Willy macht eine gro?zugige Geste.»Macht alles nichts, Ludwig. Weg ist weg und hin ist hin! Au?erdem – in den letzten Monaten konnte ich Renee nie mehr dazu bringen, nachts einen General zu markieren. So war es nur noch halb der Spa?. Das erstemal, da? sie wieder kommandiert hat, war in der denkwurdigen Schlacht am Pissoir auf dem Neumarkt. Leb wohl, mein Junge! Als Abschiedsgeschenk -«Er offnet einen Koffer mit Aktien und Papiergeld.»Nimm, was du willst! Millionen, Milliarden – es war ein Traum, was?«

»Ja«, sage ich.

Willy begleitete mich bis zur Stra?e.»Ich habe ein paar hundert Mark gerettet«, ?ustert er.»Noch ist das Vaterland nicht verloren! Der franzosische Franc ist dran. Werde da auf Baisse spekulieren. Hast du Lust, mit einer kleinen Einlage mitzugehen?«

»Nein, Willy. Ich spekuliere nur noch auf Hausse.«

»Hausse«, sagt er, als sage er: Popokatepetl.

Ich sitze allein im Buro. Es ist der letzte Tag. Nachts werde ich fahren. Ich blattere in einem der Kataloge und uberlege, ob ich zum Abschied noch den Namen Watzeks auf einem der von mir gezeichneten Grabsteine unterbringen soll- da klingelt das Telefon.

»Bist du der, der Ludwig hei?t?«fragt eine rauhe Stimme.»Der, der die Frosche und Blindschleichen gesammelt hat?«

»Kann sein«, erwidere ich.»Kommt darauf an, wozu. Wer ist denn da?«

»Fritzi.«

»Fritzi! Naturlich bin ich es. Was ist los? Hat Otto Bambuss -«

»Das Eiserne Pferd ist tot.«

»Was?«

»Ja. Gestern abend. Herzschlag. Bei der Arbeit.«

»Ein schoner Tod«, sage ich.»Aber zu fruh!«

Fritzi hustet. Dann sagt sie:»Ihr habt doch da bei euch ein Denkmalsgeschaft, nicht? Ihr sagtet doch so etwas!«

»Wir haben das beste Denkmalgeschaft in der Stadt«, erwidere ich.»Warum?«

»Warum? Mein Gott, Ludwig, dreimal darfst du raten! Die Madame will den Auftrag naturlich einem Kunden geben. Und du hast doch auch auf dem Eisernen Pferd -«

»Ich nicht«, unterbreche ich sie.»Aber es kann sein, da? mein Freund Georg -«

»Einerlei, ein Kunde soll den Auftrag haben. Komm raus! Aber bald! Es war schon einer hier, ein Reisender von der Konkurrenz – er weinte dicke Tranen und behauptete, er hatte auch auf dem Pferd -«

Tranen-Oskar! Kein Zweifel!»Ich komme sofort!«sage ich.»Die Heulboje lugt!«

Die Madame empfangt mich.»Wollen Sie sie sehen?«fragt sie.

»Ist sie hier aufgebahrt?«

»Oben, in ihrem Zimmer.«

Wir gehen die knarrenden Treppen hinauf. Die Turen stehen offen. Ich sehe, da? die Madchen sich anziehen.

»Arbeiten sie heute auch?«frage ich.

Die Madame schuttelt den Kopf.»Heute abend nicht. Die Damen ziehen sich nur an. Gewohnheit, verstehen Sie? Ist ubrigens kein gro?er Verlust. Seit eine Mark wieder eine Mark ist, ist das Geschaft wie abgeschnitten. Kein Aas hat mehr Geld. Komisch, was?«

Es ist nicht komisch; es ist wahr. Die In?ation ist sofort zur De?ation geworden. Da, wo es vorher von Billionen gewimmelt hat, rechnet man jetzt wieder mit Pfennigen. Es herrscht uberall Geldmangel. Der entsetzliche Karneval ist vorbei. Ein spartanischer Aschermittwoch ist angebrochen.

Das Eiserne Pferd liegt zwischen grunen Topfp?anzen und Lilien aufgebahrt. Es hat plotzlich ein strenges, altes Gesicht, und ich erkenne es nur wieder an einem Goldzahn, der an einer Seite kaum sichtbar zwischen den Lippen blinkt. Der Spiegel, vor dem es sich so oft zurechtgemacht hat, ist mit wei?em Tull verhangt. Das Zimmer riecht nach altem Parfum, Tannengrun und Tod. Auf der Kommode stehen ein paar Fotogra?en und eine abge?achte Kristallkugel, auf deren ?acher Seite ein Bild klebt. Wenn man die Kugel schuttelt, sieht es aus, als seien die Leute auf dem Bilde in einem Schneesturm. Ich kenne das Stuck gut; es gehort zu den schonsten Erinnerungen meiner Kindheit. Ich hatte es gern gestohlen, als ich noch in der Bahnstra?e meine Schularbeiten machte.

»Fur euch war sie ja fast wie eine Stiefmutter, was?«fragt mich die Madame.

»Sagen wir ruhig eine Art Mutter. Ohne das Eiserne Pferd ware ich wahrscheinlich Biologe geworden. Sie liebte aber Gedichte so sehr – ich mu?te immer neue mitbringen -, da? ich die Biologie links liegenlie?.«

»Richtig«, sagt die Madame.»Sie waren ja der mit den Molchen und Fischen!«

Wir gehen hinaus. Im Vorbeigehen sehe ich auf dem Schrank die Kosakenmutze liegen.»Wo sind denn ihre hohen Stiefel?«frage ich.

»Die hat Fritzi jetzt. Fritzi hat keine Lust zu was anderm mehr. Prugeln strengt weniger an. Und es bringt mehr ein. Au?erdem mussen wir ja eine Nachfolgerin haben. Wir haben einen kleinen Kundenkreis fur eine strenge Masseuse.«

»Wie ist das mit dem Pferd eigentlich passiert?«

»Im Dienst. Sie hatte immer noch zu viel Interesse an der Sache, das war der eigentliche Grund. Wir haben einen einaugigen hollandischen Kaufmann, einen sehr feinen Herrn, er sieht gar nicht so aus, aber der Mann will nichts als Prugel und kommt jeden Sonnabend. Kraht, wenn er genug hat, wie der beste Hahn, sehr drollig. Verheiratet, drei su?e Kinder, kann naturlich von der eigenen Frau nicht verlangen, da? sie ihn durchhaut – ein Dauerkunde also, dazu die Devisen, er zahlte in Gulden – wir haben den Mann fast angebetet, mit der hohen Valuta. Na, da ist es denn gestern passiert. Malwine hat sich zu sehr aufgeregt – und plotzlich fallt sie um, die Peitsche in der Hand.«

»Malwine?«

»Das ist ihr Vorname. Wu?ten Sie nicht, wie? Der Herr naturlich, so was an Schrecken! Der kommt nicht wieder«, sagt die Puffmutter wehmutig.»So ein Kunde! Reiner Zucker! Von den Devisen haben wir immer das Fleisch und den Kuchen fur ’n ganzen Monat kaufen konnen. Ubrigens, wie ist das denn jetzt?«Sie wendet sich mir zu.»Das ist dann ja nun gar nicht mehr so viel wert, was?«

»Ein Gulden ungefahr soviel wie zwei Mark.«

»Ist das moglich! Und fruher waren es Billionen! Na, dann ist es mit dem Kunden nicht so schlimm, wenn er wegbleibt. Wollen Sie nicht noch irgendeine Kleinigkeit mitnehmen als Andenken an das Pferd?«

Ich denke einen Augenblick an das Glas mit dem Schneegestober. Aber man soll keine Andenken mitnehmen. Ich schuttle den Kopf.

»Dann wollen wir unten eine Tasse guten Kaffee trinken und das Denkmal aussuchen.«

Ich habe auf einen kleinen Hugelstein gerechnet; aber es stellt sich heraus, da? das Eiserne Pferd durch den hollandischen Kaufmann Devisen hat sparen konnen. Es hat die Guldenscheine in eine Kassette getan und nicht eingewechselt. Jetzt sind sie da, und es ist eine stattliche Summe. Der Kaufmann war seit Jahren ein treuer Kunde.

»Malwine hat keine Verwandten«, sagt die Madame.

»Dann naturlich«, erwidere ich,»konnen wir in die gro?e Klasse der Grabdenkmaler einsteigen. In den Marmor und den Granit.«

»Marmor ist nichts fur das Ro?«, sagt Fritzi.»Das ist doch mehr fur Kinder, was?«

»Langst nicht immer! Wir haben schon Generale unter Marmorsaulen zur Ruhe gebracht.«

»Granit!«sagt die Puffmutter.»Granit ist besser. Pa?t besser zu ihrer eisernen Natur.«

Wir sitzen im gro?en Zimmer. Der Kaffee dampft, es gibt selbstgebackenen Kuchen mit Schlagsahne und eine Flasche Curacao. Ich fuhle mich fast in die alten Zeiten versetzt. Die Damen schauen mir uber die Schultern in den Katalog, wie einst in die Schulbucher.

»Hier ist das beste, was wir haben«, sage ich.»Schwarzer schwedischer Granit, ein Kreuzdenkmal mit zwei Sockeln. Es gibt davon nicht mehr als vielleicht zwei oder drei in der ganzen Stadt.«

Die Damen betrachten die Zeichnung. Es ist eine meiner letzten. Ich habe den Major Wolkenstein fur die Inschrift verwendet – als 1915 an der Spitze seiner Truppe gefallen -, was mindestens fur den ermordeten Tischler in Wustringen besser gewesen ware.»War das Pferd katholisch?«fragt Fritzi.

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