– Und davon hast Du nichts gesagt, Max?

– Ich glaubte nur getraumt zu haben, John.

– Und diesen Leierkasten werden sich die Wagddis jedenfalls aus der Kafighutte des Doctors angeeignet haben.

– Und zwar, nachdem sie dem armen Manne ubel mitgespielt hatten!« setzte Max Huber hinzu.

Ein stolz aussehender Wagddi – offenbar der Concertmeister des Dorfes – trat an das Instrument und begann dessen Handgriff zu drehen.

Sofort ertonte zum gro?ten Vergnugen der Zuhorer der genannte Walzer, wenn von ihm auch einzelne Tone ausblieben.

Jetzt fand nach den Tanzauffuhrungen also ein regelrechtes Concert statt. Die Anwesenden horten ihm, mit dem Kopfe –freilich nicht taktma?ig – nickend, zu. Den Einflu?, der bei einer Walzermelodie alle civilisierten Menschenkinder der Alten und der Neuen Welt veranla?t, die Fu?e in entsprechende Bewegung zu setzen, empfanden hier die Zuhorer nicht.

Und wie erfullt von der Wichtigkeit seines Amtes, leierte der Wagddi immer unverdrossen weiter.

John Cort fragte sich, ob es in Ngala wohl bekannt ware, da? die Drehorgel auch noch andere Melodien hervorbringen konnte. Der Zufall hatte ja vielleicht diese Urmenschen entdecken lassen konnen, durch welchen Handgriff – namlich durch Druck auf einen Knopf – die Melodie von Weber durch eine andere zu ersetzen ware.

Und siehe da, nachdem eine halbe Stunde lang der Freischutzwalzer erklungen war, druckte der Vortragende auf eine Feder an der Seite des Gehauses, ganz wie es der Leierkastenmann auf der Stra?e, der sein Instrument an Riemen befestigt tragt, gethan haben wurde.

»Sapperment… nein… das ist denn doch zu stark!« rief Max Huber.

Ja wahrlich, zu stark, wenigstens wenn den Waldmenschen nicht irgend jemand den Mechanismus des Leierkastens erklart und ihnen gezeigt hatte, wie man alle in seinem Inneren verborgenen Melodien auslosen konne.

Schon setzte sich der Handgriff wieder in Bewegung.

Der deutschen Melodie folgte eines der beliebtesten franzosischen Volkslieder, das ergreifende Lied von der

»Gnade Gottes«.

Dieses »Meisterwerk« der Loisa Puget ist ja wohl allgemein bekannt. Jedermann wei?, da? die Melodie in den ersten sechs Takten in A-moll gesetzt ist, und da?, wie es in der Zeit seiner Entstehung allgemein beliebt war, der Refrain jedes Verses dann nach A-dur ubergeht.

»O, der Elende… der elende Pfuscher! stie? Max Huber so laut hervor, da? aus der Zuhorerschaft ein recht bedenkliches Murmeln horbar wurde.

– Welcher Elende? fragte John Cort. Der, der den Leierkasten bearbeitet?

– Nein, der, der ihn angefertigt hat. Um an klingenden Stimmen zu sparen, hat er in seinem Kasten das Cis und Gis einfach weggelassen, und der in A-dur zu spielende Refrain:

»Nun geh’, mein Kind, leb’ wohl,

Dich leite Gottes Gnade«,

der ertont nun in C-dur!

– Ja, ja, das ist ein Kapitalverbrechen! erklarte John Cort lachend.

– Und diese Barbaren, die davon gar nichts merken, die nicht entsetzt in die Hohe springen, wie jeder mit einem menschlichen Ohre Begabte aufspringen mu?te!«

Nein, diese Schandung lie? die Wagddis vollig gleichgiltig; ruhig nahmen sie die verbrecherische Unterschiebung einer falschen Tonart fur die richtige hin!

Wenn sie auch nicht in die Hande klatschten, obwohl genug, ihrem Aeu?eren nach recht brauchbare Claqueure unter ihnen waren, so gaben sie ihrer Entzuckung doch in der ihnen eigenen Weise Ausdruck.

»Schon das allein, sagte Max Huber, berechtigt dazu, sie zu den Thieren zu zahlen!«

Dem Anscheine nach war der Leierkasten fur keine anderen Stucke, als fur den deutschen Walzer und fur das franzosische Volkslied eingerichtet, denn die wechselten halbstundlich unverandert mit einander ab. Die Walzenstifte fur andere Melodien waren jedenfalls gar zu luckenhaft. Zum Glucke gab das Instrument wenigstens alle Tone des deutschen Walzers an, so da? bei diesem Max Huber’s Widerwille sich nicht so fuhlbar machte, wie bei der franzosischen Romanze.

Nach Schlu? des Concertes begannen die Tanze aufs neue, und reichlich flo? berauschendes Getrank wieder durch die Gurgel der Wagddis. Die Sonne war hinter den Baumkronen an der Westseite versunken, und zwischen dem Gezweig tauchten bald brennende Fackeln auf, um den Festplatz zu erleuchten, der bei der kurzen Dammerung sonst bald in tiefes Dunkel gehullt gewesen ware.

Max Huber und John Cort hatten von dem Schauspiele genug und dachten schon daran, nach ihrer Hutte zuruckzukehren, als Lo-Mai deutlich sagte:

»Mselo-Tala-Tala!«

Wirklich?… Wollte Seine Majestat jetzt die Ehrenbezeigungen seines Volkes annehmen?… Geruhte er endlich, seine gottliche Unsichtbarkeit aufzugeben?

Jetzt huteten sich John Cort und Max Huber naturlich, fortzugehen.

Nach der Seite der koniglichen Wohnung zu entstand eine neue Bewegung, die von einem dumpfen Murmeln der Menge begru?t wurde. Die Thur sprang auf, und davor ordnete sich eine Leibwache von Kriegern, deren Fuhrung der »Oberst«

Raggi ubernahm.

Fast gleichzeitig wurde ein Thronsessel sichtbar – eigentlich ein altes, mit Stoffen und Blattern geschmucktes Sopha, worauf

– von vier stammigen Burschen getragen – Seine Majestat hingestreckt lag.

Es war eine Personlichkeit von etwa sechzig Jahren mit einem Kopfschmuck von glanzenden grunen Blattern, mit wei?em Bart und Haar und von betrachtlichem Leibesumfang, dessen Gewicht auf den breiten Schultern seiner Diener recht fuhlbar lasten mochte.

Der kleine Zug setzte sich in Bewegung und verfolgte einen Weg rings um den Platz.

Schweigsam, wie hypnotisiert durch die Erscheinung des erhabenen Mselo-Tala-Tala, verbeugte sich die Menge bis zum Boden.

Der Souveran erschien ubrigens ziemlich unberuhrt von den Huldigungen, die ihm dargebracht wurden, die ihm zukamen und an die er wahrscheinlich langst gewohnt war. Kaum geruhte er einmal, durch eine leise Bewegung des geheiligten Hauptes seiner Anerkennung Ausdruck zu geben. Sonst blieb er – abgesehen davon, da? er sich zwei- oder dreimal an der Nase kratzte – reungslos liegen. Auf seiner sehr langen Nase aber sa? eine gro?e Brille, was seinen Zunamen »Vater Spiegel« genugend erklarte.

Mit gespanntester Aufmerksamkeit betrachteten ihn die beiden Freunde, als er nahe bei ihnen voruberkam.

»Das… das ist ja aber ein Mensch! versicherte John Cort.

– Ein Mensch? fragte Max Huber zweifelnd.

– Ja… ein Mensch… und was noch mehr ist, sogar ein Wei?er!

– Wie?… Ein Wei?er?«

Unzweifelhaft war der, den man auf seiner sedia gestatoria eben hier vorubertrug, ein anderes Wesen, als die von ihm regierten Wagddis, und auch kein Eingeborner aus den Stammen des oberen Ubanghi. Nein, hier blieb jede Tauschung ausgeschlossen; es war ein Wei?er, ein nicht zu verkennender Vertreter des Menschengeschlechtes!

»Und unsere Anwesenheit macht auf ihn gar keinen Eindruck, sagte Max Huber, er scheint uns uberhaupt gar nicht zu bemerken. Zum Kuckuck! Wir gleichen doch nicht diesen Halbaffen von Ngala, und wenn wir auch drei Wochen unter ihnen verlebt haben, glaube ich doch nicht, da? wir schon nicht mehr wie richtige Menschen aussahen!«

Schon wollte er uber die Kopfe vor ihm hinuberrufen:

»He da… Sie… geehrter Herr, da druben, wollen Sie uns denn nicht eines Blickes wurdigen?«

Da fa?te ihn jedoch John Cort am Arme, und mit einer Stimme, die sein ma?losestes Erstaunen verrieth, sagte er:

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