„Hor endlich mit dem Gerede auf und gib mir eine klare Antwort auf eine klare Frage. Ich kann dir versprechen, da? dein Gesicht keine Narben behalten wird. Und die Chancen, da? du keine Narben behaltst, wenn du dein Gesicht auf normale Art heilen la?t, stehen funfzig zu funfzig. Wenn du uns den Job tun la?t, wird nicht einmal deine Mutter merken, da? an dir eine Regeneration vorgenommen wurde. Du hast das Recht, selbst die Entscheidungen zu treffen, was deine Gesundheit betrifft. Wozu entschlie?t du dich also?“

Rick antwortete erst nach zwei Minuten. Still lag er da, und er vermied es, Mancini anzusehen.

„Also gut, tun Sie Ihr Bestes“, sagte er dann. „Wie lange, sagten Sie, wird es dauern?“

„Ich kann mich nicht erinnern, da? ich das gesagt habe. Aber wahrscheinlich wird es zwei Wochen dauern.“

„Wann werden Sie beginnen?“

„Nachdem ich geschlafen habe. Dein Blut ist wieder normal.

Nichts kann uns noch aufhalten. Welche Bucher mochtest du?“

„Eh?“

„Dein Kopf mu? noch eine Zeitlang festgeklemmt bleiben.

Du kannst nur in eine Richtung blicken, gerade nach oben. Mit der linken Hand kannst du einen Schalter bedienen, und ein Projektor kann die Buchseiten an die Decke werfen. Ich wei? nicht, womit du dich sonst beschaftigen sollst. Willst du leichte Unterhaltungsliteratur oder interessierst du dich fur die Grundlagen der Biochemie?“

Eine Regenerationsmaschine wirkt plump, obwohl sie in ihrer Struktur sehr kompliziert ist. Ihre Sensoren sind kleiner im Durchmesser als menschliche rote Blutkorperchen, und es gibt Millionen davon. Die Injektoren und Prufer sind nur so gro?, da? Zellen in ihre Rohren passen, und auch sie sind zu zahlreich, als da? das Gerat auf mechanischem Weg hatte konstruiert werden konnen. Der Steuercomputer mit seinen mehr als zwei Kubikmetern „Maschinen“ von Molekulgro?e basiert denn auch auf einem synthetischen Zeolit-Rahmen. Es dauert etwa einen Tag, bis die Gendaten, die fur einen speziellen Fall erforderlich sind, in den Computer selbst gelangen. Und es hatte ein ganzes Leben gedauert, wenn man das manuell gemacht hatte.

Die Grenze zwischen zwei anscheinend so verschiedenen Gebieten wie Medizin und Technik war bei der Regenerationsmaschine verwischt. Marco Mancini und Bert Jellinge betrachteten sich als Mechaniker. Es ist schwer zu sagen, als was sie ein paar Dekaden fruher bezeichnet worden waren. Sogar zu der Zeit, als sie geboren worden waren, hatten kaum zehn Arzte auf der ganzen Welt all das gewu?t, was zu ihrer Grundausbildung gehorte.

Als sie die Vorbereitungen ihrer Arbeit an Rick getroffen hatten, bildeten etwa funf Millionen Sensorenfuhler einen Bart auf dem Gesicht des Jungen. Die meisten drangen am Rand der verletzten Teile in die Haut. Funfhundert der Fuhler bildeten mit gro?eren Rohren eine Einheit. Die Fuhler informierten den Computer uber die genetischen Muster, die im Verlauf des Heilprozesses aktiv waren — oder wenigstens uber eine statistisch signifikante Anzahl von genetischen Mustern. Wann immer diese Aktivitaten nicht das erreichten, was sie nach Meinung des Computers erreichen sollten, nahm eine der gro?eren Rohren eine Zelle aus dem betreffenden Gebiet und transferierte sie in einen gro?en Brutapparat — „gro?“ in dem Sinn, da? er ohne Mikroskop gesehen werden konnte — direkt auf der Oberflache von Ricks Haut. Hier wurde die Zelle analysiert und so verandert, da? der Heilproze? ohne Zwischenfalle weitergehen konnte.

Wenn irgend etwas nicht plangema? verlief, wurden Zellen modifiziert, aktive Teile des genetischen Materials verandert, inaktive Teile aktiviert. Die reparierten Zellen wurden geteilt und wieder an ihren Originalplatz transferiert.

Fast alles geschah automatisch. Zu viele Operationen gingen gleichzeitig vor sich, als da? man sie manuell hatte kontrollieren konnen. Trotzdem waren Mancini und Jellinge beschaftigt.

Kein Leben, weder das wirkliche noch das kunstliche, ist unfehlbar, und auch Computer konnen irren.

Auch Zellen, die nicht das besondere Interesse des Compu ters erregt hatten, die aus Gebieten stammten, wo alles in Ordnung zu sein schien, wanderten durch die Rohren. Sie gingen weiter als bis zum Brutapparat. Sie kamen an eine Stelle, wo ein menschlicher Beobachter sie mittels Mikroskop betrachten konnte. Das alles geschah vierundzwanzig Stunden pro Tag, und die beiden Mechaniker wurden von vier anderen von Zeit zu Zeit am Mikroskop abgelost.

Die Fuhler und Rohren, die am weitesten von den verletzten Stellen waren, zogen sich konstant zuruck, ertasteten sich den Weg zur Aktionsfront, pflanzten selbst neu ein, von chemischen Anhaltspunkten geleitet.

Wahrend die Tage verstrichen, bildeten sich allmahlich Haut, Fleisch und Muskeln, Nerven, Knochen und Venen an den richtigen Stellen an Stubbs’ Gesicht und Hand. Das Gesicht war, wie Mancini vorhergesagt hatte, zuerst fertig. Bei der abgetrennten Hand mu?ten die meisten Zellen neu gebildet werden.

Als Ricks Kopf nicht mehr festgeklemmt war, bat er den Mechaniker um einen Spiegel. Mancini trug ihn bereits bei sich und reichte ihn dem Jungen. Er beobachtete, wie Rick sein Gesicht hin und her drehte und es aus jedem moglichen Blickwinkel musterte. Er hatte erwartet, da? ein Madchen sich so benahm.

Aber warum fuhrte der Junge sich so auf?

„Nun, bist du immer noch derselbe?“ fragte Mancini schlie?lich.

„Wenigstens hast du deine Fingerabdrucke behalten.“

Rick senkte den Spiegel.

„Vielleicht hatte ich doch eine neue Hand nehmen sollen. Mit neuen Fingerabdrucken hatte ich vielleicht unerkannt einen Bankuberfall begehen und die Wartezeit bis zu meinem wohlverdienten Ruhestand verkurzen konnen.“

„Glaube das ja nicht“, erwiderte Mancini grinsend. „Deine neuen Fingerabdrucke waren zusammen mit deinen Gendaten langst in Denver in deiner Spezialakte festgehalten, noch bevor du aus der Maschine gekommen warst. Ich mu?te eine schriftliche Darstellung der Operation einreichen, bevor ich damit beginnen konnte. Also vergi? deine geplanten Vorhaben.“

Stubbs zuckte mit den Schultern.

„Ich bin nicht besonders enttauscht, weil ich die Verbrecherlaufbahn nicht ergreifen kann. Wie lange wird es dauern, bis ich mit dieser Hand einen Brief schreiben kann?“

„Etwa zehn Tage. Aber warum willst du dir die Muhe machen, einen Brief zu schreiben? Du kannst reden, mit wem du willst. Hast du nicht jeden Tag deine Eltern im Visiphon gesehen?“

„Ja. Haben Sie eigentlich herausgefunden, warum die Haifisch verungluckt ist?“

Mancini schnitt eine Grimasse.

„Allerdings. Sie wurde von demselben Zeug infiziert, das den Zeowal getotet hat. Hast du vielleicht nicht zufallig mit dem Fisch eine Strebe beruhrt, als du die Schlingen anbrachtest?“

Rick starrte ihn an.

„O Gott, ja! Ich druckte ihn gegen den Rumpf und an eine Strebe, weil er so glitschig war… Es tut mir leid — ich wu?te ja nicht…“

„Naturlich wu?test du es nicht. Und ich auch nicht. Spater dachte ich nie an diese Moglichkeit. Eine der Streben war durch das Zeug so geschwacht worden, da? sie bei voller Fahrt brach, und Newtons Gesetze erledigten den Rest.“

„Aber bedeutet das nicht, da? auch die anderen Schiffe in Gefahr sind? Und was ist mit der Guppy? Kann man denn nichts dagegen tun?“

„Oh, sicher. Es wurde schon langst etwas getan. In wenigen Wochen wurde ein Virus, das dieses Gewachs vernichtet, hergestellt.

Aber warum hast du das Thema gewechselt, Junge?

Deine Leute haben angerufen. Ich konnte nicht umhin, eure Gesprache mitanzuhoren, wenn ich auf Beobachtungsposten war. Warum willst du also unbedingt einen Brief schreiben?“

Er bemerkte mit professioneller Zufriedenheit, da? die Rote sich gleichma?ig auf Ricks Gesicht ausbreitete. Die Kapillargefa?e und Hilfsmuskeln und — nerven waren hervorragend gebildet worden.

„Rede schon, Junge!“

„Es ist — nicht so wichtig“, stammelte Rick.

„Nicht wichtig — oh, ich verstehe. Nicht wichtig genug. Aber doch so wichtig, da? du dich in einen zitternden Einfaltspinsel verwandelst, der vor Angst umkommt, seine hubschen Gesichtszuge konnten sich womoglich andern, der kaum fahig ist, simple Entscheidungen zu treffen. Aber ab jetzt wird ohnehin sie alle Entscheidungen treffen.“

Rick errotete noch tiefer.

„Also gut, Marco. Sie haben recht! Und jetzt tun Sie Ihren Job und sehen Sie zu, da? meine Hand fertig wird, damit ich schreiben kann. Zumindest gibt es noch eine Form der Kommunikation, die Sie nicht mithoren konnen, wenn Sie auf Posten sind.“

„Deine Hand wird bald in Ordnung sein, Rick, und in wenigen Wochen wirst du lernen, damit zu schreiben.“

„Was?“

„Es ist ein neues Nervennetz. Die Nerven sind etwas hoher am Unterarm mit deinen alten Nerven verbunden. Du mu?t neu lernen, deine rechte Hand zu gebrauchen.“

Der Junge starrte ihn besturzt an.

„Aber mache dir keine Sorgen. Ich werde mein Bestes tun, um die Zeit zu verkurzen. Aber die Sache mit dem Brief gehort nicht zu meinem Job. Ich bin nur ein Mechaniker. Wenn du liebeskrank bist, gehe besser zu einem Arzt.“

ENDE
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