»Nichts kann doch einer Menschenmenge ahnlicher sein, als was wir hier vor uns sehen! bemerkte John Cort, ganz dieselben Bewegungen, dieselbe Weise, seine Befriedigung durch Gesten und Ausrufe kund zu geben…

– Und daneben durch Grimassen, setzte Max Huber hinzu, und das verweist diese wunderlichen Wesen zu den Vierhandern!«

In der That hatten sich die gewohnlich ernsten, zuruckhaltenden und wenig mittheilsamen Wagddis noch niemals so ausgelassen lustig gezeigt. Und dabei bewahrten sie doch die unerklarliche Gleichgiltigkeit gegen die Fremden, denen sie nicht die geringste Beachtung zu schenken schienen

– eine Beachtung, die bei den Denkas, den Monbullus und andern afrikanischen Volksstammen gewi? recht lastig empfunden worden ware.

Das war wieder nicht sehr »menschlich«.

Nach einem langem Wege kamen John Cort und Max Huber nach dem Hauptplatze des Ortes, den die Aeste der letzten Baume an der Westseite abschlossen, und von denen die uppiggrunen Zweige den Konigspalast umrahmten.

Vorn standen hier die Krieger in voller Waffenausrustung und mit Antilopenfellen, die mit seinen Lianen zusammengehalten waren, bekleidet, die Anfuhrer mit Steinbockschadeln auf dem Kopfe, deren Horner eine ganze Herde vortauschten. Der »Oberst« Raggi war gar mit einem Buffelkopfe bedeckt, und mit dem Bogen auf der Schulter, der Axt im Gurtel und dem Spie? in der Hand stolzierte er vor der wagddiischen Armee auf und ab.

»Wahrscheinlich, meinte John Cort, beabsichtigt der Herrscher eine Truppenschau abzuhalten.

– Ja wohl; doch wenn er nicht erscheint, kann das nur daran liegen, da? er sich vor seinen getreuen Unterthanen uberhaupt niemals zeigt. Oh, man hat kaum eine Vorstellung davon, welch hohes Ansehen die Unsichtbarkeit einem Monarchen verleiht, und der hier…«

Er wendete sich zu Lo-Mai, dem er sich durch Zeichen verstandlich zu machen suchte.

»Wird Mselo-Tala-Tala denn herauskommen?«

Lo-Mai machte ein bejahendes Zeichen, doch als wollte er sagen:

»Spater… spater!

– Das ist gleichgiltig, erwiderte Max Huber, vorausgesetzt, da? es uns gestattet ist, sein erhabenes Antlitz zu betrachten…

– Und da wollen wir, fuhr John Cort fort, uns von dem Schauspiele ja nichts entgehen lassen!«

Die beiden Freunde beobachteten nun von dem, was erwahnenswerth erscheint, folgendes:

Die baumlose Mitte des Platzes bildete eine freie Flache von etwa einem halben Hektar. Jetzt fullte diese die Menge, die sich jedenfalls an den vor sich gehenden Festlichkeiten bis zu dem Augenblick betheiligen wollte, wo der Herrscher auf der Schwelle seines Palastes erscheinen wurde. Ob sie dann wohl vor ihm niederfiel?… Ob sie ihm vielleicht gottliche Ehren erwies?…

»Nun, bemerkte John Cort hierzu, solche Ehrenerweisungen hatten bezuglich der fraglichen Religiositat keinerlei Bedeutung, denn sie galten ja doch nur einem Menschen.

– Wenigstens, erwiderte Max Huber, wenn dieser Mensch nicht aus Holz oder Stein besteht. Wenn der Potentat nur ein Gotzenbild ware, von der Art derer, die die Eingebornen Polynesiens anbeten…

– Dann, lieber Max, wurde den Bewohnern von Ngala rein gar nichts mehr fehlen, ihnen die Wurde als Menschen zuzugestehen. Sie hatten dann berechtigten Anspruch, ebenso wie die von Dir genannten Eingebornen, zur Menschheit gerechnet zu werden…

– Vorausgesetzt, da? die anderen das verdienen, antwortete Max Huber in einem fur die polynesische Rasse wenig schmeichelhaften Tone.

– Gewi?, Max, schon weil diese an irgendwelchen Gott glauben, und noch nie ist es jemand in den Sinn gekommen oder wird es ihm einfallen, sie unter die Thiere zu rechnen, auch nicht unter die hochststehenden Vertreter der Thierwelt.«

Dank der Familie Lo-Mai konnten John Cort, Max Huber und Llanga einen Platz bekommen, von dem aus alles zu ubersehen war.

Als die Menge die Mitte des freien Platzes geraumt hatte, begannen junge Wagddis beider Geschlechter einen Tanz aufzufuhren, wahrend die alteren zu trinken anfingen, als wollten sie es den Helden einer hollandischen Kirme? gleichthun.

Die Waldmenschen verzehrten ein aus Tamarindenschoten hergestelltes, gegohrenes und gewurztes Getrank, das sehr alkoholreich sein mu?te, denn man sah da? die Kopfe sich dabei bald erhitzten und die Beine der Leute unsicher wurden.

Die Tanze erinnerten in keiner Weise an die hubschen Figuren eines Passe-pied (eines alten Schnelltanzes) oder eines Menuetts, arteten aber auch nicht aus zu den wusten Verrenkungen und tollen Seitensprungen, die man bei offentlichen Ballen innerhalb der Pariser Bannmeile sehen kann. Im ganzen wurden sie mehr von Grimassen, als von Korperwendungen, und mehr von Purzelbaumen begleitet.

Kurz, in diesen choreographischen Uebungen fand man weniger vom Menschen, als vom Affen, doch wohl verstanden, nicht von dem, der zur Vorfuhrung seiner Kunste auf Jahrmarkten abgerichtet ist, sondern von dem Affen, der nur seinen naturlichen Instincten folgt.

Die Tanze wurden auch nicht von Rufen oder Gesangen der Zuschauer begleitet, sondern nur von hochst urwuchsigen Instrumenten, wie von Calebassen, die mit einer Haut straff bezogen waren, und von einer Art zu Pfeifen zugeschnittenen hohlen Stengeln, die ein Dutzend kraftiger Musikanten anbliesen, als wollten sie sich mit aller Gewalt die Lungen zersprengen. Wohl noch niemals mochte solch ein betaubender Larm die Ohren von Wei?en zerrissen haben.

»Sie scheinen keine Idee von einem musikalischen Tacte zu haben, bemerkte John Cort.

– Nicht mehr als von einer Tonhohe und Harmonie, antwortete Max Huber.

– Trotzdem sind sie offenbar empfanglich fur Musik, lieber Max…

– Das sind die Thiere auch, lieber John, wenigstens manche davon. Meiner Ansicht nach ist die Musik eine niedere Kunst, die sich nur an die niederen Sinne richtet. Handelt es sich dagegen um Malerei, Bildhauerei oder Literatur, so giebt es kein Thier, das deren Reiz empfande, und selbst von den intelligentesten wird man noch nicht beobachtet haben, da? sie beim Erblicken eines Gemaldes oder beim Anhoren eines Gedichtes ihrer Befriedigung Ausdruck gegeben hatten.«

Wie dem auch sei, die Wagddis naherten sich mehr dem Menschen, nicht allein, weil sie einen Eindruck von der Musik empfanden, sondern auch, weil sie diese selbst ausubten.

So gingen, unter gro?er Ungeduld Max Huber’s, zwei volle Stunden hin. Am meisten erregte ihn freilich, da? Seine Majestat Mselo-Tala-Tala noch immer nicht zu erscheinen geruhte, um die Huldigungen seiner

Unterthanen

entgegenzunehmen.

Unter noch lauterem Getose und wilderen Tanzen nahm die Festlichkeit ihren Fortgang. Die starken Getranke brachten bald Ausbruche der Trunkenheit hervor, und schon drangte sich die Frage auf, wie dieses wuste Gelage enden moge, als plotzlich jeder Larm verstummte.

Alle kauerten sich stillschweigend nieder. Das tiefste Schweigen folgte den gerauschvollen Kundgebungen, dem betaubenden Drohnen der Tamtams und dem scharfen Kreischen der Pfeifen.

Da offnete sich die Thure der koniglichen Wohnstatte und sofort bildeten davor die Krieger zu beiden Seiten Spalier.

»Endlich, rief Max Huber aufathmend, endlich werden wir ihn sehen, den Beherrscher dieser Waldmenschen!«

Aus der Thur trat seine Majestat aber noch nicht, vielmehr wurde ein dick mit Blattern bedeckter Kasten nach der Mitte des Platzes gebracht. Wie erstaunten aber die beiden Freunde, als sie darin eine… ganz gewohnliche Drehorgel erkannten.

Hochst wahrscheinlich wurde dieses geheiligte Instrument nur bei gro?en Feierlichkeiten in Ngala benutzt, und die Wagddis lauschten auf dessen verschiedene Weisen mit dem Entzucken kunstbegeisterter Dilettanten.

»Das ist aber doch die Orgel des Doctor Johausen, sagte John Cort.

– Es kann nur dasselbe antediluvianische Musikwerk sein, antwortete Max Huber. Jetzt kann ich mir auch erklaren, warum ich in der Nacht, wo wir hier darunter eintrafen, uber mir den unausweichlichen Walzer aus dem »Freischutz«

unbestimmt zu horen glaubte.

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