– Wei? man das, lieber Max? rief John Cort lachend.

Vielleicht aus diplomatischen Erwagungen…

– Nun, wenn er es abschlagt, erklarte Max Huber erregt, werd’ ich ihm ins Gesicht sagen, da? er eben hochstens wurdig sei, uber die niedrigst stehenden Makaken zu herrschen und da? er noch weit unter seinen Unterthanen stehe!«

Von mehr phantastischen Nebendingen abgesehen, war dieser Vorschlag wohl der Erwagung werth.

Die Gelegenheit schien besonders gunstig zu sein. Wenn das Fest mit der Nacht zu Ende ging, so dauerte ja wenigstens der Zustand der Trunkenheit fort, in den die gesammte Dorfbevolkerung gerathen war. Diesen Umstand galt es doch auszunutzen, zumal da es wahrscheinlich lange dauerte, ehe er sich wiederholte. Die halb berauschten Wagddis waren dann jedenfalls zum Theil in ihren Strohhutten eingeschlafen, zum Theil mochten sie sich weit in den Wald hinein zerstreut haben.

Selbst die Krieger hatten dadurch, da? sie sinnlos tranken, ihre Uniform nicht zu entehren gefurchtet. Die konigliche Wohnung wurde deshalb also weniger sorgsam uberwacht, und es konnte nicht schwer sein, bis zum Zimmer Mselo-Tala-Talas vorzudringen.

Dieser, auch von Khamis, dem allzeit weisen Berather, gebilligte Plan sollte also ausgefuhrt werden, und man wartete dazu nur die Nacht ab, wo im Dorfe allgemeine Trunkenheit herrschen mu?te. Naturlich war Kollo, dem man erlaubt hatte, den Festlichkeiten beizuwohnen, noch nicht zuruckgekehrt.

Gegen neun Uhr verlie?en Max Huber, John Cort, Llanga und der Foreloper ihre Hutte.

Ngala, das keinerlei offentliche Beleuchtung hatte, lag in tiefem Dunkel. Die harzigen Fackeln, die zwischen den Baumkronen leuchteten, waren dem Erloschen nahe. In der Umgebung Ngalas wie unter diesem summte noch ein verworrener Larm, meist an der der Wohnstatte des Doctor Johausen entgegengesetzten Seite.

John Cort, Max Huber und Khamis hatten in der Voraussicht, noch heute Nacht mit oder ohne Zustimmung Seiner Majestat zu entfliehen, schon ihre Gewehre mitgenommen und ihre Taschen mit allen in dem Kasten noch vorhandenen Patronen gefullt. Ueberraschte man sie, so konnte es ja nothwendig werden, die Feuerwaffen mitreden zu lassen… eine Sprache, die die Wagddis offenbar noch nicht kannten.

So gingen alle vier zwischen den meist leerstehenden Hutten dahin. Auf dem Platze angekommen, zeigte er sich vollig leer und in Dunkel gehullt.

Nur aus dem Fenster der Wohnung des Souverans drang ein schwacher Lichtschein.

»Hier ist niemand,« flusterte John Cort.

In der That war kein lebendes Wesen zu entdecken, nicht einmal vor der Wohnung Mselo-Tala-Talas.

Raggi und seine Krieger hatten ihren Posten verlassen; diese Nacht war der Herrscher also nicht gut bewacht.

Immerhin konnten sich in der Nahe Seiner Majestat einige

»dienstthuende Kammerherren« aufhalten, deren Wachsamkeit wohl nicht so leicht zu tauschen war.

Wie dem auch sein mochte, Khamis und seinen Gefahrten erschien die Gelegenheit gar zu verlockend. Durch glucklichen Zufall waren sie schon vollig unbemerkt bis an die Konigswohnung gekommen, und jetzt wollten sie auf jeden Fall hineindringen.

Auf den Aesten hinkletternd, konnte Llanga bis an die Thur gelangen und sich von oben aus uberzeugen, da? man diese nur aufzusto?en brauche, um ungehindert einzutreten.

John Cort, Max Huber und Khamis gingen sofort darauf zu.

Vor dem Eintreten legten sie einige Minuten das Ohr an die Wand, um zu lauschen und sich im Nothfalle noch zuruckziehen zu konnen.

Weder drin noch drau?en lie? sich das geringste horen.

Da uberschritt Max Huber als der erste die geheiligte Schwelle. Seine Gefahrten folgten ihm und druckten die Thur hinter sich wieder zu.

Die Wohnung bestand aus zwei nebeneinander liegenden Zimmern, das waren alle Raumlichkeiten, uber die Mselo-Tala-Tala verfugte.

In dem vollkommen dunkeln Vorderzimmer befand sich keine lebende Seele.

Khamis druckte ein Ohr an die nach dem zweiten Raume fuhrende Thur, die diesen nur mangelhaft abschlo? und da und dort einen Lichtstrahl hindurchdringen lie?.

Der Doctor Johausen befand sich in halb liegender Stellung in dem Hinterzimmer auf einem Sopha. Dieses Mobelstuck und einige andere, die sich darin befanden, entstammten offenbar der Ausstattung der Kafighutte und waren jedenfalls mit deren Eigenthumer nach Ngala gebracht worden.

»Nun hinein!« sagte Max Huber.

Bei dem dadurch entstehenden Gerausch wendete der Doctor Johausen den Kopf nach der Thure zu und richtete sich ein wenig auf. Vielleicht war er erst aus tiefem Schlafe aufgewacht. Jedenfalls schien das Auftauchen der Fremden auf ihn aber gar keinen Eindruck zu machen.

»Herr Doctor Johausen, begann John Cort in deutscher Sprache, meine Freunde und ich wollten sich erlauben, Eurer Majestat ihre Ehrerbietung zu bezeigen!«

Der Doctor gab keine Antwort. Sollte er die Anrede nicht verstanden haben? Hatte er nach dreijahrigem Verweilen unter den Wagddis vielleicht seine Muttersprache verlernt?

»Verstehen Sie mich? fuhr John Cort fort. Wir sind Fremde, die mit Gewalt nach dem Dorfe Ngala geschleppt worden waren.«

Keine Antwort.

Der wagddiische Herrscher schien die Fremden anzustarren, ohne sie zu sehen, sie anzuhoren, ohne sie zu verstehen. Er machte keine Bewegung, keine Geste, so als ware er vollig stumpfsinnig.

Max Huber trat an ihn heran, ergriff ihn, wenig respectvoll gegenuber einem centralafrikanischen Herrscher, an den Schultern und schuttelte ihn tuchtig ab.

Seine Majestat schnitt eine Grimasse, wie sie der geubteste Mandrillaffe von Ubanghi nicht besser hatte fertig bringen konnen.

Max Huber schuttelte ihn noch einmal.

Seine Majestat steckte ihm die Zunge heraus.

»Ist er denn verruckt? fragte John Cort.

– So verruckt, wie nur einer sein kann,« erklarte Max Huber.

Ja… der Doctor Johausen war vollkommen geistesabwesend.

Schon bei seiner Abreise aus Kamerun ziemlich uberspannt, hatte er nach seiner Ankunft in Ngala den Verstand vollends eingebu?t. Wer wei? auch, ob es nicht gerade diese geistige Entartung war, der er seine Erhebung zum Konige der Wagddis verdankte. Bei den Indianern des Fernen Westens, wie bei den Wilden Oceaniens, steht ja die Tollheit in hoherem Werthe als die Weisheit, und bei diesen Eingebornen gilt der Narr fur ein geheiligtes Wesen, fur einen Trager gottlicher Allmacht.

Der arme Doctor Johausen hatte thatsachlich jede Spur von Verstand verloren. Das war’s, warum er sich um die Anwesenheit der vier Fremden im Dorfe nicht kummerte, warum er in zweien von ihnen nicht Individuen seiner eigenen, von der wagddiischen doch so abweichenden Rasse erkannt hatte.

»Jetzt bleibt uns nur eins ubrig, sagte Khamis. Auf eine Entschlie?ung dieses Uebergeschnappten, uns die Freiheit wiederzugeben, konnen wir nicht rechnen…

– Nein… gewi? nicht! bestatigte John Cort.

– Und das halbthierische Volk hier wird uns nie hinwegziehen lassen, setzte Max Huber hinzu. Da sich nun einmal die Gelegenheit zur Flucht bietet, so wollen wir entfliehen…

– Und zwar augenblicklich, mahnte Khamis. Machen wir uns die Nacht zu nutze…

– Und den Zustand, in dem sich diese ganze Welt von Halbaffen befindet, bemerkte Max Huber.

– Kommt also, sagte Khamis, der sich schon nach dem Vorzimmer hin wendete. Wir wollen versuchen, die Leitertreppe zu finden und dann in den Wald entweichen.

– Ja, ja, erwiderte Max Huber, doch… der Doctor…

– Der Doctor? wiederholte Khamis.

– Wir konnen ihn doch nicht in seiner wagddiischen Souveranitat hier seinem Schicksale uberlassen. Es ist unsere Menschenpflicht, auch ihn zu retten.

– Ja, gewi? lieber Max, stimmte John Cort dem Freunde zu.

Der Ungluckliche ist nur des Verstandes vollig beraubt… er leistet vielleicht Widerstand. Wenn er sich nun weigert, uns zu folgen?

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