den Strand.

»Es ist schon wieder gut«, sagte er. »Alles in Ordnung.«

»Bestimmt, Sir?«

»Ja.«

Die Tur schlo? sich.

Bruce Sutherland sank auf einen Stuhl, barg das Gesicht in seinen Handen, weinte und flusterte immerzu: »Mutter ... Mutter ...«

VIII.

Brigadier Bruce Sutherland schlief den qualenden Schlaf des Verdammten.

Mandria, der Zyprer, walzte sich im Schlaf unruhig hin und her, doch seine Unruhe war frohe Erregtheit.

Mark Parker schlief den Schlaf eines Mannes, der eine Mission erfullt hat.

Kitty Fremont schlief mit einem Seelenfrieden, wie sie ihn jahrelang nicht mehr gekannt hatte.

David ben Ami schlief erst, nachdem er Jordanas Brief so oft gelesen hatte, da? er ihn auswendig wu?te.

Ari ben Kanaan schlief nicht. Fur einen solchen Luxus war vielleicht spater einmal Zeit, nicht jetzt. Er mu?te so vieles wissen und hatte so wenig Zeit, es zu lernen. Die ganze Nacht hockte er uber Karten, Dokumenten und Berichten, machte sich mit allen Einzelheiten vertraut, die mit Zypern zusammenhingen, mit den Ma?nahmen der Englander, und mit den Leuten seines Volkes, die hier in Zypern sa?en. Er arbeitete sich durch Sto?e von Material durch, unablassig rauchend oder Kaffee trinkend, und sein Geist war ruhig und zuversichtlich.

Die Englander hatten haufig geau?ert, da? die Juden von Palastina, was den geheimen Nachrichtendienst betraf, es mit jedem anderen Volk aufnehmen konnten. Die Juden hatten dabei den Vorteil, da? jeder Jude in jedem beliebigen Lande der Welt fur einen Mossad-Agenten eine potentielle Informationsquelle darstellte und ihm Schutz gewahrte.

Der Tag brach an. Ari weckte David, und nach einem raschen Fruhstuck fuhren sie in einer von Mandrias Taxen hinaus zu dem Internierungslager bei Caraolos.

Das Lager zog sich mit seinen einzelnen Unterabteilungen meilenweit am Rande der Bucht entlang, etwa auf halbem Wege zwischen Famagusta und den Ruinen von Salamis. Nur an den Stellen, an denen die Lagerabfalle zusammengetragen und nach drau?en abgefahren wurden, konnten die Internierten und die Zyprer miteinander Kontakt aufnehmen. Die Englander bewachten diese Stellen nicht besonders scharf, weil das Mullkommando aus sogenannten »Vertrauensleuten« bestand. Dadurch entwickelten sie sich zu Orten mit lebhaftem Handel, wo Lederwaren und andere im Lager hergestellte Dinge gegen Brot und Kleidungsstucke getauscht wurden. Hier, wo das morgendliche Feilschen zwischen Griechen und Juden schon in vollem Gange war, schleuste David Ari ins Lager; und sie betraten die erste Sektion.

Ari musterte die hohe Wand aus Stacheldraht, die sich Meile um Meile hinzog. Selbst jetzt im November war es hei? und stickig durch den Staub, der bestandig durch die Luft wirbelte. Die einzelnen Sektionen des Lagers mit ihren Gruppen von Zelten erstreckten sich in langer Reihe durch das mit Akazien bestandene Gelande am Rande der Bucht. Jede Sektion war von drei bis dreieinhalb Meter hohen Stacheldrahtwanden eingefa?t. An den Ecken standen Wachturme mit Scheinwerfern und Maschinengewehren. Ein abgemagerter Hund schlo? sich ihnen auf ihrem Rundgang an. Auf seine Flanken war das Wort ,Bevin' gemalt — eine Verbeugung vor dem englischen Au?enminister.

In jeder Sektion, zu der sie kamen, der gleiche Anblick: elende und verbitterte Menschen, auf engem Raum zusammengepfercht. Fast alle trugen primitiv genahte rote Hosen und Hemden, hergestellt aus dem Stoff, mit dem die Zelte innen abgefuttert waren. Ari betrachtete die Gesichter, aus denen das Mi?trauen sprach, der Ha? und die Hoffnungslosigkeit.

Jedesmal, wenn sie eine neue Sektion betraten, sturzte ein junger Mann oder ein Madchen von etwas uber oder unter Zwanzig auf Ari zu. Es waren Palmach-Mitglieder, die von Palastina hierhergebracht und ins Lager geschleust worden waren, um unter den Internierten zu arbeiten. Sie fielen ihm um den Hals und wollten wissen, wie es zu Hause aussah. Doch Ari vertrostete sie jedesmal mit der Zusage, er werde in den nachsten Tagen fur alle Mitglieder der Arbeitsgruppe ein Palmach-Treffen abhalten. Jeder Palmach-Offizier fuhrte Ari durch die Sektion, fur die er verantwortlich war, und gelegentlich stellte Ari dabei eine Frage.

Doch die meiste Zeit sagte er nichts. Schweigend musterte er Meile um Meile des Stacheldrahts, auf der Suche nach einer Moglichkeit, dreihundert Leute auf einmal herauszubekommen.

Von den einzelnen Sektionen waren viele mit Menschen eines bestimmten Herkunftslandes belegt. Es gab polnische, franzosische und tschechische Sektionen. Es gab orthodoxe Juden, und es gab andere, die durch eine gemeinsame politische Uberzeugung zusammengehalten wurden. Bei den meisten aber handelte es sich einfach um Uberlebende, denen nichts anderes gemeinsam war, als da? sie Juden waren, die nach Palastina wollten. Und alle waren einander ahnlich durch das gleiche Elend.

David fuhrte Ari zu einer holzernen Brucke, die oben uber die Wande aus Stacheldraht hinuberfuhrte und die beiden Hauptabteilungen des Lagers miteinander verband. An der Brucke war eine Tafel angebracht mit der Aufschrift: WILLKOMMEN IN BERGEN-BEVIN. »Das ist ubrigens eine verdammt bittere Ironie, Ari, mit dieser Brucke. Genauso eine Brucke gab es in Polen, im Ghetto von Lodz.«

David geriet mehr und mehr in Wut. Er war emport uber die menschenunwurdigen Zustande, die in diesem englischen Lager herrschten, uber die vergleichsweise gro?ere Freiheit der deutschen Kriegsgefangenen auf Zypern, uber die ungenugende Verpflegung, die mangelnde arztliche Betreuung und ganz allgemein das schwere an ihnen begangene Unrecht. Ari horte kaum, was David in seiner Erregung au?erte. Er war viel zu sehr damit beschaftigt, sich die ortlichen Gegebenheiten einzupragen. Schlie?lich bat er David, ihm die unterirdischen Gange zu zeigen.

David fuhrte Ari zu einer Gruppe orthodoxer Juden, die unmittelbar am Rande der Bucht lag. Nahe am Stacheldraht stand eine Reihe von Latrinen. An der ersten war ein Schild angebracht mit der Inschrift: BEVINGRAD. David zeigte Ari, da? das funfte und sechste Hauschen in der Reihe nur dem Schein nach Latrinen waren. Die Locher unter den Sitzen bildeten den Eingang zu unterirdischen Gangen, die unter dem Stacheldraht hindurch zur Bucht fuhrten. Ari schuttelte den Kopf. Ein paar Leute mochten durch diese Gange entkommen konnen, aber fur eine Massenflucht waren sie nicht geeignet.

Mehrere Stunden waren vergangen. Sie hatten fast das ganze Lager besichtigt. Ari hatte die letzten beiden Stunden kaum ein Wort gesprochen. Schlie?lich fragte David, der es vor Ungeduld nicht mehr aushielt: »Nun, was ist dein Eindruck?«

»Mein Eindruck?« sagte Ari. »Mir scheint, da? Bevin hier nicht besonders popular ist. Was gibt es hier sonst noch zu sehen?«

»Das Jugendlager habe ich fur zuletzt aufgespart. Wir haben dort unser Palmach-Hauptquartier.«

Als sie diesen Teil des Lagers betraten, sturzte auch hier ein Palmach-Angehoriger auf Ari zu. Diesmal aber erwiderte er die Umarmung herzlich, denn dieser junge Mann, Joab Yarkoni, war ein guter alter Freund. Er wirbelte Yarkoni im Kreis herum, stellte ihn auf die Fu?e und druckte ihn wieder an sich. Joab Yarkoni war ein dunkelhautiger marokkanischer Jude, der als kleiner Junge nach Palastina emigriert war. Seine schwarzen Augen funkelten, und ein machtiger Schnurrbart schien die Halfte seines Gesichts einzunehmen. Joab und Ari hatten schon viele Abenteuer gemeinsam bestanden, denn obwohl Joab erst Anfang Zwanzig war, so war er doch einer der fahigsten Agenten von Mossad Aliyah Bet und verfugte uber eine genaue Kenntnis der arabischen Lander. Von Anfang an war Yarkoni einer der gerissensten und wagemutigsten Mossad-Leute gewesen. Seine gro?te Leistung war ein Bravourstuck gewesen, das es den Juden in Palastina ermoglicht hatte, mit dem Anbau von Dattelpalmen zu beginnen. Die Araber bewachten ihre Dattelpalmen eifersuchtig, doch Yarkoni hatte es fertiggebracht, hundert Scho?linge vom Irak nach Palastina hereinzuschmuggeln. David ben Ami hatte Joab Yarkoni das Kommando in diesem Teil des Lagers ubertragen, weil die Jugendsektion der wichtigste Teil des gesamten Lagers von Caraolos war.

Joab fuhrte Ari durch die Sektion, in der sich lauter Waisenkinder befanden, von den kleinsten bis zum Alter von siebzehn Jahren. Die meisten dieser Waisenkinder hatten den Krieg in Konzentrationslagern verbracht, und viele von ihnen hatten das Leben au?erhalb des Stacheldrahts niemals kennengelernt. Im Gegensatz zu den anderen Sektionen standen hier mehrere feste Gebaude. Es gab eine Schule, einen gro?en E?raum, ein Lazarett, mehrere kleinere Gebaude und einen gro?en Spielplatz. Verglichen mit der Lethargie in den ubrigen Teilen des Lagers, herrschte hier lebhafte Aktivitat. Krankenschwestern, Arzte, Lehrer und Fursorgepfleger arbeiteten hier, die nicht zum Lager gehorten, sondern aus den Spenden amerikanischer Juden bezahlt wurden. Infolge dieses bestandigen Kommens und Gehens von Au?enseitern war die Jugendsektion der Teil des Lagers, der am lassigsten bewacht war.

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