Actors West bestand aus zwei Abteilungen: der Schaukastengruppe, die die erfahreneren Schauspieler in sich vereinigte, und der Werkstattgruppe. Es waren die Schauspieler des Schaukastens, die jene Stucke auffuhrten, welche sich die Talentsucher der Studios ansahen. Toby war der Werkstattgruppe zugeteilt worden. Alice Tanner hatte ihm gesagt, dass es ein halbes oder ein ganzes Jahr dauern wurde, ehe er soweit ware, in einer Schaukastenauffuhrung mitzuwirken.

Toby fand den Unterricht interessant, aber ein entscheidender Bestandteil fehlte: das Publikum, die Lacher, die Menschen, die ihm Beifall spenden, die ihn lieben wurden.

Seit Toby am Unterricht teilnahm – inzwischen waren einige Wochen vergangen -, hatte er die Leiterin der Schule sehr wenig gesehen. Gelegentlich kam sie in das Werkstatt-Theater, um die Improvisationen zu begutachten und ein ermutigendes Wort zu sagen, oder er begegnete ihr, wenn er zu seinem Kurs ging. Aber er hatte gehofft, es wurde sich ein intimerer Kontakt ergeben. Er merkte, dass er ziemlich viel an Alice Tanner dachte. Sie war, was Toby eine Klassefrau nannte, also genau das, was er brauchte und, seiner Meinung nach, auch verdiente. Der Gedanke an ihr verkruppeltes Bein hatte ihn zuerst gestort, aber allmahlich ubte es eine sexuelle Faszination auf ihn aus.

Toby sprach sie bei der nachsten Gelegenheit erneut auf seine Mitwirkung in einer Schaukastenauffuhrung an, wo die Kritiker und Talentsucher ihn sehen konnten.

»Sie sind noch nicht soweit«, antwortete Alice Tanner.

Sie stand ihm im Weg, hielt ihn vom Erfolg fern. Ich muss etwas unternehmen, entschied Toby.

Ein Schaukasten-Stuck gelangte zur Auffuhrung, und am Premierenabend sa? Toby in einer der mittleren Reihen neben einer Studentin namens Karen, einer dicken kleinen Charakterdarstellerin aus seinem Kurs. Toby hatte schon Szenen mit Karen gespielt und wusste zwei Dinge von ihr: sie trug nie Unterwasche, und sie hatte einen

Mundgeruch. Sie hatte beinahe alles versucht, um Toby klarzumachen, dass sie mit ihm ins Bett gehen wollte, aber er hatte so getan, als kapierte er nicht. Jesus, dachte er, mit ihr zu schlafen ware so ahnlich, wie in ein Fass mit hei?em Schweineschmalz einzutauchen.

Wahrend sie auf das Aufgehen des Vorhangs warteten, machte Karen ihn aufgeregt auf die Kritiker von der Los Angeles Times und vom He-rald-Expre? und auf die Talentsucher von Twentieth Century-Fox, MGM und Warner Brothers aufmerksam. Das brachte Toby in Wut. Die waren hier, um die Schauspieler auf der Buhne zu sehen, wahrend er im Publikum sa? wie eine Attrappe. Er fuhlte den fast unbezwingbaren Drang, aufzustehen und aus seinem Repertoire vorzutragen, sie zu blenden, ihnen zu zeigen, wie wirkliche Begabung aussah.

Dem Publikum gefiel das Stuck, aber Toby konnte an nichts anderes denken als an die Talentsucher, die unmittelbar neben ihm sa?en, die Manner, die seine Zukunft in der Hand hielten. Nun, wenn Actors West der Koder war, sie ihm zuzufuhren, wurde Toby ihn benutzen; aber er hatte nicht die Absicht, sechs Monate, ja nicht einmal sechs Wochen zu warten.

Am nachsten Morgen ging Toby in Alice Tanners Buro.

»Wie hat Ihnen das Stuck gefallen?« fragte sie.

»Es war wunderbar«, antwortete Toby. »Diese Schauspieler sind wirklich gro?artig.« Er setzte ein zerknirschtes Lacheln auf. »Ich verstehe jetzt, was Sie meinen, wenn Sie sagen, ich sei noch nicht soweit.«

»Die haben mehr Erfahrung als Sie, das ist alles, aber Sie haben eine einzigartige Ausstrahlung. Sie werden es schaffen. Nur Geduld.«

Er seufzte. »Ich wei? nicht, vielleicht hau' ich lieber ab, vergesse alles und gehe als Versicherungsagent oder so was.«

Sie sah ihn uberrascht an. »Das durfen Sie nicht«, sagte sie.

Toby schuttelte den Kopf. »Nachdem ich diese Profis gestern abend gesehen habe, glaube ich nicht, dass – dass ich das Zeug dazu habe.«

»Aber naturlich haben Sie's, Toby. So durfen Sie nicht reden.«

In ihrer Stimme lag der Ton, auf den er gewartet hatte. Jetzt war sie nicht mehr eine Lehrerin, die mit einem Schuler sprach, sie war eine Frau, die zu einem Mann sprach, ihn ermutigte, sich um ihn sorgte. Toby spurte einen Kitzel der Befriedigung.

Er zuckte hilflos die Schultern. »Ich wei? es nicht mehr. Ich bin ganz allein in dieser Stadt. Ich habe niemanden, mit dem ich reden kann.«

»Sie konnen immer mit mir reden, Toby. Ich mochte gern eine Freundin fur Sie sein.«

Er konnte horen, wie sich eine Art sexuelle Heiserkeit in ihre Stimme schlich. Tobys blaue Augen verhie?en alle Wunder der Welt, als er sie anstarrte. Sie beobachtete ihn, wie er zur Burotur ging und sie abschloss. Er kehrte zu ihr zuruck, fiel auf die Knie, begrub den Kopf in ihrem Scho?, und als ihre Finger sein Haar beruhrten, hob er langsam ihren Rock und enthullte den armen, in die grausame Stahlstrebe gezwangten Schenkel. Er nahm sanft die Strebe ab, kusste zart die roten, von den Stahlschienen verursachten Flecke. Langsam loste er ihren Strumpfhalter, sprach die ganze Zeit davon, wie sehr er sie liebe und brauche, und kusste sie hinauf bis zu den feuchten, vor ihm entblo?ten Lippen. Er trug sie auf die tiefe Ledercouch und liebte sie.

An diesem Abend zog Toby zu Alice Tanner.

In jener Nacht entdeckte Toby, dass Alice Tanner eine bedauernswerte, einsame Frau war, die verzweifelt jemanden suchte, mit dem sie sprechen, den sie lieben konnte. Sie war in Boston geboren. Ihr Vater war ein reicher Fabrikant, der ihr ein gro?zugiges Taschengeld gegeben, sich im ubrigen aber nicht um sie gekummert hatte. Alice war vom Theater besessen und hatte sich zur Schauspielerin ausbilden lassen, aber im College war sie an Kinderlahmung erkrankt, und das hatte ihrem Traum ein Ende gemacht. Sie erzahlte Toby, wie sich ihr Leben danach von Grund auf geandert hatte. Der Junge, mit dem sie verlobt war, hatte sie sitzenlassen, als er die Nachricht bekam. Alice war von zu Hause weggelaufen und hatte einen Psychiater geheiratet, der sechs Monate spater Selbstmord beging. Es war, als ob sich alle Gefuhle in ihr aufgestaut hatten. Jetzt brachen sie mit elementarer Gewalt hervor und lie?en sie erschopft, ruhig und wundervoll zufrieden zuruck.

Toby liebte Alice, bis sie vor Ekstase beinahe bewusstlos wurde. Er fullte sie mit seinem riesigen Penis und bewegte langsam kreisend seine Huften, bis er jeden Teil ihres Korpers zu beruhren schien. Sie stohnte: »O Liebling, ich liebe dich so sehr. O Gott, wie ich das liebe!« Aber was die Schule anlangte, merkte Toby, dass er keinen Einfluss auf Alice hatte. Er sprach mit ihr uber eine Rolle in der nachsten Schaukastenauffuhrung. Er wollte den Besetzungschefs vorgestellt werden, sie sollte bei allen wichtigen Studioleuten ein Wort fur ihn einlegen, aber sie blieb fest. »Du kannst dir nur schaden, wenn du es ubereilst, Liebling. Regel Nummer eins: Der erste Eindruck ist der wichtigste.

Wenn man dich nicht gleich beim erstenmal mag, kommt man kein zweites Mal, um dich zu sehen. Du musst perfekt sein.«

Mit diesen Worten wurde sie augenblicklich zu seinem Feind. Sie war gegen ihn. Toby schluckte seine Wut hinunter und zwang sich, sie anzulacheln. »Klar. Ich bin blo? ungeduldig. Ich mochte nicht nur fur mich, sondern auch fur dich Erfolg haben.«

»Wirklich! O Toby, ich liebe dich so sehr!«

»Ich liebe dich auch, Alice.« Und er blickte lachelnd in ihre hingebungsvollen Augen. Er wusste, dass er dieses Luder, das ihm im Wege stand, uberlisten musste. Er hasste sie und strafte sie dafur.

Wenn sie sich liebten, zwang er sie, Dinge zu tun, die sie nie zuvor getan hatte, Dinge, die er nicht einmal von einer Hure verlangt hatte; er gebrauchte ihren Mund, ihre Finger und ihre Zunge. Er trieb sie immer weiter und zwang sie zu einer Reihe von Demutigungen. Und jedesmal, wenn er sie zwang, etwas noch Entwurdigenderes zu tun, lobte er sie, so wie man einen Hund lobt, der einen neuen Trick gelernt hat, und sie war glucklich, weil sie ihn zufriedengestellt hatte. Und je mehr er sie demutigte, um so gedemutigter kam er sich selber vor. Er strafte sich und hatte nicht die geringste Ahnung, wofur.

Toby hatte einen Plan, und die Gelegenheit, ihn zu verwirklichen, kam schneller, als er zu hoffen gewagt hatte. Alice Tanner kundigte an, dass die Werkstattgruppe am kommenden Freitag eine Privatauffuhrung fur die fortgeschrittenen Klassen und deren Gaste veranstalten wurde. Jeder Student konnte die Art seiner Darbietung selbst wahlen. Toby bereitete einen Monolog vor und probte ihn immer wieder.

Am Morgen des Auffuhrungstages wartete Toby, bis der Kurs voruber war, und ging dann zu Karen, der dicklichen Schauspielerin, die wahrend des Stuckes neben ihm gesessen hatte. »Wurdest du mir einen Gefallen tun?« fragte er beilaufig.

»Klar, Toby.« Ihre Stimme klang uberrascht und eifrig.

Toby trat zuruck, um ihrem Atem auszuweichen. »Ich will einen alten Freund von mir verulken. Wurdest du

Вы читаете Ein Fremder im Spiegel
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату
×