hinaus: sahen wir je das Meer glatter? — Und wie uns der maurische Tanz beruhigend zuredet! Wie in seiner lasciven Schwermuth selbst unsre Unersattlichkeit einmal Sattheit lernt! — Endlich die Liebe, die in die Natur zuruckubersetzte Liebe! Nicht die Liebe einer» hoheren Jungfrau«! Keine Senta-Sentimentalitat! Sondern die Liebe als Fatum, als Fatalitat, cynisch, unschuldig, grausam — und eben darin Natur! Die Liebe, die in ihren Mitteln der Krieg, in ihrem Grunde der Todhass der Geschlechter ist! — Ich weiss keinen Fall, wo der tragische Witz, der das Wesen der Liebe macht, so streng sich ausdruckte, so schrecklich zur Formel wurde, wie im letzten Schrei Don Jose's, mit dem das Werk schliesst:

«Ja! Ich habe sie getodtet,

ich — meine angebetete Carmen!»

— Eine solche Auffassung der Liebe (die einzige, die des Philosophen wurdig ist — ) ist selten: sie hebt ein Kunstwerk unter Tausenden heraus. Denn im Durchschnitt machen es die Kunstler wie alle Welt, sogar schlimmer — sie missverstehen die Liebe. Auch Wagner hat sie missverstanden. Sie glauben in ihr selbstlos zu sein, weil sie den Vortheil eines andren Wesens wollen, oft wider ihren eigenen Vortheil. Aber dafur wollen sie jenes andre Wesen besitzen… Sogar Gott macht hier keine Ausnahme. Er ist ferne davon zu denken» was geht dich's an, wenn ich dich liebe?«— er wird schrecklich, wenn man ihn nicht wieder liebt. L'amour — mit diesem Spruch behalt man unter Gottern und Menschen Recht — est de tous les sentiments le plus egoiste, et, par consequent, lorsqu'il est blesse, le moins genereux. (B. Constant.)

3

Sie sehen bereits, wie sehr mich diese Musik verbessert? — Il faut mediterraniser la musique: ich habe Grunde zu dieser Formel (jenseits von Gut und Bose, S. 220). Die Ruckkehr zur Natur, Gesundheit, Heiterkeit, Jugend, Tugend! — Und doch war ich Einer der corruptesten Wagnerianer… Ich war im Stande, Wagnern ernst zu nehmen… Ah dieser alte Zauberer! was hat er uns Alles vorgemacht! Das Erste, was seine Kunst uns anbietet, ist ein Vergrosserungsglas: man sieht hinein, man traut seinen Augen nicht — Alles wird gross, selbst Wagner wird gross… Was fur eine kluge Klapperschlange! Das ganze Leben hat sie uns von» Hingebung«, von» Treue«, von» Reinheit «vorgeklappert, mit einem Lobe auf die Keuschheit zog sie sich aus der verderbten Welt zuruck! — Und wir haben's ihr geglaubt…

— Aber Sie horen mich nicht? Sie ziehen selbst das Problem Wagner's dem Bizet's vor? Auch ich unterschatze es nicht, es hat seinen Zauber. Das Problem der Erlosung ist selbst ein ehrwurdiges Problem. Wagner hat uber Nichts so tief wie uber die Erlosung nachgedacht: seine Oper ist die Oper der Erlosung. Irgend wer will bei ihm immer erlost sein: bald ein Mannlein, bald ein Fraulein — dies ist sein Problem. — Und wie reich er sein Leitmotiv variirt! Welche seltenen, welche tiefsinnigen Ausweichungen! Wer lehrte es uns, wenn nicht Wagner, dass die Unschuld mit Vorliebe interessante Sunder erlost? (der Fall im Tannhauser) Oder dass selbst der ewige Jude erlost wird, sesshaft wird, wenn er sich verheirathet? (der Fall im Fliegenden Hollander) Oder dass alte verdorbene Frauenzimmer es vorziehn, von keuschen Junglingen erlost zu werden? (der Fall Kundry) Oder dass schone Madchen am liebsten durch einen Ritter erlost werden, der Wagnerianer ist? (der Fall in den Meistersingern) Oder dass auch verheirathete Frauen gerne durch einen Ritter erlost werden? (der Fall Isoldens) Oder dass» der alte Gott«, nachdem er sich moralisch in jedem Betracht compromittirt hat, endlich durch einen Freigeist und Immoralisten erlost wird? (der Fall im» Ring«) Bewundern Sie in Sonderheit diesen letzten Tiefsinn! Verstehn Sie ihn? Ich — hute mich, ihn zu verstehn… Dass man noch andre Lehren aus den genannten Werken ziehn kann, mochte ich eher beweisen als bestreiten. Dass man durch ein Wagnerisches Ballet zur Verzweiflung gebracht werden kann — und zur Tugend! (nochmals der Fall Tannhausers) Dass es von den schlimmsten Folgen sein kann, wenn man nicht zur rechten Zeit zu Bett geht (nochmals der Fall Lohengrins). Dass man nie zu genau wissen soll, mit wem man sich eigentlich verheiratet (zum dritten Mal der Fall Lohengrins) Tristan und Isolde verherrlichen den vollkommnen Ehegatten, der, in einem gewissen Falle, nur Eine Frage hat:»aber warum habt ihr mir das nicht eher gesagt? Nichts einfacher als das!«Antwort:

«Das kann ich dir nicht sagen;

und was du fragst,

das kannst du nie erfahren.»

Der Lohengrin enthalt eine feierliche In-Acht-Erklarung des Forschens und Fragens. Wagner vertritt damit den christlichen Begriff» du sollst und musst glauben«. Es ist ein Verbrechen am Hochsten, am Heiligsten, wissenschaftlich zu sein… Der fliegende Hollander predigt die erhabne Lehre, dass das Weib auch den Unstatesten festmacht, Wagnerisch geredet,»erlost«. Hier gestatten wir uns eine Frage. Gesetzt namlich, dies ware wahr, ware es damit auch schon wunschenswerth? — Was wird aus dem» ewigen Juden«, den ein Weib anbetet und festmacht? Er hort bloss auf, ewig zu sein; er verheirathet sich, er geht uns Nichts mehr an. — In's Wirkliche ubersetzt: die Gefahr der Kunstler, der Genie's — und das sind ja die» ewigen Juden «liegt im Weibe: die anbetenden Weiber sind ihr Verderb. Fast Keiner hat Charakter genug, um nicht verdorben — »erlost «zu werden, wenn er sich als Gott behandelt fuhlt: — er condescendirt alsbald zum Weibe. — Der Mann ist feige vor allem Ewig-Weiblichen: das wissen die Weiblein. — In vielen Fallen der weiblichen Liebe, und vielleicht gerade in den beruhmtesten, ist Liebe nur ein feinerer Parasitismus, ein Sich-Einnisten in eine fremde Seele, mitunter selbst in ein fremdes Fleisch — ach! wie sehr immer auf» des Wirthes «Unkosten! —

Man kennt das Schicksal Goethe's im moralinsauren altjungfernhaften Deutschland. Er war den Deutschen immer anstossig, er hat ehrliche Bewunderer nur unter Judinnen gehabt. Schiller, der» edle «Schiller, der ihnen mit grossen Worten um die Ohren schlug, — der war nach ihrem Herzen. Was warfen sie Goethen vor? Den» Berg der Venus«; und dass er venetianische Epigramme gedichtet habe. Schon Klopstock hielt ihm eine Sittenpredigt; es gab eine Zeit, wo Herder, wenn er von Goethe sprach, mit Vorliebe das Wort» Priap «gebrauchte. Selbst der Wilhelm Meister galt nur als Symptom des Niedergangs, als moralisches» Auf-den-Hund-Kommen«. Die» Menagerie von zahmem Vieh«, die» Nichtswurdigkeit «des Helden darin erzurnte zum Beispiel Niebuhrn: der endlich in eine Klage ausbricht, welche Biterolf hatte absingen konnen:»Nichts macht leicht einen schmerzlicheren Eindruck, als wenn ein grosser Geist sich seiner Flugel beraubt und seine Virtuositat in etwas weit Geringerem sucht, indem er dem Hoheren entsagt«. . Vor Allem aber war die hohere Jungfrau emport: alle kleinen Hofe, alle Art» Wartburg «in Deutschland bekreuzte sich vor Goethe, vor dem» unsauberen Geist «in Goethe. — Diese Geschichte hat Wagner in Musik gesetzt. Er erlost Goethe, das versteht sich von selbst; aber so, dass er, mit Klugheit, zugleich die Partei der hoheren Jungfrau nimmt. Goethe wird gerettet: — ein Gebet rettet ihn, eine hohere Jungfrau zieht ihn hinan…

Was Goethe uber Wagner gedacht haben wurde? Goethe hat sich einmal die Frage vorgelegt, was die Gefahr sei, die uber allen Romantikern schwebe: das Romantiker-Verhangniss. Seine Antwort ist:»am Wiederkauen sittlicher und religioser Absurditaten zu ersticken. «Kurzer. Parsifal — Der Philosoph macht dazu noch einen Epilog. Heiligkeit — das Letzte vielleicht, was Volk und Weib von hoheren Werthen noch zu Gesicht bekommt, der Horizont des Ideals fur Alles, was von Natur myops ist. Unter Philosophen aber, wie jeder Horizont, ein blosses Nichtverstandniss, eine Art Torschluss vor dem, wo ihre Welt erst beginnt — ihre Gefahr, ihr Ideal, ihre Wunschbarkeit. . Hoflicher gesagt: la philosophie ne suffit pas au grand nombre. Il lui faut la saintete.

4

Ich erzahle noch die Geschichte des» Rings«. Sie gehort hierher. Auch sie ist eine Erlosungsgeschichte: nur dass dies Mal Wagner es ist, der erlost wird. — Wagner hat, sein halbes Leben lang, an die Revolution geglaubt, wie nur irgend ein Franzose an sie geglaubt hat. Er suchte nach ihr in der Runenschrift des Mythus, er glaubte in Siegfried den typischen Revolutionar zu finden. — »Woher stammt alles Unheil in der Welt?«fragte sich Wagner. Von» alten Vertragen«: antwortete er, gleich allen Revolutions-Ideologen. Auf deutsch: von Sitten, Gesetzen, Moralen, Institutionen, von Alledem, worauf die alte Welt, die alte Gesellschaft ruht.»Wie schafft man das Unheil aus der Welt? Wie schafft man die alte Gesellschaft ab?«Nur dadurch, dass man den» Vertragen«(dem Herkommen, der Moral) den Krieg erklart. Das thut Siegfried. Er beginnt fruh damit, sehr fruh: seine Entstehung ist bereits eine Kriegserklarung an die Moral — er kommt aus Ehebruch, aus Blutschande zur Welt… Nicht die Sage,

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