brillant, bescheiden, gerecht, freundlich, ein Mann von exquisitem Geschmack, der in einer prachtigen Villa auf dem Viminal lebte. Cicero spielte mit dem Gedanken, den Alteren zu fragen, ob er mit ihm zusammen fur das Konsulat kandidieren wolle. Gleich nach Gallus, zumindest was Wurde und Gesetztheit anging, kam Sulpicius Galba, der aus einer distinguierten Aristokratenfamilie stammte und in dessen Atrium die Masken von so vielen Konsuln hingen, dass er sicher einer von Ciceros Rivalen um das Konsulat sein wurde. Aber so rechtschaffen und fahig er war, so schroff und arrogant war er auch, was sich bei einem knappen Rennen als Nachteil erweisen wurde. Meiner Meinung nach der Viertbeste war Quintus Cornificius, auch wenn Cicero gelegentlich uber seine Albernheiten lauthals lachte. Er war ein religioser Fundamentalist, der sich endlos daruber auslassen konnte, dass man unbedingt etwas gegen den Sittenverfall in Rom unternehmen musse - der »Kandidat der Gotter«, wie Cicero ihn nannte. Was die Eignung der anderen betrifft, furchte ich, ging es nun steil bergab: Bemerkenswerterweise waren die vier anderen gewahlten Pratoren allesamt Manner, die man schon einmal aus dem Senat ausgeschlossen hatte, entweder wegen finanzieller oder moralischer Defizite. Der alteste war Varinius Glaber, einer jener schlauen, verbitterten Manner, die glauben, ein erfolgreiches Leben vor sich zu haben, und dann fassungslos vor dessen Trummern stehen. Vor sieben Jahren war er schon einmal Prator gewesen und hatte vom Senat das Kommando uber eine Armee bekommen, um den Aufstand des Spartacus niederzuschlagen. Seine schwachen Legionen waren jedoch von den aufstandischen Sklaven wiederholt besiegt worden, worauf er sich gedemutigt aus dem offentlichen Leben zuruckgezogen hatte. Dann war da der von einem gro?en Wahlerverein unterstutzte Gaius Orchivius -»jede Menge Tatendrang, null Talent«, wie Cicero ihn charakterisierte. Den siebten Platz in meiner Fahigkeitenrangliste nahm Cassius Longinus ein, »das Schmalzfass auf zwei Beinen« oder, wie manche behaupteten, der dickste Mensch Roms. Bleibt Nummer acht, der kein anderer war als Antonius Hybrida, der Saufer mit dem Sklavenmadchen, dem Cicero seine Hilfe bei den Wahlen mit dem Hintergedanken zugesagt hatte, dass er sich dann wenigstens um den Ehrgeiz dieses einen Prators keine Sorgen mehr zu machen brauchte. »Wei?t du, warum man ihn >Hybrida< nennt?«, fragte mich Cicero einmal. »Weil er halb Idiot, halb Mensch ist. Ich personlich wurde ihm nicht mal die eine Halfte zubilligen.«

Die Gotter jedoch, denen Cornificius so zugetan war, wissen solche Hybris zu strafen, und so lie?en sie Cicero die ihm gebuhrende Strafe an jenem Tag zukommen. Die Lose lagen in einer antiken Urne, die schon seit Jahrhunderten fur diesen Zweck benutzt wurde, und der prasidierende Konsul Glabrio rief die Kandidaten in alphabetischer Reihenfolge auf, was bedeutete, dass Antonius Hybrida als Erster das Los zog. Er steckte seine zitternde Hand in die Urne, nahm ein Tafelchen heraus, gab es Glabrio, der eine Augenbraue lupfte und dann sagte: »Stadtprator.« Einen Augenblick lang herrschte Stille, doch dann brach ein derart brullendes Gelachter los, dass die unter dem Dach hockenden Tauben in einer spritzenden Wolke aus Kot und Federn davonstoben. Hortensius und einige andere Aristokraten, die gewusst hatten, dass Cicero Hybrida unterstutzt hatte, zeigten auf ihn und stie?en sich gegenseitig hohnisch grinsend in die Rippen. Crassus ware vor Wonne fast von seiner Bank gefallen, wahrend Hybrida selbst - der nun bald der dritte Mann im Staat sein wurde - in den Saal strahlte und das Hohngelachter falschlicherweise als Freude uber sein Losgluck deutete.

Ich konnte Ciceros Gesicht nicht sehen, aber ich konnte mir denken, was ihm durch den Kopf ging: dass sein Pech nun sicher auch noch dadurch gekront wurde, dass er »Veruntreuungen« erhielt. Gallus zog als Nachster und bekam das Gericht, das fur das Wahlrecht zustandig war; Longinus, der Fette, zog Landesverrat, und als Gotterkandidat Cornificius das Gericht fur Strafsachen zufiel, sahen Ciceros Chancen allmahlich ziemlich schlecht aus -und zwar derma?en schlecht, dass ich nun mit dem Schlimmsten rechnete. Glucklicherweise erhielt der Nachste an der Urne, Orchivius, das Gericht fur Veruntreuungen. Nachdem Galba mit der Prozessfuhrung von Verbrechen gegen den Staat betraut worden war, blieben fur Cicero nur noch zwei Moglichkeiten - das vertraute Terrain des Gerichtshofes fur Erpressungen oder der Posten des Fremdenprators, als der er im Grunde nichts weiter als Hybridas Stellvertreter ware: ein bitteres Schicksal fur den schlauesten Mann der Stadt. Als er auf das Podium stieg, um sein Los zu ziehen, schuttelte er klaglich den Kopf - da kannst du planen, was du willst, schien die Geste zu besagen, aber am Ende hangt in der Politik doch alles am Gluck. Er griff in die Urne und zog - Erpressungen.

Es lag eine gewisse wohltuende Symmetrie darin, dass es Glabrio war, der fruhere Vorsitzende ebenjenes Gerichtshofes, in dem Cicero sich seinen Namen gemacht hatte, der die Ernennung verlas. Das Amt des Fremdenprators ging folglich an das Spartacus-Opfer Varinius. Damit war die Leitung der Gerichtshofe fur das kommende Jahr festgelegt und das vorlaufige Starterfeld fur das Rennen um das Konsulat abgesteckt.

*

Im Trubel der politischen Ereignisse habe ich versaumt zu erwahnen, dass Pomponia im Fruhjahr schwanger geworden war - ein Beweis, wie Cicero triumphierend anmerkte, als er Atticus die Neuigkeit in einem Brief mitteilte, dass die Ehe zwischen Pomponia und Quintus doch funktioniere. Kurz nach den Wahlen zur Pratur wurde das Kind geboren, ein gesunder Junge. Es erfullte mich mit gro?em Stolz und war ein Zeichen fur die wachsende Bedeutung meiner Stellung innerhalb der Familie, dass man mich zu den Feierlichkeiten am dies lustricus einlud, dem Tag der rituellen Waschung neun Tage nach der Geburt. Die Zeremonie fand direkt neben Ciceros Haus im Tempel der Tellus statt. Ich bezweifle, ob es jemals einen vernarrteren Onkel gegeben hat als Cicero, der als Geschenk zur Namensgebung seines Neffen einen Silberschmied mit der Anfertigung eines prachtigen Amuletts beauftragte. Erst nachdem der Priester den kleinen Quintus mit geweihtem Wasser gesegnet und Cicero den Saugling auf den Arm genommen hatte, wurde mir erst richtig bewusst, wie gern er selbst einen Sohn gehabt hatte. Ein Gro?teil seiner wie auch jedes anderen Mannes Motivation, das Konsulat anzustreben, hat sicher darin gelegen, dass dadurch sein Sohn, sein Enkel und alle weiteren Nachkommen bis in alle Ewigkeit das ius imaginum besa?en und nach seinem Tod sein Portrat im Atrium des Familiensitzes ausstellen konnten. Was hatte es fur einen Sinn, ein ruhmreiches Geschlecht zu begrunden, wenn es wieder ausstarb, bevor es sich richtig entfalten konnte? Ich warf einen kurzen Blick hinuber zu Terentia, und mir fiel auf, dass sie sehr genau beobachtete, wie Cicero mit dem Rucken seines kleinen Fingers die Wange des Sauglings streichelte. Da wusste ich, dass ihr genau die gleichen Gedanken durch den Kopf gingen.

Die Geburt eines Kindes fuhrt oft zu einer grundlichen Neubewertung der Zukunft, und ich bin sicher, dass Cicero deshalb schon kurz nach der Geburt seines Neffen die Verlobung Tullias zu betreiben begann. Sie war jetzt zehn Jahre alt und nach wie vor sein ganzer Augenstern. Trotz aller Beanspruchung durch seine Arbeit als Anwalt und Politiker verging kaum ein Tag, an dem er sich nicht zumindest kurz freimachte, um ihr vorzulesen oder mit ihr irgendein Spiel zu spielen. Mit der fur ihn typischen Mischung aus Zartgefuhl und Gerissenheit besprach er seinen Plan zuerst mit ihr selbst und nicht mit Terentia. »Ich mochte dich was fragen, Tulla«, sagte er eines Morgens, als wir drei allein in seinem Arbeitszimmer waren. »Mochtest du eigentlich mal heiraten?« Als sie antwortete, dass sie sehr gern heiraten wurde, fragte er, wen sie denn von allen Menschen auf der Welt am liebsten heiraten wurde.

»Tiro!«, schrie sie und schlang mir die Arme um die Hufte.

»Ich furchte, Tiro hat gar keine Zeit fur eine Frau, er muss mir doch dauernd helfen«, sagte er ernst. »Wen noch?«

Da sie nur uber einen begrenzten Bekanntenkreis aus mannlichen Erwachsenen verfugte, dauerte es nicht lange, und sie nannte Frugi, der seit der Verres-Geschichte so viel Zeit mit Cicero verbracht hatte, dass er fast schon zur Familie gehorte.

»Frugi!«, rief Cicero, als ware ihm selbst der Gedanke noch nicht gekommen. »Eine wundervolle Idee! Und du bist dir ganz sicher, dass er der Richtige ist? Ehrlich? Also los, dann gehen wir gleich zur Mama und sagen es ihr.«

Und so fand sich Terentia auf ihrem ureigenen Terrain von ihrem eigenen Mann so kunstfertig ausgetrickst, als sei sie irgendein Aristokraten-Hohlkopf aus dem Senat. Nicht dass sie an Frugi etwas auszusetzen gehabt hatte, er war eine selbst nach ihren Ma?staben mehr als angemessene Partie - ein sanftmutiger und gewissenhafter junger Mann, einundzwanzig Jahre alt, aus au?erst vornehmer Familie. Aber sie war naturlich viel zu intelligent, um nicht zu erkennen, dass Cicero eben die zweitbeste Moglichkeit ergriff, wenn er schon keinen eigenen Sohn haben konnte - namlich einen Ersatzmann auszubilden, dem er eine Karriere im offentlichen Leben ebnen konnte. Diese Erkenntnis empfand sie zweifellos als Bedrohung, und Terentia war ein Mensch, der auf Bedrohungen immer sehr heftig reagierte. Die Verlobungszeremonie im November ging noch glatt uber die Buhne: Unter den zustimmenden Blicken beider Familien und deren Haushaltsmitgliedern streifte der schuchterne Frugi seiner Verlobten, die er im Ubrigen sehr mochte, den Ring uber den Finger, und man legte fest, dass die Hochzeit in funf Jahren stattfinden wurde, wenn Tullia in die Pubertat kame. Aber noch am gleichen Abend lieferten sich Cicero und Terentia eines der heftigsten Wortgefechte ihrer Ehe. Es begann im Tablinum, und es fing so plotzlich an, dass ich mich nicht mehr rechtzeitig verdrucken konnte. Cicero hatte irgendeine harmlose Bemerkung daruber gemacht, wie herzlich die

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