die Sekretarin von Clifton Lawrence anrufen und ihr sagen, du seiest Sam Goldwyns Sekretarin und Mr. Gold-wyn bate darum, dass Mr. Lawrence heute abend zur Auffuhrung kame, um einen fabelhaften neuen Komiker zu sehen? Eine Karte liege fur ihn an der Kasse bereit.«

Karen starrte ihn an. »Jesus, die Tanner wurde mir den Kopf abrei?en. Du wei?t doch, dass sie bei Werkstattauffuhrungen keine Fremden duldet.«

»Das geht schon in Ordnung.« Er druckte ihren Arm. »Hast du heute nachmittag etwas vor?«

Sie schluckte. »Nein – nicht, wenn du einen Vorschlag hast.«

»Ich habe einen.«

Drei Stunden spater fuhrte eine verzuckte Karen das Telefongesprach.

Der Zuschauerraum war mit Schauspielern aus den verschiedenen Kursen und ihren Gasten besetzt, aber die einzige Person, fur die Toby Augen hatte, war der Mann, der am Ende der dritten Reihe sa?. Toby hatte Angste ausgestanden, dass sein Trick nicht funktionieren konnte. Sicherlich wurde ein so kluger Mann wie Clifton Lawrence das Manover durchschauen. Aber er hatte es nicht durchschaut. Er war da.

Auf der Buhne wurde gerade eine Szene aus der Mowe gespielt. Toby hoffte, dass die beiden Darsteller Clifton Lawrence nicht aus dem Theater treiben wurden. Endlich war die Szene zu Ende. Die Schauspieler verbeugten sich und verlie?en die Buhne.

Nun war Toby an der Reihe. Plotzlich erschien Alice neben ihm in den Kulissen und flusterte: »Viel Gluck, Liebling«, nicht ahnend, dass sein Gluck im Publikum sa?.

»Danke, Alice.« Mit einem stillen Sto?gebet straffte Toby die Schultern, sprang auf die Buhne und lachelte das Publikum jungenhaft an. »Hallo allerseits! Ich bin Toby Temple. Haben Sie eigentlich schon mal uber Ihren Namen nachgedacht und daruber, warum Ihre Eltern gerade ihn ausgesucht haben? Es ist schon verruckt. Ich habe meine Mutter mal gefragt, warum sie mich Toby genannt hat. Sie hat geantwortet, sie habe mich angesehen, und das habe genugt.«

Seine Miene war es, die sie zum Lachen brachte. Toby wirkte so unschuldig und versonnen, wie er da oben auf der Buhne stand, dass sie

ihn in ihr Herz schlossen. Die Witze, die er riss, waren schauderhaft, aber das spielte keine Rolle. Er war so verletzlich, dass sie den Wunsch hatten, ihn zu beschutzen, und sie taten das mit ihrem Beifall und ihrem Gelachter. Eine Woge der Zuneigung schlug Toby entgegen und erfullte ihn mit einer fast unertraglichen Heiterkeit. Er war Edward G. Robinson und Jimmy Cagney, und Cagney sagte: »Du dreckige Ratte! Wem, glaubst du, gibst du Befehle?«

Robinson: »Dir, du Quatschkopf. Ich bin Casar der Kleine. Ich bin der Chef. Du bist nichts. Wei?t du, was das hei?t?«

»Klar, du dreckige Ratte. Du bist der Chef von Nichts.«

Schallendes Gelachter. Das Publikum war hingerissen.

Toby gab ihnen seinen Peter Lorre: »Ich sah das kleine Madchen in ihrem Zimmer damit spielen, und es erregte mich. Ich wei? nicht, was uber mich kam. Ich konnte nicht anders. Ich schlich mich in ihr Zimmer und zog die Schnur immer enger und enger – und machte ihr Yo-Yo kaputt.«

Riesengelachter.

Dann ging er zu Laurel und Hardy uber. Plotzlich bemerkte er eine Bewegung im Publikum. Er blickte auf. Clifton Lawrence verlie? den Zuschauerraum.

Den Rest des Abends nahm Toby nur noch verschwommen wahr.

Als die Veranstaltung voruber war, ging Alice Tanner auf Toby zu. »Du warst wunderbar, Liebling! Ich…«

Er konnte es nicht ertragen, sie anzusehen, sich von irgend jemandem ansehen zu lassen. Er wollte mit seinem Elend allein sein, wollte versuchen, mit dem Schmerz fertig zu werden, der ihn zerriss. Eine Welt war fur ihn zusammengebrochen. Er hatte seine Chance gehabt, und er hatte versagt. Clifton Lawrence hatte ihn stehenlassen, hatte noch nicht einmal das Ende seines Auftritts abgewartet. Clifton Lawrence war ein Mann, der sich auf Begabungen verstand, ein Mann vom Fach, der sich nur mit der Elite abgab. Wenn Lawrence nicht glaubte, dass etwas in Toby steckte… Ihm wurde ubel.

»Ich mache einen Spaziergang«, sagte er zu Alice.

Er ging die Vine Street und Gower hinunter, bei der Columbia Film und RKO und Paramount vorbei. Alle Tore waren verschlossen. Er ging uber den Hollywood Boulevard und blickte zu dem riesigen Schild hinauf, das hohnisch verkundete: »HOLLYWOODLAND«. Es gab kein Hollywoodland. Es war ein Wahn, ein falscher Traum, der Tausenden von sonst normalen Menschen die fixe Idee eingab, ein Star werden zu wollen. Das Wort Hollywood war wie ein Magnet, eine Falle, die die Menschen mit wunderbaren Versprechungen anlockte, um sie dann zu vernichten.

Toby lief die ganze Nacht durch die Stra?en und fragte sich, was er nun mit seinem Leben anfangen sollte. Sein Glaube an sich selbst war zerstort worden, er fuhlte sich wurzellos und wusste weder aus noch ein. Er hatte sich nie vorstellen konnen, etwas anderes zu tun, als die Menschen zu unterhalten, und wenn er das nicht konnte, blieben ihm nur noch langweilige, eintonige Jobs ubrig, wo er den Rest seines Lebens, wie in einen Kafig eingesperrt, verbringen wurde. Mr. Anonym.

Niemand wurde je wissen, wer er war. Er dachte an die langen, trostlosen Jahre, die bittere Einsamkeit von tausend namenlosen Stadten, an die Menschen, die ihm Beifall gespendet und uber ihn gelacht und ihn geliebt hatten. Toby weinte. Er weinte um das Vergangene und das Zukunftige. Er weinte, weil er tot war.

Der Morgen dammerte bereits, als Toby in den wei?en Bungalow zuruckkehrte, den er mit Alice teilte. Er ging ins Schlafzimmer und blickte auf die schlafende Gestalt hinunter. Er hatte geglaubt, dass sie das Se-sam- offne-dich des Wunderkonigreichs sein wurde. Doch nicht fur ihn. Er wurde gehen. Er hatte keine Ahnung, wohin. Er war fast siebenundzwanzig und hatte keine Zukunft.

Er legte sich erschopft auf die Couch. Er schloss die Augen und lauschte auf die Gerausche der erwachenden Stadt. Die Morgengerausche von Stadten sind alle gleich, und er dachte an Detroit. An seine Mutter. Sie stand in der Kuche und buk Apfelkuchen fur ihn. Er konnte ihren wundervollen moschusahnlichen weiblichen Geruch, vermischt mit dem Duft von in Butter schmorenden Apfeln riechen, und sie sagte: »Gott will, dass du beruhmt wirst.«

Er stand allein auf einer riesigen Buhne, von Scheinwerfern geblendet, und versuchte, sich an seinen Text zu erinnern. Toby konnte die Zuschauer sehen, wie sie ihre Platze verlie?en und auf die Buhne sturmten, um ihn anzugreifen, ihn zu toten. Ihre Liebe war in Hass umgeschlagen. Sie umringten ihn, packten ihn und intonierten: »Toby! Toby! Toby!«

Toby fuhr hoch, sein Mund war wie ausgetrocknet vor Angst. Alice Tanner stand uber ihn gebeugt und schuttelte ihn.

»Toby! Telefon. Clifton Lawrence.«

Clifton Lawrences Buro befand sich in einem kleinen Gebaude am Beverly Drive, sudlich von Wilshire. Bilder franzosischer Impressionisten hingen an den getafelten Wanden, und vor dem dunkelgrunen Marmorkamin waren ein Sofa und einige antike Sessel um einen erlesenen Teetisch gruppiert. Toby hatte noch nie etwas Ahnliches gesehen.

Eine hubsche rothaarige Sekretarin schenkte Tee ein. »Wie mochten Sie Ihren Tee, Mr. Temple?« Mr. Temple! »Mit einem Stuck Zucker.« »Bitte sehr.« Ein sanftes Lacheln, und sie verschwand.

Toby wusste nicht, dass der Tee eine von Fortnum und Mason bezogene Spezialmischung war, auch nicht, dass er mit Irish Baleek parfumiert war, aber er wusste, dass er wunderbar schmeckte. Alles in diesem Buro war wunderbar, besonders der elegante kleine Mann, der in einem Lehnsessel sa? und ihn musterte. Clifton Lawrence war kleiner, als Toby erwartet hatte, aber er vermittelte den Eindruck von Autoritat und Macht.

»Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie dankbar ich Ihnen bin, dass Sie mich empfangen«, sagte Toby. »Es tut mir leid, dass ich Sie mit einer Tauschung in -«

Clifton Lawrence warf den Kopf zuruck und lachte. »Tauschen, mich? Ich habe gestern mit Goldwyn zu Mittag gegessen und bin abends nur gekommen, weil ich sehen wollte, ob Ihre Begabung Ihrer Frechheit gleichkommt. Das ist der Fall.«

»Aber Sie sind gegangen!« rief Toby aus.

»Mein lieber Junge, man braucht nicht die ganze Dose Kaviar zu essen, um zu wissen, dass er gut ist, stimmt's? Ich wusste nach sechzig Sekunden, was in Ihnen steckt.«

Toby spurte, wie das Gefuhl der Euphorie sich wieder einstellte. Nach der dusteren Verzweiflung der

Вы читаете Ein Fremder im Spiegel
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату
×