vorbei, David.«

»Nein, sie sind nicht vorbei! Allein die Tatsache unserer Existenz ist ein Wunder. Wir haben die Romer uberlebt, die Griechen und sogar Hitler. Wir haben jeden uberlebt, der uns unterdrucken wollte, und wir werden auch das Britische Empire uberleben. Das ist ein Wunder, Ari.«

»Also, David — das eine wei? ich jedenfalls mit Sicherheit: Wie man mit Worten streitet und recht behalt, darauf verstehen wir Juden uns. Und jetzt wollen wir ein bi?chen schlafen.«

VII.

»Sie sind am Zug, Sir«, wiederholte Fred Caldwell.

»Ja, ja — entschuldigen Sie.« Brigadier Sutherland studierte die Stellung der Figuren und ruckte einen Bauern vor. Caldwell zog den Springer, und Sutherland wehrte ab, indem er gleichfalls einen Springer zog. Der Brigadier stellte fest, da? seine Pfeife ausgegangen war, fluchte und steckte sie wieder an.

Die beiden Manner blickten auf, als sie das leise, aber anhaltende Sirenengeheul horten. Sutherland sah auf die Uhr an der Wand. Das mu?ten die illegalen Einwanderer von dem Schiff Tor der Hoffnung sein.

»Tor der Hoffnung!« sagte Caldwell hohnisch. »Zions Zinnen, Gelobtes Land, Stern Davids — tolle Namen haben diese Blockadebrecher, das mu? ich schon sagen.«

Sutherland legte die Stirn in Falten. Er versuchte, den nachsten Zug auszuklugeln, doch die Sirenen gingen ihm nicht aus den Ohren. Er starrte auf die elfenbeinernen Schachfiguren, doch was er vor sich sah, das war eine Kolonne von Lastwagen, angstverzerrte Gesichter, Maschinengewehre, Panzerwagen. »Wenn Sie nichts dagegen haben, Caldwell, dann mochte ich mich jetzt lieber zuruckziehen.«

»Fehlt Ihnen irgend etwas, Sir?«

»Nein«, sagte der Brigadier. »Gute Nacht.« Er ging mit raschen Schritten hinaus, machte die Tur seines Schlafzimmers hinter sich zu und lockerte seine Jacke. Das Heulen der Sirenen schien ihm unertraglich laut. Er machte hastig das Fenster zu, um das Gerausch nicht mehr horen zu mussen. Doch er horte es noch immer.

Bruce Sutherland stand vor dem Spiegel und fragte sich, was eigentlich mit ihm los war. Mit ihm, einem Sutherland von Sutherland-Heights. Eine weitere ruhmreiche Karriere in einer langen Reihe ruhmreicher Karrieren, einer Reihe, die weiterging und so dauerhaft war wie England.

Doch in diesen letzten Wochen ging in Zypern irgend etwas vor sich. Etwas, das an seinen Nerven zerrte. Er stand vor dem Spiegel, sah in die schwimmenden Augen, die ihn aus dem Spiegel anblickten, und fragte sich, wo und wann das Ganze eigentlich angefangen hatte.

Sutherland: Guter Mann fur jedes Team, hie? es in den Annalen von Eton. Sehr ordentlicher Knabe, dieser Sutherland. Familie, Ausbildung, Laufbahn, alles, wie es sein soll.

Zur Army? Das ist das Richtige, Bruce, alter Junge. Wir Sutherlands haben seit Jahrhunderten in der Army gedient, das ist echte Familientradition.

Standesgema?e Heirat. Neddie Ashton, die Tochter von Colonel Ashton, das war ein guter Griff. Kommt aus einem guten Stall, die Neddie Ashton. Sehr geeignet als Herrin des Hauses, diese Frau. Kennt alle Leute, die man kennen mu?. Sie wird dir fur deine berufliche Laufbahn eine gro?e Hilfe sein. Passen gro?artig zusammen, die Ashtons und die Sutherlands.

Wo lag der Fehler? fragte sich Sutherland. Neddie hatte ihm zwei prachtige Kinder geschenkt. Albert war ein echter Sutherland, schon Captain in dem alten Regiment seines Vaters, und Martha hatte eine hervorragende Partie gemacht.

Bruce Sutherland nahm seinen Pyjama aus dem Schrank und zog ihn an. Er strich uber den leichten Fettansatz in der Taillengegend. Gar nicht so schlecht fur einen Mann von funfundfunfzig.

Sutherland hatte im zweiten Weltkrieg eine rasche Karriere gemacht, verglichen mit dem langsamen und muhsamen Avancement in Friedenszeiten. Er war in Indien gewesen, in Hongkong, in Singapur und im Nahen Osten. Doch erst im Krieg hatte sich gezeigt, aus welchem Holz er geschnitzt war. Er erwies sich als ein ungewohnlich befahigter Infanterie-Kommandeur. Bei Kriegsende war er Brigadier.

Sutherland zog seine Hausschuhe an, lie? sich langsam in einen Sessel sinken, schirmte das Licht ab — und die Gedanken an die Vergangenheit stiegen in ihm auf.

Neddie war ihm immer eine gute Frau gewesen. Sie war eine gute Mutter, eine hervorragende Gastgeberin, und sie war genau die richtige Frau fur einen Offizier in den Kolonien. Er war sehr vom Gluck begunstigt gewesen. Wann war der Ri? in ihrer Ehe entstanden? Doch, er erinnerte sich genau. Das war in Singapur, vor vielen Jahren.

Er war damals Major, als er Marina begegnete, der Eurasierin mit dem olivfarbenen Teint. Dieser Frau, die geschaffen war fur die Liebe. Jeder Mann trug tief in seinem Innersten verborgen das Bild einer Marina, doch seine Marina war aus Fleisch und Blut, war Lachen und Weinen, Glut und Leidenschaft, war Wirklichkeit. Mit Marina zusammen zu sein, war wie auf einem kochenden Vulkan zu leben, der jeden Augenblick ausbrechen konnte. Sie brachte ihn um den Verstand, er war verruckt nach ihr. Er machte ihr vor Eifersucht wutende Szenen, um sie im nachsten Augenblick, den Tranen nahe, um Verzeihung zu bitten. Marina — Marina. Die dunklen Augen und das rabenschwarze Haar. Sie konnte ihn qualen, konnte ihn entzucken. Mit ihr, durch sie erlebte er Hohen, von deren Existenz er bis dahin uberhaupt nichts gewu?t hatte. Bruce Sutherland erinnerte sich, was fur ein fassungsloses und tief gekranktes Gesicht Neddie gemacht hatte, als sie ihm eroffnete, da? sie alles wu?te.

»Es ist nicht so, da? mich diese Sache etwa nicht tief verletzt hatte«, hatte Neddie gesagt, zu stolz, um zu weinen, »doch ich bin bereit, zu vergeben und zu vergessen. Wir mussen schlie?lich an die Kinder denken, an deine Karriere — und an unsere Familien. Ich will versuchen, eine Form zu finden, irgendwie weiter mit dir zu leben, Bruce, doch du mu?t mir schworen, da? du diese Person nie wieder siehst und da? du ein Gesuch um sofortige Versetzung von Singapur einreichst.«

Diese Person, wie du sie nennst, hatte Bruce gedacht, ist die Frau, die ich liebe. Sie hat mir etwas gegeben, was weder du noch tausend andere Neddies mir jemals geben konnten. Sie hat mir gegeben, was zu erhoffen kein Mann auf dieser Erde ein Recht hat.

»Ich mochte deine Antwort horen, Bruce.«

Antwort? Wie konnte die Antwort schon ausfallen. Sollte er etwa einem eurasischen Madchen seine Karriere opfern? Dem Namen Sutherland Schande machen?

»Ich werde sie nie wiedersehen, Neddie«, hatte Bruce Sutherland versprochen.

Bruce Sutherland hatte sie nie wiedergesehen, doch er hatte auch nie aufgehort, an sie zu denken. Vielleicht war es das, womit alles angefangen hatte.

Die Sirenen waren nur noch sehr schwach zu horen. Die Wagenkolonne mu?te schon ganz in der Nahe von Caraolos sein, dachte Sutherland. Bald wurden die Sirenen schweigen, und dann konnte er schlafen. Er dachte an seine Pensionierung, die in vier bis funf Jahren zu erwarten war. Der Stammsitz der Familie in Sutherland-Heights war fur ihn allein viel zu gro?. Er wurde in einer kleinen Villa wohnen, vielleicht auf dem Lande. Es wurde allmahlich Zeit, sich nach ein paar guten Settern fur die Jagd umzusehen, sich Rosenkataloge schicken zu lassen und die Bibliothek zu vervollstandigen. Es war zu uberlegen, bei welchem Club in London er Mitglied werden sollte. Albert, Martha und seine Enkelkinder wurden fur ihn, wenn er in den Ruhestand trat, wirklich ein Trost sein. Und vielleicht — vielleicht wurde er sich auch eine Geliebte zulegen.

Es schien sonderbar, da? er sich nach fast drei?igjahriger Ehe ohne Neddie zur Ruhe setzen sollte. Sie war all die Jahre so still, vornehm und reserviert gewesen. Sie war so taktvoll uber seine Affare mit Marina hinweggegangen. Und auf einmal, nachdem sie ihr ganzes Leben lang vollig korrekt gewesen war, brach sie hemmungslos aus, um die letzten Jahre zu retten, die ihr als Frau noch blieben. Ging mit irgend so einem Bohemien, der zehn Jahre junger war als sie, auf und davon nach Paris. Alle Leute hatten gro?es Mitleid mit Bruce, dabei machte es ihm im Grunde wirklich nicht viel aus. Er hatte schon seit vielen Jahren keinerlei Beruhrung und nur wenig gefuhlsma?ige Verbindung mit Neddie gehabt. Wenn sie meinte, sich austoben zu mussen, bitte sehr. Vielleicht wurde er sie spater wieder zu sich nehmen — doch vielleicht war eine Geliebte besser. Das Gerausch der Sirenen horte endlich auf. Im Raum herrschte vollige Stille, und nur das dumpfe Murren der Brandung, die sich am Strande brach, war noch zu horen. Bruce Sutherland offnete das Fenster und atmete in tiefen Zugen die kuhle, frische Novemberluft. Er ging in das Badezimmer, nahm seine Zahnprothese heraus, sauberte sie und legte sie in ein Glas Wasser. Wirklich ein Jammer, dachte er, da? er diese vier Zahne hatte verlieren mussen. Das sagte er nun schon seit mehr als drei?ig Jahren. Damals hatte er sie bei einem Rugby-Spiel eingebu?t. Er prufte die anderen Zahne und stellte befriedigt fest, da? sie noch in gutem Zustand waren.

Er machte das Medizinschrankchen auf und musterte die Reihe der Flaschen. Er nahm eine Buchse mit Schlafpulver heraus und loste eine doppelte Dosis in Wasser auf. Er schlief in letzter Zeit schlecht. Sein Herz begann

Вы читаете Exodus
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату
×