bitte?«

»Wir bewahren sie auf. Voraussichtlich fur eine Woche. Das gilt fur Herz, Lungen, Magen, Nieren, Leber, Bauchspeicheldruse, Milz und das Gehirn. Dann nehmen wir eine Gesamtuntersuchung vor, deren Ergebnisse in allen Einzelheiten festgehalten werden. Gleichzeitig untersuchen wir auch die Organe, die bei anderen Obduktionen zuruckbehalten wurden. Im allgemeinen sind es sechs bis zwolf Falle.«

Das klingt so kalt und unpersonlich, dachte Vivian. Aber vielleicht mu?te man so werden, wenn man das standig tat. Unwillkurlich schauderte sie. Mike Seddons' Blick traf den ihren, und er lachelte ein wenig. Sie fragte sich, ob er sich uber sie amusiere oder Mitgefuhl zeigen wolle. Sie war sich nicht sicher. Dann stellte ein anderes Madchen eine Frage. Sie sprach sie zogernd aus, fast ab ob sie sich furchte. »Der Tote, wie wird er begraben. nur so, wie er jetzt ist?«

Das war eine bekannte Frage. Pearson antwortete: »Das hangt davon ab. Lehrstatten wie unser Krankenhaus fuhren im allgemeinen grundlichere Studien durch, als es an Krankenhausern geschieht, die keine Arzte und Schwestern ausbilden. In unserem Krankenhaus wird nur die au?ere Hulle der Leiche an den Bestatter ubergeben.« Dann fugte er noch erlauternd hinzu: »Er wurde es uns ubrigens nicht danken, wenn wir die Organe wieder in den Korper hineinlegten. Er hatte dadurch nur Schwierigkeiten, wenn er die Leiche einsargt.«

Das ist richtig, dachte McNeil. Vielleicht ist es so nicht in der taktvollsten Weise ausgedruckt, aber es stimmt trotzdem. Er hatte sich selbst manchmal gefragt, ob die Hinterbliebenen und andere, die von einem Toten Abschied nehmen, wu?ten, wie wenig nach einer Obduktion von einer Leiche ubrig war. Nach einer Obduktion wie der hier, und je nachdem, wie beschaftigt die pathologische Abteilung war, konnte es Wochen dauern, bis die inneren Organe endgultig beseitigt wurden. Und selbst dann wurden kleine Proben noch unendlich lange aufbewahrt.

»Gibt es dabei keine Ausnahme?« Die Lernschwester, die diese Frage stellte, schien hartnackig zu sein. Pearson hatte aber offenbar nichts dagege n einzuwenden. Dem Anschein nach hat er heute seinen geduldigen Tag, dachte McNeil. Gelegentlich gab es das bei dem alten Mann.

»Doch, das kommt vor«, antwortete Pearson. »Ehe wir eine Obduktion vornehmen konnen, mussen wir die Genehmigung der Familie des Verstorbenen haben. Manchmal wird diese Genehmigung vorbehaltlos erteilt, wie in dem vorliegenden Fall, und dann konnen wir den ganzen Korper und den Kopf untersuchen. In anderen Fallen sind mit der Genehmigung Einschrankungen verbunden. Beispielsweise kann eine Familie verlangen, da? der Schadel unberuhrt bleibt. In unserem Krankenhaus werden diese Wunsche stets respektiert.«

»Danke, Doktor.« Anscheinend war das Madchen zufrieden, aus welchen Grunden sie auch gefragt haben mochte.

Aber Pearson war noch nic ht zu Ende.

»Man sto?t auf Falle, bei denen aus religiosen Grunden verlangt wird, da? die Organe mit der Leiche bestattet werden. Selbstverstandlich fugen wir uns diesem Verlangen.«

»Wie ist es bei Katholiken?« Diese Frage stellte ein anderes Madchen. »Bestehen sie darauf?«

»Die meisten nicht. Aber es gibt katholische Krankenhauser, in denen es geschieht. Das erschwert uns Pathologen die Arbeit. Im allgemeinen wenigstens.«

Bei seinen letzten Worten warf Pearson einen hamischen Blick zu McNeil hinuber. Beide wu?ten, woran Pearson dachte. In einem der gro?en katholischen Krankenhauser auf der anderen Seite der Stadt bestand die strenge Bestimmung, da? nach einer Obduktion alle Organe zur Bestattung in die Leiche zuruckgelegt wurden. Aber manchmal half man sich dort mit einem kleinen Trick. Die vielbeschaftigte pathologische Abteilung des Krankenhauses bewahrte sich haufig Organe zur Reserve auf. Wenn also eine neue Obduktion vorgenommen wurde, ersetzte man die entfernten Organe aus der Reserve, so da? die Leiche vorschriftsma?ig zur Bestattung ubergeben wurde und die entnommenen Organe trotzdem in aller Ruhe untersucht werden konnten. Diese Organe wurden dann ihrerseits in die nachste Leiche gelegt. Dadurch hatten die Pathologen immer einen Vorsprung.

McNeil wu?te, da? Pearson diese Praxis mi?billigte, obwohl er kein Katholik war. Und was man auch sonst uber den alten Mann sagen konnte, er bestand immer darauf, da? die Genehmigung zu einer Obduktion dem Buchstaben und dem Geist nach streng befolgt wurde. Das offizielle Formular fur die Genehmigung enthielt einen Satz, der lautete: »Obduktion auf die Offnung der Bauchhohle beschrankt.« Manche Pathologen, die er kannte, fuhrten eine vollstandige Obduktion mit einem einzigen Bauchschnitt durch. Er hatte gehort, wie einer das einmal formulierte: »Wenn man will, kann man mit einem Bauchschnitt nach oben alles, einschlie?lich der Zunge, erreichen und herausnehmen.« Zu Pearsons Gunsten mu? gesagt werden, dachte McNeil, da? er das nie zula?t. Im Three Counties Hospital bedeutete die Genehmigung zur Offnung der Bauchhohle ausschlie?lich die Untersuchung der dort gelegenen Organe.

Pearson hatte seine Aufmerksamkeit wieder der Leiche zugewandt.

»Wir wollen jetzt mit der Untersuchung fortfahren...« Er brach ab und blickte scharf hinunter, griff nach einem Skalpell und sondierte behutsam. Dann stie? er ein uberraschtes Knurren aus.

»McNeil, Seddons, sehen Sie sich das an.«

Pearson trat zur Seite, und sein Assistenzarzt beugte sich uber das Gebiet, das Pearson untersucht hatte. Er nickte. Das Rippenfell, im allgemeinen eine durchsichtige, schimmernde Membrane, die die Lungen bedeckt, zeigte einen dicken, narbigen Uberzug aus dichtem, wei?em, faserigem Gewebe. Es war ein Anzeichen fur Tuberkulose. Ob alt oder aus jungerer Zeit, wurden sie gleich wissen. Er machte Seddons Platz.

»Tasten Sie die Lungen ab, Seddons«, sagte Pearson. »Ich vermute, Sie werden weitere Anzeichen finden.«

Der chirurgische Assistent nahm die Lungen, druckte sie mit den Fingern ab. Er fand sofort die Kavernen unter ihrer Oberflache. Er sah zu Pearson auf und nickte. McNeil hatte sich der Krankengeschichte zugewandt. Um die Blatter nicht zu beschmutzen, blatterte er sie mit einem sauberen Skalpell um.

»Wurde bei der Aufnahme die Brust durchleuchtet?« fragte Pearson.

Der Assistenzarzt schuttelte den Kopf. »Der Patient befand sich im Schock. Hier steht vermerkt, da? er nicht gerontgt wurde.«

»Wir wollen einen senkrechten Schnitt machen, um festzustellen, was zu sehen ist.« Pearson sprach wieder zu den Schwestern, als er an den Tisch trat. Er nahm die Lunge heraus und durchtrennte mit einem glatten Schnitt einen Flugel in der Mitte. Da war es unverkennbar - tuberkeldurchsetztes Gewebe im fortgeschrittenen Stadium. Die Lunge wies bis zur Mitte des Flugels eine wabenartige Struktur auf, fast wie zusammengeklebte Pingpongballe; ein schwarender, fortschreitender Verfall, dem der Herzanfall nur zuvorgekommen war, um den Tod herbeizufuhren.

»Konnen Sie es sehen?«

Seddons antwortete auf Pearsons Frage: »Es sieht aus, als sei der Tuberkulose durch Zufall der Herzinfarkt gerade noch zuvorgekommen,«

»Es ist immer ein Glucksspiel, woran wir sterben.« Pearson sah zu den Schwestern hinuber. »Dieser Mann litt an einer weit fortgeschrittenen Tuberkulose. Wie Dr. Seddons bemerkte, ware er sehr bald daran gestorben. Vermutlich war weder ihm selbst noch seinem Arzt seine Erkrankung bekannt.«

Jetzt streifte Pearson seine Handschuhe ab und begann, seinen Kittel auszuziehen. Die Vorstellung ist voruber, dachte Seddons. Die Statisten und die Buhnenarbeiter werden anschlie?end aufraumen. McNeil und er wurden die wichtigen Organe in einen Eimer legen und ihn mit der Krankennummer des Verstorbenen versehen. Das andere wurde in den Korper zuruckgelegt werden, die leere Hohlung, wo erforderlich, mit Watte ausgestopft und dann mit gro?en, weitgesetzten Stichen -hinein, hinaus - geschlossen, da der Teil des Korpers, den sie aufgeschnitten hatten, im Sarg durch die Bekleidung der Leiche verhullt wurde. Und wenn sie damit fertig waren, kam die Leiche in den Kuhlraum, bis sie von dem Leichenbestatter abgeholt wurde.

Pearson hatte den wei?en Arztekittel wieder angezogen, in dem er den Obduktionsraum betreten hatte, und entzundete eine frische Zigarre. Es war typisch fur ihn, da? er auf seinen Wegen durch das Krankenhaus eine Fahrte von halbgerauchten Zigarren hinter sich zurucklie?, und anderen blieb es uberlassen, diese Reste in einen Aschenbecher zu legen. Er wandte sich an die Schwestern:

»Im Verlauf Ihrer Tatigkeit«, sagte er, »werden Sie auch Patienten pflegen, die sterben werden. Dann ist es notwendig, von den nachsten Verwandten die Genehmigung zur Obduktion zu erhalten. Diese Aufgabe fallt manchmal dem Arzt zu, manchmal aber auch Ihnen. Dabei werden Sie gelegentlich auf Widerstand sto?en. Es fallt jedem schwer - selbst nach dem Tode -, der Verstummelung eines Menschen zuzustimmen, den man geliebt hat. Das ist nur verstandlich.«

Pearson schwieg. Seddons entdeckte, da? er den alten Mann in diesem Augenblick plotzlich mit anderen

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