Farbklecks auf diesem ansonsten grauen Bild; auf dem Forum verteilte sich die Masse der vor Kalte rotgesichtigen Wahler, die sich um die zehn Fu? hohen Fahnen ihres jeweiligen Bezirks scharten. Auf jeder Fahne prangte in gro?en Buchstaben ein Name, AEMILIA, CAMILIA, FABIA etc., sodass umherstreunende Manner immer wussten, wo ihr Platz war. Zwischen den Gruppen wurde gewitzelt und um Stimmen gefeilscht, bis die Trompete des Herolds sie zur Ordnung rief. Der amtliche Ausrufer absolvierte mit scharfer Stimme die zweite Lesung des Gesetzes, danach trat Gabinius vor und hielt eine kurze Rede. Er habe eine erfreuliche Nachricht, sagte er, eine Nachricht, fur die das Volk Roms gebetet habe. Pompeius Magnus, tief beruhrt vom Leid der Nation, habe seine Position nochmals uberdacht und sei gewillt, seinem Volk als Oberbefehlshaber zu dienen - aber nur, wenn es der einstimmige Wille von ihnen allen sei. »Ist das euer Wille?«, rief er laut, worauf ihm begeisterter Jubel entgegenschlug. Dank der Arbeit der Funktionare aus den Wahlbezirken ging das noch eine Zeit lang so weiter. Wann immer Cicero den Eindruck hatte, dass die Lautstarke etwas abflaute, gab er einigen dieser Funktionare ein diskretes Zeichen, das diese augenblicklich weiterleiteten, und sofort wurden wieder eifrig Fahnen geschwenkt, um den Applaus von Neuem anzufachen. Schlie?lich rief Gabinius sie mit einer Handbewegung zur Ruhe. »Dann lasst uns zur Wahl schreiten!«

Langsam - und man musste seinen Mut bewundern, dass er uberhaupt aufstand angesichts so vieler tausend Menschen - erhob sich Trebellius von seinem Platz auf der Bank der Volkstribunen und trat vor - mit erhobener Hand, zum Zeichen seines Einspruchs. Gabinius betrachtete ihn voller Verachtung und brullte dann in die Menge: »Burger Roms, wollt ihr ihn sprechen lassen?«

»Nein!«, kreischte die Menge.

Worauf Trebellius mit vor Anspannung schriller Stimme rief: »Dann lege ich hiermit mein Veto ein!«

An jedem anderen Tag in den vergangenen vierhundert Jahren, au?er im Jahr von Tiberius Gracchus' Volkstribunat, ware mit diesem Satz das Gesetzgebungsverfahren beendet gewesen. An diesem schicksalhaften Morgen jedoch brachte Gabinius die hohnisch johlende Menge mit einer Handbewegung zum Schweigen und sagte: »Stimmt ihr Trebellius zu?«

»Nein!«, brullten die Menschen. »Nein! Nein!«

»Gibt es irgendeinen unter euch, der ihm zustimmt?« Nur der Wind war zu horen. Selbst die Senatoren, die Trebellius unterstutzten, wagten es nicht, ihre Stimme zu erheben; sie standen schutzlos inmitten der anderen Mitglieder ihres Wahlbezirks und furchteten, dass der Mob uber sie herfallen wurde. »Dann beantrage ich gema? dem von Tiberius Gracchus geschaffenen Prazedenzfall, dass Trebellius wegen Missachtung seines Amtseides, der ihn zur Vertretung der Interessen des Volkes verpflichtet, als Tribun abgesetzt wird, und beantrage weiter, dass sofort daruber abgestimmt wird.«

Cicero sah mich an. »Jetzt fangt das Schauspiel an«, sagte er.

Sekundenlang schauten sich die versammelten Burger nur stumm an. Dann begannen sie zu nicken, begriffen allmahlich, und die Erkenntnis au?erte sich in einem langsam ansteigenden Gerauschpegel. Es war die Erkenntnis - zumindest bin ich heute dieser Ansicht, da ich mit geschlossenen Augen in meinem kleinen Arbeitszimmer sitze und mich erinnere -, dass sie jetzt abstimmen konnten und die hohen Herren im Senat nicht die Macht hatten, sie daran zu hindern. Catulus, Hortensius und Crassus bahnten sich aufgeschreckt einen Weg nach vorn und forderten eine Anhorung, doch Gabinius hatte einige von Pompeius' Veteranen vor den untersten Tempelstufen postiert, die die protestierenden Senatoren aufhielten. Vor allem der sonst so beherrscht wirkende Crassus war au?er sich. Mit vor Zorn rot angelaufenem und verzerrtem Gesicht versuchte er vergeblich, das Podium zu sturmen. Er entdeckte Cicero, zeigte auf ihn und brullte etwas, doch er war zu weit weg und es war zu viel Larm, als dass wir ihn hatten verstehen konnen. Cicero bedachte ihn mit einem freundlichen Lacheln. Der Ausrufer verlas Gabinius' Antrag - »... dass Trebellius nach dem Willen des Volkes als dessen Tribun abgesetzt werden soll ...« -, und die Wahlhelfer begaben sich zu ihren Arbeitsplatzen. Wie ublich stimmten die Burger des Wahlbezirks Subura als Erste ab: In Zweierreihen bewegten sie sich den Holzsteg hinauf, gaben ihre Stimme ab und gingen die Steinstufen an der Seite des Tempels wieder hinunter aufs Forum. Ein Bezirk nach dem anderen schritt zur Wahl, und jeder stimmte dafur, Trebellius seines Amtes zu entheben. Dann kamen die landlichen Bezirke an die Reihe. Das Prozedere beanspruchte mehrere Stunden, wahrenddessen sich Trebellius, dem die Angst ins graue Gesicht geschrieben stand, immer wieder mit seinem Leidensgenossen Roscius besprach. Einmal verschwand er vom Podium. Wohin, habe ich nicht gesehen, aber ich nehme an, dass Trebellius Crassus gebeten hat, ihn von seiner Verpflichtung zu entbinden. Uberall auf dem Forum standen Senatoren nach der Stimmabgabe ihrer Bezirke in kleinen Gruppen zusammen. Ich sah, wie Catulus und Hortensius mit verbissenen Gesichtern von Gruppe zu Gruppe gingen. Wahrend ich an meinem Platz blieb, tauchte auch Cicero in die Menge ein und drehte seine Runden. Er sprach mit den Senatoren, darunter Torquatus und sein alter Verbundeter Marcellinus, die er heimlich dazu uberredet hatte, in Pompeius' Lager zu wechseln.

Als siebzehn Bezirke fur Tribellius' Absetzung votiert hatten, ordnete Gabinius eine Unterbrechung der Abstimmung an. Er zitierte Trebellius an den vorderen Rand des Podiums und fragte ihn, ob er sich nun dem Willen des Volkes beugen und so sein Amt als Tribun retten wolle oder ob er den achtzehnten Wahlgang fur notig halte, der ihn mit Sicherheit das Amt kosten werde. Das war Trebellius' Gelegenheit, als heldenhafter Kampfer fur seine Sache in die Geschichte einzugehen, und ich habe mich oft gefragt, ob er spater, als alter Mann, seine Entscheidung jemals bereut hat. Wahrscheinlich hat er sich noch Hoffnungen auf eine politische Karriere gemacht. Jedenfalls gab er nach kurzem Zogern seine Zustimmung und zog das Veto zuruck. Ich brauche wohl kaum hinzufugen, dass er fortan von beiden Lagern mit Verachtung gestraft wurde und nie mehr in Erscheinung trat.

Alle Augen richteten sich nun auf Roscius, Crassus' zweiten Tribun. In diesem Augenblick, es war wohl am fruhen Nachmittag, erschien Catulus ein zweites Mal an den Tempelstufen, wolbte die Hande vor dem Mund und rief laut zu Gabinius hinauf, dass er eine Anhorung verlange. Wie ich schon erwahnte, genoss Catulus wegen seines Patriotismus gro?en Respekt in der Bevolkerung. Gabinius konnte ihn nur schwerlich abweisen, nicht zuletzt deshalb, weil er der Ranghochste der Exkonsuln im Senat war. Er machte den Veteranen ein Zeichen, Catulus durchzulassen, worauf dieser trotz seines hohen Alters wie eine Eidechse die Stufen hinaufschoss. »Das ist ein Fehler«, flusterte mir Cicero zu.

Hinterher sagte Gabinius zu Cicero, dass er geglaubt habe, angesichts ihrer Niederlage seien die Aristokraten zum Wohle der nationalen Einheit zu Zugestandnissen bereit. Dem war aber ganz und gar nicht so. Catulus wetterte gegen die lex Gabinia und die illegalen Methoden, derer man sich bedient habe, um das Gesetz durchzupeitschen. Es sei Wahnsinn, erklarte er, die Sicherheit der Republik in die Hande eines einzigen Mannes zu legen. Krieg sei ein riskantes Geschaft, vor allem der zur See: Was geschahe mit dem Oberbefehl, wenn Pompeius getotet wurde? Wer wurde an seine Stelle treten? Ein Mann schrie »du!«, eine Reaktion, so schmeichelhaft sie auch gewesen sein mochte, die uberhaupt nicht im Sinn von Catulus war. Er wusste sehr gut, dass er fur den Krieg viel zu alt war. Was er eigentlich im Sinn hatte, war ein gemeinsames Kommando von Crassus und Pompeius. Obwohl er den Menschen Crassus verachtete, ging er doch davon aus, dass der reichste Mann Roms zumindest ein Gegengewicht zu Pompeius' Macht bilden wurde. Inzwischen hatte Gabinius erkannt, dass es ein Fehler gewesen war, Catulus das Wort zu erteilen. Die Wintertage waren kurz, und der Wahlgang musste bis Sonnenuntergang abgeschlossen sein. Er schnitt dem ehemaligen Konsul rude das Wort ab und sagte, er habe seinen Standpunkt klargemacht, und es sei nun an der Zeit, die Angelegenheit an der Wahlurne zu einem Ende zu bringen. Daraufhin sprang Roscius auf und versuchte den formalen Antrag zu stellen, das Oberkommando zu teilen. Das Volk war jedoch inzwischen so aufgebracht, dass es ihm die Anhorung verweigerte. Es entstand ein derart ohrenbetaubendes Geschrei, dass - so erzahlte man sich spater - ein gerade uber das Forum fliegender Rabe tot vom Himmel fiel. Angesichts des Aufruhrs konnte Roscius nichts weiter tun, als mit zwei erhobenen Fingern sein Veto gegen das Gesetz einzulegen und gleichzeitig zum Ausdruck zu bringen, dass er zwei Oberbefehlshaber bevorzuge. Beim Versuch, per Abstimmung einen zweiten Volkstribun aus dem Amt jagen zu wollen, daruber war sich Gabinius im Klaren, wurde ihm nicht nur das Sonnenlicht abhanden kommen, sondern auch die Moglichkeit, das Oberkommando noch heute beschlie?en zu lassen. Und wer konnte wissen, was die Aristokraten aus dem Hut zauberten, wenn man ihnen die Gelegenheit gab, ihre Krafte uber Nacht neu zu formieren? Also wandte er Roscius einfach den Rucken zu und gab die Gesetzesvorlage ungeachtet des Einspruchs zur Abstimmung frei.

»Das war's«, sagte Cicero zu mir, wahrend die Wahlhelfer wieder zu ihren Platzen zuruckliefen. »Die Sache ist durch. Lauf zu Pompeius' Haus und sag Bescheid, dass sofort jemand zum General rausreiten soll. Und zwar mit folgender Botschaft, schreib auf: >Das Gesetz ist angenommen. Der Oberbefehl geht an dich. Sofortige Ruckkehr nach Rom erforderlich, noch heute Abend. Zur Stabilisierung der Lage ist deine Anwesenheit unerlasslich. Gezeichnet, Cicero.<« Ich kontrollierte, ob ich auch alles richtig notiert hatte, und machte mich dann schleunigst auf den Weg, wahrend Cicero sich erneut unter die Menschen mischte und ohne Zweifel wieder voll in seinem

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