Geldes willen riskieren, zehn Jahre ins Gefangnis gesteckt oder aus der Heimat verbannt zu werden? Seit ich angefangen habe, mit Ihren Leuten vom Palmach zu arbeiten, hat mich das mehr als funftausend Pfund gekostet.«

»Ich finde«, sagte David rasch und vermittelnd, »du solltest dich bei Herrn Mandria entschuldigen. Er selbst, seine Taxifahrer und seine Hafenarbeiter nehmen alle moglichen Risiken auf sich. Ohne die Hilfe der Griechen ware es uns kaum moglich, hier zu arbeiten.« Mandria lie? sich in einen Sessel fallen. Man sah ihm an, da? er tief verletzt war. »Jawohl, Ben Kanaan, wir bewundern euch. Denn wir meinen, wenn es euch gelingt, die Englander aus Palastina hinauszuwerfen, dann gelingt es uns vielleicht eines Tages, hier in Zypern dasselbe zu tun.«

»Ich bitte um Verzeihung, Herr Mandria«, sagte Ari. »Ich bin vermutlich uberreizt.« Doch er sagte die Worte rein mechanisch, ohne sie so zu meinen.

Das schrille Gerausch von Sirenen, das von drau?en zu horen war, lie? die Unterhaltung abbrechen. Mandria offnete die Tur zum Balkon und ging zusammen mit David hinaus. Ari ben Kanaan folgte ihnen und blieb hinter ihnen stehen. Sie sahen einen Panzerwagen mit Maschinengewehren, der an der Spitze einer Kolonne von Lastwagen die Stra?e vom Hafen heraufkam. Es waren insgesamt funfundzwanzig Lastwagen, umgeben von Jeeps, auf denen Maschinengewehre aufmontiert waren.

Die Menschen, die eng zusammengedrangt auf den Lastwagen standen, waren Passagiere des illegalen Schiffes Tor der Hoffnung, das versucht hatte, von Italien aus Palastina zu erreichen und die englische Blockade zu durchbrechen. Das Schiff war von einem englischen Zerstorer gerammt worden. Man hatte es nach Haifa abgeschleppt und die illegalen Einwanderer unverzuglich nach Zypern gebracht.

Das Heulen der Sirenen wurde lauter, als die Wagenkolonne an dem Balkon von Mandrias Haus vorbeifuhr. Ein Wagen nach dem anderen kam vorbei, und die drei Manner, die auf dem Balkon standen, sahen von oben auf das Elend der eingepferchten, durcheinandergeruttelten Menschen. Es waren geschlagene Leute, Menschen, die am Ende waren, fassungslos, verfallen, entkraftet. Die Sirenen kreischten, die Wagenkolonne bog bei dem Tor der alten Stadtmauer um die Ecke auf die Stra?e nach Salamis ein, die zu den Lagern bei Caraolos fuhrte. Dann waren die Wagen verschwunden, doch das Heulen der Sirenen zerschnitt noch lange die Luft.

David ben Amis Hande waren zu Fausten geballt; er hatte die Zahne krampfhaft zusammengebissen, und in seinem Gesicht stand ohnmachtige Wut. Mandria weinte. Nur Ari ben Kanaan lie? keinerlei Regung erkennen. Sie verlie?en den Balkon und gingen wieder hinein.

»Sie werden sicherlich vieles miteinander zu bereden haben«, sagte Mandria, noch immer schluchzend. »Ich hoffe, Ben Kanaan, da? Ihr Zimmer Ihnen zusagt. Eine Uniform fur Sie, Ausweise und ein Taxi werden wir bis morgen beschaffen. Gute Nacht.«

Kaum waren David und Ari allein, als sie sich in die Arme fielen. Der Gro?e hob den Kleinen hoch und stellte ihn wieder hin, als ware er ein Kind. Sie musterten einander, gratulierten sich gegenseitig zu ihrem guten Aussehen und umarmten sich von neuem, »Was ist mit Jordana?« fragte David ungeduldig. »Warst du vor der Abreise bei ihr? Hat sie dir etwas fur mich mitgegeben?«

»Etwas mitgegeben?« sagte Ari und strich sich das Kinn, als mu?te er uberlegen. »Warte mal —.«

»Komm, Ari — es ist Monate her, seit ich einen Brief bekommen habe —.«

Ari seufzte und holte einen Brief aus der Tasche, den David ihm aus der Hand ri?. »Ich habe ihn in einen Gummibeutel gesteckt.

Als ich heute abend an Land schwamm, war mein einziger Gedanke, da? du mir den Kopf abrei?t, wenn dein bloder Brief na? wird.«

Doch David horte nicht zu. Er hielt sich in dem dammrigen Licht den Brief dicht vor die Augen und las langsam die Worte einer Frau, die Sehnsucht nach dem hatte, den sie liebte. Dann faltete er den Brief vorsichtig zusammen und verwahrte ihn sorgsam in seiner Brusttasche, um ihn spater wieder und wieder zu lesen. Denn bis zum nachsten Brief konnten Monate vergehen. »Wie geht es ihr?« fragte er.

»Ich verstehe nicht, was meine Schwester eigentlich an dir hat. Jordana? Die ist unverandert. Sie ist wild und schon, und sie liebt dich sehr.« »Und meine Eltern — meine Bruder — unsere Palmach-Gruppe — was macht —.«

»Sachte, sachte. Ich bleibe ein Weilchen hier. Immer eins nach dem andern.«

David holte den Brief wieder heraus und las ihn noch einmal, und die beiden Manner schwiegen. Sie starrten durch die Scheiben der Balkontur auf die alte Stadtmauer jenseits der Stra?e. »Wie sieht es aus bei uns zu Hause?« fragte David mit leiser Stimme. »Bei uns? Wie immer. Es wird geschossen, und es fallen Bomben. Genau, wie es Tag fur Tag gewesen ist, seit wir Kinder waren. Es bleibt immer dasselbe. Jedes Jahr nahern wir uns einer Krise, die mit Sicherheit das Ende bedeutet — und dann bewegen wir uns auf die nachste Krise zu, die noch bedrohlicher ist als die letzte. Nein«, sagte Ari, »bei uns zu Haus ist alles beim alten. Nur — diesmal wird es Krieg geben.« Er legte dem kleineren David, seinem Freund, die Hand auf die Schulter. »Wir alle sind verdammt stolz auf das, was du in den Internierungslagern geleistet hast.«

»Ich habe mich bemuht, alles zu erreichen, was moglich ist, wenn man versucht, Soldaten mit Besenstielen auszubilden. Palastina ist fur diese Leute unerreichbar fern. Sie haben keine Hoffnung mehr.

— Ari, ich mochte dich bitten, kein Mi?trauen mehr gegen Mandria zu hegen. Er ist ein gro?artiger Mann und wirklich unser Freund.« »Ich vertrage es nun einmal nicht, David, wenn Leute meinen, sie mu?ten uns beschutzen.«

»Wir konnten unsere Arbeit hier nicht leisten ohne ihn und die Hilfe der Griechen.«

»Fall bitte nicht auf die Mandrias herein, die es uberall auf der Welt gibt. Sie weinen blutige Tranen uber die Millionen von uns, die man umgebracht hat, doch wenn es ernst wird, dann werden wir allein sein. Mandria wird uns genauso im Stich lassen wie alle andern. Wir werden verraten und verkauft sein, wie wir es stets gewesen sind. Wir haben keinerlei Freunde au?er unseren eigenen Leuten, vergi? das nicht.«

»Und du irrst dich doch«, gab David heftig zuruck.

»David, David, David. Ich bin schon so lange beim Palmach und Mossad-Mitglied, da? ich die Jahre nicht mehr zahlen mag. Du bist noch jung. Das hier ist dein erster gro?er Auftrag. La? dir den Verstand nicht durch dein Gefuhl verdunkeln.«

»Ich will aber, da? das Gefuhl meinen Verstand verdunkelt«, antwortete David. »Mein Inneres brennt jedesmal, wenn ich so etwas wie diese Wagenkolonne sehe. Unsere Leute, Menschen unseres Volkes, eingesperrt wie Tiere im Kafig!«

»Wir versuchen es mit den verschiedensten Methoden«, sagte Ari, »und wir mussen dabei einen klaren Kopf behalten. Manchmal haben wir Erfolg, und manchmal mi?lingt er uns. Hauptsache, da? man immer klar und nuchtern bleibt.«

Noch immer war aus der Ferne das Gerausch der Sirenen zu horen. David zundete sich eine Zigarette an und sah einen Augenblick nachdenklich vor sich hin. »Ich darf nie den Glauben daran verlieren«, sagte er feierlich, »da? ich an dem neuen Abschnitt einer Geschichte mitschreibe, deren Anfang uber viertausend Jahre zuruckliegt.« Er drehte sich um und sah aufgeregt nach oben in das Gesicht des Gro?eren.

»Ari, denken wir zum Beispiel an die Stelle, wo du heute abend an Land gekommen bist. Einstmals stand dort die Stadt Salamis. Und dieses Salamis war es, von wo die Erhebung ausging, deren Fuhrer Bar Kochba war. Er vertrieb die Romer aus unserem Land und stellte das judische Konigreich wieder her. Es gibt da in der Nahe der Internierungslager eine Brucke — die hei?t die Judenbrucke. Sie hei?t seit zweitausend Jahren so. An diese Dinge mu? ich immer denken. Genau an derselben Stelle, an der wir einst gegen das romische Imperium gekampft haben, kampfen wir jetzt, zweitausend Jahre spater, gegen das Britische Empire.«

Ari Ben Kanaan, der David um Haupteslange uberragte, sah lachelnd zu dem jungeren Mann hinunter, wie ein Vater, der milde uber die allzugro?e Begeisterung seines Sohnes lachelt. »Erzahl die Geschichte bis zu Ende. Nach dem Aufstand des Bar Kochba kamen die romischen Legionen in unser Land zuruck, nahmen eine Stadt nach der andern ein und metzelten die Bevolkerung nieder. In der Entscheidungsschlacht von Bejtar vereinigte sich das Blut der hingemordeten Frauen und Kinder zu einem roten Strom, der eine Meile weit flo?. Akiba, einem der Heerfuhrer, wurde bei lebendigem Leibe die Haut heruntergezogen, und Bar Kochba wurde in Ketten nach Rom gebracht, um dort in der Lowengrube zu sterben. Oder war es Bar Giora, der bei einem anderen Aufstand in der Lowengrube starb? Es ist moglich, da? ich diese vielen Erhebungen durcheinanderbringe. O ja, die Bibel und unsere Geschichte sind voll von wunderbaren Erzahlungen und gern geglaubten Wundern. Doch unser Heute, das ist kein Wunder, sondern Wirklichkeit. Wir haben keinen Josua, der die Sonne stillstehen und die Mauern einsturzen lassen kann. Die britischen Tanks werden nicht im Schlamm steckenbleiben wie die Wagen der Kanaaniter, und das Meer hat sich nicht uber der englischen Flotte geschlossen wie damals uber dem Heer des Pharao. Die Zeiten der Wunder sind

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