wen sollen sie sich wenden?«

»Ich kann dir da kaum weiterhelfen. Schlie?lich bin ich der Vorsitzende des Gerichts und habe unparteiisch zu bleiben.«

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