»Ich mochte einen Aufnahmeantrag stellen.«

»Haben Sie Buhnenerfahrung?« fragte sie.

»Nun, nein«, sagte Toby. »Aber ich -«

Sie schuttelte den Kopf. »Tut mir leid. Mrs. Tanner empfangt niemanden, der keine Berufserfahrung hat.«

Toby starrte sie einen Augenblick an. »Soll das ein Scherz sein?«

»Nein. Das ist bei uns Voraussetzung. Sie empfangt niemanden -«

»Davon rede ich nicht«, sagte Toby. »Ich meine – Sie wissen wirklich nicht, wer ich bin?«

Die Blondine sah ihn an und erwiderte: »Nein.«

Toby stie? langsam den Atem aus. »Mein Gott«, sagte er. »Leland

Hayward hatte recht. Wenn man in England arbeitet, wei? Hollywood noch nicht einmal, dass man existiert.« Er lachelte und fugte entschuldigend hinzu: »Ich habe mir einen Scherz erlaubt. Ich nahm an, Sie kennen mich.«

Jetzt war die Vorzimmerdame verwirrt, wusste nicht, was sie glauben sollte. »Sie sind also schon aufgetreten?«

Toby lachte. »Das kann man wohl sagen.«

Die Blondine nahm ein Formular. »Welche Rollen haben Sie gespielt und wo?«

»Hier keine«, antwortete Toby schnell. »Ich war in den letzten beiden Jahren in England, habe an Repertoirebuhnen gespielt.«

Die Blondine nickte. »Ach so. Nun, ich werde mit Mrs. Tanner sprechen.«

Die Blondine verschwand im Nebenraum und kehrte ein paar Minuten spater wieder zuruck. »Mrs. Tanner la?t bitten. Viel Gluck.«

Toby zwinkerte der Vorzimmerdame zu, holte tief Atem und betrat Mrs. Tanners Buro.

Alice Tanner war eine dunkelhaarige Frau mit einem anziehenden, aristokratischen Gesicht. Sie schien Mitte Drei?ig zu sein, etwa zehn Jahre alter als Toby. Sie sa? hinter ihrem Schreibtisch, doch was Toby von ihrer Figur sehen konnte, war sensationell. Hier konnte es mir gefallen, stellte er fest.

Er lachelte gewinnend und sagte: »Ich bin Toby Temple.«

Alice Tanner stand auf und ging ihm entgegen. Ihr linkes Bein war von einer schweren Metallstutze umschlossen, und sie hinkte mit dem geubten, wiegenden Gang eines Menschen, der seit langem damit lebte.

Kinderlahmung, dachte Toby. Er war nicht sicher, ob er etwas dazu sagen sollte.

»Also, Sie wollen sich in unsere Kurse einschreiben lassen?«

»Sehr gern«, sagte Toby.

»Darf ich fragen, warum?«

Er bemuhte sich, aufrichtig zu klingen: »Weil, wo immer ich hinkomme, Mrs. Tanner, die Leute uber Ihre Schule und die wundervollen Stucke reden, die Sie herausbringen. Ich wette, Sie haben keine Ahnung, welchen Ruf Ihre Schule hat.«

Sie sah ihn einen Augenblick prufend an. »Ich habe schon eine Ahnung. Deshalb muss ich auch besonders darauf achten, Schwindler rauszuhalten.«

Toby fuhlte, dass er errotete, setzte aber ein jungenhaftes Lacheln

auf und sagte: »Das kann ich mir vorstellen. Bestimmt versuchen viele, sich bei Ihnen einzuschleichen.«

»Nicht wenige«, stimmte Mrs. Tanner zu. Sie warf einen Blick auf die Karte, die sie in der Hand hielt. »Toby Temple.«

»Wahrscheinlich haben Sie den Namen noch nicht gehort«, erklarte er, »weil ich die letzten zwei Jahre in -«

»Auf Repertoirebuhnen in England spielte.«

Er nickte. »Richtig.«

Alice Tanner blickte ihn an und sagte ruhig: »Mr. Temple, Amerikaner durfen nicht in englischen Repertoiretheatern spielen. Die Berufsgenossenschaft der britischen Schauspieler lasst das nicht zu.«

Toby spurte ein plotzliches Schwachegefuhl in der Magengrube.

»Sie hatten sich zuerst informieren und uns beiden die Peinlichkeit ersparen sollen. Tut mir leid, aber wir nehmen hier nur Berufstalente auf.« Sie drehte sich um. Die Unterredung war beendet.

»Halt!« Seine Stimme war wie ein Peitschenschlag.

Sie drehte sich erstaunt um. In diesem Augenblick hatte Toby noch keine Ahnung, was er sagen oder tun wurde. Er wusste nur, dass seine gesamte Zukunft in der Schwebe hing. Diese Frau war der Schlussel zu allem, was er wollte, zu allem, wofur er geschuftet und geschwitzt hatte, und er wurde sich durch sie nicht aufhalten lassen.

»Sie beurteilen Talente nicht nach Regeln, Lady! Okay – ich bin also nicht aufgetreten. Und warum nicht? Weil Leute wie Sie mir keine Chance geben wollen. Verstehen Sie, was ich meine?« Es war die Stimme von W. C. Fields.

Alice Tanner offnete den Mund, um ihn zu unterbrechen, aber Toby gab ihr keine Gelegenheit dazu. Er war Jimmy Cagney, der ihr riet, dem armen Kerl eine Chance zu geben, und James Stewart, der ganz seiner Meinung war, und Clark Gable, der sagte, er sehne sich danach, mit dem

Jungen zu arbeiten, und Cary Grant, der hinzufugte, er fande den Jungen brillant. Eine Menge Hollywood- Stars gaben sich hier ein Stelldichein, und sie sagten alle komische Dinge, Sachen, an die Toby Temple nie zuvor gedacht hatte. Die Worte, die Witze stromten in einem Anfall von Verzweiflung aus ihm hervor. Er war ein Ertrinkender in der Finsternis seiner eigenen Vergessenheit, der sich an ein Rettungsflo? von Worten klammerte, und die Worte waren das einzige, was ihn uber Wasser hielt. Er war schwei?uberstromt, rannte im Zimmer umher und imitierte die Bewegungen jeder Person, die er reden lie?. Er war wie wahnsinnig, vollig au?er sich, verga?, wo er war und weshalb er hier war, bis er Alice Tanner sagen horte: »Horen Sie auf! Horen Sie auf!«

Sie lachte Tranen, sie rannen ihr das Gesicht hinunter.

»Horen Sie auf!« wiederholte sie, nach Atem ringend.

Und langsam kehrte Toby wieder zur Erde zuruck. Mrs. Tanner wischte sich mit einem Taschentuch die Augen.

»Sie – Sie sind verruckt«, sagte sie. »Wissen Sie das?«

Toby starrte sie an, ein Gefuhl des Stolzes nahm langsam von ihm Besitz, hob ihn auf eine Woge der Begeisterung. »Es hat Ihnen gefallen -hm?«

Alice Tanner schuttelte den Kopf, holte tief Atem, um ihr Lachen zu bandigen, und sagte: »Nicht – nicht sehr.«

Toby sah sie hasserfullt an. Sie hatte uber ihn gelacht, nicht mit ihm. Er hatte sich blamiert.

»Woruber haben Sie dann gelacht?« wollte Toby wissen.

Sie lachelte und sagte ruhig: »Uber Sie. Das war die tollste Vorfuhrung, die ich je gesehen habe. Irgendwo hinter all diesen Filmstars steckt ein junger Mann mit einer gro?en Begabung. Sie brauchen nicht andere Leute zu imitieren. Sie sind von Natur aus komisch.«

Toby fuhlte, wie sein Zorn abebbte.

»Ich glaube, dass Sie eines Tages wirklich gut sein konnten, wenn Sie den Willen haben, ernsthaft zu arbeiten. Wollen Sie das?«

Er lachelte sie selig an und sagte: »Krempeln wir die Armel hoch und gehen wir an die Arbeit.«

Josephine arbeitete am Sonnabend vormittag schwer; sie half ihrer Mutter beim Hausputz. Um 12 Uhr holten Cissy und einige andere Freundinnen sie zu einer Landpartie ab.

Mrs. Czinski blickte ]osephine nach, wie sie in der gro?en Limousine zusammen mit den Kindern der Ol- Leute davonfuhr. Sie dachte: Eines Tages wird Josephine etwas Schlimmes zusto?en. Ich sollte sie nicht mit diesen Leuten verkehren lassen. Sie sind die Kinder des Teufels. Und sie fragte sich, ob auch in Josephine ein Teufel steckte. Sie wurde mit Reverend Damian sprechen. Er wurde wissen, was zu tun war.

9.

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