David und Joab hatten sich diesen Umstand sofort zunutze gemacht und hier das Palmach-Hauptquartier eingerichtet. Nachts verwandelte sich der Spielplatz in ein militarisches Ausbildungslager fur die Internierten. Die Klassenzimmer dienten fur Schulungskurse in arabischer Psychologie, palastinischer Geographie, Taktik, Waffenkunde und hundert anderen Zweigen der Kriegfuhrung.

Jeder Internierte, der vom Palmach militarisch ausgebildet wurde, mu?te sich vor einem Scheintribunal verantworten. Dabei ging man von der Annahme aus, da? der Betreffende nach Palastina gelangt und dort von den Englandern geschnappt worden sei. Der Palmach-Ausbilder nahm ihn in ein Verhor, um den Nachweis zu erbringen, da? der Fluchtling illegal eingewandert war. Der »Kandidat« mu?te zahllose Fragen uber die Geographie und die Geschichte von Palastina beantworten, um zu »beweisen«, da? er bereits seit vielen Jahren dort gelebt hatte.

Wenn ein »Kandidat« den Kursus erfolgreich beendet hatte, organisierte der Palmach seine Flucht, meist von der Jugendsektion oder durch die unterirdischen Gange zu dem wei?en Haus auf dem Hugel von Salamis, von dem aus er nach Palastina geschmuggelt wurde. Auf diese Weise waren, in kleinen Gruppen von jeweils zwei oder drei Leuten, bereits mehrere hundert Fluchtlinge nach Palastina gebracht worden.

Bei der britischen CID wu?te man sehr wohl, da? in der JugendSektion dunkle Dinge vor sich gingen. Von Zeit zu Zeit versuchte man, Spitzel im Lager anzusetzen, getarnt als Lehrer oder Pfleger, doch Ghetto und Konzentrationslager hatten eine Generation von Kindern hervorgebracht, die schweigen gelernt hatten, und die Eindringlinge waren jedesmal innerhalb von ein oder zwei Tagen entdeckt worden.

Ari beendete seine Inspektion in dem Schulgebaude. Eins der Klassenzimmer war kein Schulraum, sondern das Palmach-Hauptquartier. Im Pult des Lehrers war ein Funkgerat verborgen, das die Nachrichtenverbindung mit Palastina aufrechterhielt. Unter den Bodenbrettern waren Waffen fur die militarischen Ausbildungskurse versteckt. Und in diesem Raum wurden auch Ausweise und Passe gefalscht.

Ari sah sich die Ausrustung der Falscherwerkstatt an und schuttelte den Kopf. »Das ist eine vollig unbrauchbare Pfuscherei«, sagte er. »Joab, ich bin sehr unzufrieden mit dir.«

Yarkoni zuckte nur die Schultern.

»In den nachsten Wochen werden wir einen Fachmann brauchen«, sagte Ari. »Du hast mir doch gesagt, David, es gabe einen hier in dieser Sektion.«

»Stimmt. Es ist ein Junge aus Polen, Dov Landau, doch der will nicht.« »Wir haben wochenlang vergeblich versucht, ihn dazu zu bewegen«, sagte Joab.

»Ich mochte gern mit ihm reden.«

Ari bat die beiden, drau?en zu warten, und betrat das Zelt von Dov Landau. Er sah sich einem blonden Jungen gegenuber, zu klein fur sein Alter, der den unerwarteten Eindringling mi?trauisch musterte. Ari kannte den Blick, diese Augen, in denen der Ha? stand. Er sah die nach unten gezogenen Mundwinkel und die verachtlich aufgeworfenen Lippen des Jungen, einen Ausdruck von Bosartigkeit, den so viele der Menschen zeigten, die im Konzentrationslager gewesen waren.

»Du hei?t Dov Landau«, sagte Ari und sah dem Jungen fest in die Augen. »Du bist siebzehn Jahre alt und stammst aus Polen. Du bist im Konzentrationslager gewesen, und du bist ein Fachmann auf dem Gebiet der Falschung. Ich hei?e Ari ben Kanaan, komme aus Palastina und bin Mitglied von Mossad Aliyah Bet.«

Der Junge spuckte verachtlich aus.

»Hor zu, Dov — ich habe weder die Absicht, dich um etwas zu bitten, noch habe ich die Absicht, dir zu drohen. Ich mochte dir vielmehr einen ganz klaren geschaftlichen Vorschlag machen. Nennen wir es einmal einen gegenseitigen Beistandspakt.«

»Ich will Ihnen mal was sagen, Ben Kanaan«, sagte Dov Landau hohnisch. »Ihr Burschen seid auch nicht besser als die Deutschen oder die Englander. Ihr wollt uns ja nur mit Gewalt nach Palastina haben, weil ihr Angst vor den Arabern habt. Klar, ich will nach Palastina, aber wenn ich dort bin, dann gehe ich zu einem Verein, bei dem ich Leute umlegen kann!«

Ari verzog keine Miene bei den giftigen Worten, die ihm der Junge entgegenschleuderte. »Gro?artig. Wir sind uns vollig einig. Dir gefallen die Grunde nicht, aus denen ich wunsche, da? du nach Palastina kommst, und mir gefallen die Grunde nicht, aus denen du dir wunschst, dorthin zu kommen. In einem Punkt aber stimmen wir uberein: Du gehorst nach Palastina und nicht hierher.«

Der Junge kniff die Augen mi?trauisch zusammen. Dieser Ben Kanaan war nicht wie die anderen.

»Gehen wir einen Schritt weiter«, sagte Ari. »Dadurch, da? du hier auf deinem Hintern sitzt und nichts tust, wirst du nicht nach Palastina kommen. Ich schlage also vor, du hilfst mir, und ich helfe dir. Was du machst, wenn du erst einmal dort bist, das ist deine Sache.«

Dov Landau blinzelte uberrascht.

»Es handelt sich um Folgendes«, sagte Ari. »Ich brauche gefalschte Ausweise. Und zwar brauche ich Haufen von gefalschten Ausweisen innerhalb der nachsten Wochen, und diese Burschen hier sind nicht einmal imstande, ihre eigene Unterschrift zu falschen. Ich mochte, da? du fur mich arbeitest.«

Der Junge war durch das rasche und direkte Vorgehen von Ari vollig uberrumpelt. Er versuchte Zeit zu gewinnen, um zu prufen, ob da irgendwo eine Falle war. »Ich werd's mir uberlegen«, sagte er. »Sicher, uberleg's dir. Du hast drei?ig Sekunden Zeit.«

»Und wenn ich nun ablehne? Werden Sie dann versuchen, mich durch Prugel soweit zu kriegen?«

»Ich habe dir doch schon gesagt, Dov, wir brauchen einander. Ich mochte dir das mit aller Deutlichkeit erklaren. Wenn du dich jetzt nicht an die Arbeit machst, dann werde ich personlich dafur sorgen, da? du der letzte bist, der das Lager hier verla?t. Da du dann funfunddrei?igtausend Leute vor dir hast, wirst du, wenn du schlie?lich nach Palastina kommst, viel zu alt und schwach sein, um noch eine Bombe werfen zu konnen. Ubrigens, deine drei?ig Sekunden sind um.«

»Und woher wei? ich, da? ich Ihnen trauen kann?«

»Weil ich es gesagt habe.«

Uber das Gesicht des Jungen glitt ein Lacheln, und er nickte, zum Zeichen, da? er sich an die Arbeit machen wollte.

»In Ordnung. Was du zu tun hast, werden dir entweder David ben Ami oder Joab Yarkoni sagen. Und ich mochte nicht, da? du irgendwelche Scherereien machst. Falls du besondere Fragen hast, dann wende dich an mich. Ich mochte, da? du in einer halben Stunde zum Palmach-Hauptquartier kommst, um dir anzusehen, was sie dort haben, und um David Bescheid zu sagen, was du noch brauchst.«

Ari drehte sich um und ging zum Zelt hinaus nach drau?en, wo David und Joab standen und warteten. »Er wird in einer halben Stunde erscheinen, um sich an die Arbeit zu machen«, sagte er. David schnappte nach Luft, und Joab blieb vor Staunen der Mund offen. »Wie hast du das fertiggebracht?«

»Jugendpsychologie«, sagte Ari. »Ich fahre jetzt zuruck nach Famagusta, und ich mochte euch beide heute abend dort im Haus von Mandria sehen. Bringt auch Seew Gilboa mit. Ihr braucht mich nicht zu begleiten. Ich wei? den Weg.«

David und Joab starrten fasziniert ihrem Freund nach, diesem bemerkenswerten Ari ben Kanaan, der sich uber den Spielplatz entfernte, in Richtung der Mullabladestelle.

Am Abend wartete Mandria, der Zyprer, zusammen mit David, Joab und Seew Gilboa, Stunde um Stunde in seinem Wohnzimmer auf Ari ben Kanaan.

Gilboa, gleichfalls Palmach-Angehoriger, war ein breitschultriger Bauer aus Galilaa. Wie Yarkoni hatte auch er einen prachtigen Schnurrbart und war Anfang Zwanzig. Von allen Palmach-Agenten, die im Lager von Caraolos arbeiteten, war Seew Gilboa der beste Soldat. David hatte ihm die Leitung der militarischen Ausbildung ubertragen. Mit Schwung und mit improvisierten Waffen hatte er seinen Leuten nachts auf dem Kinderspielplatz annahernd alles beigebracht, was sich ohne richtige Waffen beibringen lie?. Besenstiele waren Gewehre, Steine waren Handgranaten, Sprungfedern waren Bajonette. Er richtete Kurse ein fur Nahkampf und Stockfechten. Vor allem aber impfte er den mutlosen Internierten einen ungeheuren Kampfgeist ein.

Es wurde immer spater. Mandria fing an, nervos im Zimmer hin und her zu laufen. »Ich wei? nur«, sagte er, »da? ich ihm fur heute nachmittag ein Taxi und einen Fahrer besorgt habe.«

»Beruhigen Sie sich, Herr Mandria«, sagte David. »Es ist durchaus moglich, da? Ari erst in drei Tagen wiederkommt. Er hat eine seltsame Arbeitsweise, aber wir kennen das schon bei ihm.« Mitternacht ging voruber, und die vier Manner fingen an, es sich in den Sesseln bequem zu machen. Nach einer halben Stunde begannen sie, schlafrig zu werden, und eine Stunde spater schliefen alle fest.

Es war gegen funf Uhr morgens, als Ari ben Kanaan den Raum betrat. Seine Augen waren schwer, weil er die ganze Nacht auf der Insel herumgefahren war, ohne sich auch nur eine Stunde Schlaf zu gonnen. Seit seiner Ankunft

Вы читаете Exodus
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату
×