sondern Wagner ist der Erfinder dieses radikalen Zugs; an diesem Punkte hat er die Sage corrigirt… Siegfried fahrt fort, wie er begonnen hat: er folgt nur dem ersten Impulse, er wirft alles Ueberlieferte, alle Ehrfurcht, alle Furcht uber den Haufen. Was ihm missfallt, sticht er nieder. Er rennt alten Gottheiten unehrerbietig wider den Leib. Seine Hauptunternehmung aber geht dahin, das Weib zu emancipiren — »Brunnhilde zu erlosen«… Siegfried und Brunnhilde; das Sakrament der freien Liebe; der Aufgang des goldnen Zeitalters; die Gotterdammerung der alten Moral — das Uebel ist abgeschafft… Wagner's Schiff lief lange Zeit lustig auf dieser Bahn. Kein Zweifel, Wagner suchte auf ihr sein hochstes Ziel. — Was geschah? Ein Ungluck. Das Schiff fuhr auf ein Riff; Wagner sass fest. Das Riff war die Schopenhauerische Philosophie; Wagner sass auf einer contraren Weltansicht fest. Was hatte er in Musik gesetzt? Den Optimismus. Wagner schamte sich. Noch dazu einen Optimismus, fur den Schopenhauer ein boses Beiwort geschaffen hatte — den ruchlosen Optimismus. Er schamte sich noch einmal. Er besann sich lange, seine Lage schien verzweifelt… Endlich dammerte ihm ein Ausweg: das Riff, an dem er scheiterte, wie? wenn er es als Ziel, als Hinterabsicht, als eigentlichen Sinn seiner Reise interpretirte? Hier zu scheitern — das war auch ein Ziel. Bene navigavi, cum naufragium feci… Und er ubersetzte den» Ring «in's Schopenhauerische. Alles lauft schief, Alles geht zu Grunde, die neue Welt ist so schlimm, wie die alte: — das Nichts, die indische Circe winkt… Brunnhilde, die nach der altern Absicht sich mit einem Liede zu Ehren der freien Liebe zu verabschieden hatte, die Welt auf eine socialistische Utopie vertrostend, mit der» Alles gut wird«, bekommt jetzt etwas Anderes zu thun. Sie muss erst Schopenhauer studiren; sie muss das vierte Buch der» Welt als Wille und Vorstellung «in Verse bringen. Wagner war erlost… Allen Ernstes, dies war eine Erlosung. Die Wohlthat, die Wagner Schopenhauern verdankt, ist unermesslich. Erst der Philosoph der decadence gab dem Kunstler der decadence sich selbst —

5

Dem Kunstler der decadence — da steht das Wort. Und damit beginnt mein Ernst. Ich bin ferne davon, harmlos zuzuschauen, wenn dieser decadent uns die Gesundheit verdirbt — und die Musik dazu! Ist Wagner uberhaupt ein Mensch? Ist er nicht eher eine Krankheit? Er macht Alles krank, woran er ruhrt, — er hat die Musik krank gemacht —

Ein typischer decadent, der sich nothwendig in seinem verderbten Geschmack fuhlt, der mit ihm einen hoheren Geschmack in Anspruch nimmt, der seine Verderbniss als Gesetz, als Fortschritt, als Erfullung in Geltung zu bringen weiss.

Und man wehrt sich nicht. Seine Verfuhrungskraft steigt in's Ungeheure, es qualmt um ihn von Weihrauch, das Missverstandniss uber ihn heisst sich» Evangelium«— er hat durchaus nicht bloss die Armen des Geistes zu sich uberredet!

Ich habe Lust, ein wenig die Fenster aufzumachen. Luft! Mehr Luft! —

Dass man sich in Deutschland uber Wagner betrugt, befremdet mich nicht. Das Gegentheil wurde mich befremden. Die Deutschen haben sich einen Wagner zurecht gemacht, den sie verehren konnen: sie waren noch nie Psychologen, sie sind damit dankbar, dass sie missverstehn. Aber dass man sich auch in Paris uber Wagner betrugt! wo man beinahe nichts Andres mehr ist als Psycholog. Und in Sankt-Petersburg! wo man Dinge noch errath, die selbst in Paris nicht errathen werden. Wie verwandt muss Wagner der gesammten europaischen decadence sein, dass er von ihr nicht als decadent empfunden wird! Er gehort zu ihr: er ist ihr Protagonist, ihr grosster Name… Man ehrt sich, wenn man ihn in die Wolken hebt. — Denn dass man nicht gegen ihn sich wehrt, das ist selbst schon ein Zeichen von decadence. Der Instinkt ist geschwacht. Was man zu scheuen hatte, das zieht an. Man setzt an die Lippen, was noch schneller in den Abgrund treibt. — Will man ein Beispiel? Aber man hat nur das regime zu beobachten, das sich Anamische oder Gichtische oder Diabetiker selbst verordnen. Definition des Vegetariers: ein Wesen, das eine corroborirende Diat nothig hat. Das Schadliche als schadlich empfinden, sich etwas Schadliches verbieten konnen ist ein Zeichen noch von Jugend, von Lebenskraft. Den Erschopften lockt das Schadliche: den Vegetarier das Gemuse. Die Krankheit selbst kann ein Stimulans des Lebens sein: nur muss man gesund genug fur dies Stimulans sein! — Wagner vermehrt die Erschopfung: deshalb zieht er die Schwachen und Erschopften an. Oh uber das Klapperschlangen-Gluck des alten Meisters, da er gerade immer» die Kindlein «zu sich kommen sah! —

Ich stelle diesen Gesichtspunkt voran: Wagner's Kunst ist krank. Die Probleme, die er auf die Buhne bringt — lauter Hysteriker-Probleme — , das Convulsivische seines Affekts, seine uberreizte Sensibilitat, sein Geschmack, der nach immer scharfern Wurzen verlangte, seine Instabilitat, die er zu Principien verkleidete, nicht am wenigsten die Wahl seiner Helden und Heldinnen, diese als physiologische Typen betrachtet (- eine Kranken-Galerie! — ): Alles zusammen stellt ein Krankheitsbild dar, das keinen Zweifel lasst. Wagner est une nevrose. Nichts ist vielleicht heute besser bekannt, Nichts jedenfalls besser studirt als der Proteus-Charakter der Degenerescenz, der hier sich als Kunst und Kunstler verpuppt. Unsre Aerzte und Physiologen haben in Wagner ihren interessantesten Fall, zum Mindesten einen sehr vollstandigen. Gerade, weil Nichts moderner ist als diese Gesammterkrankung, diese Spatheit und Uberreiztheit der nervosen Maschinerie, ist Wagner der moderne Kunstler par excellence, der Cagliostro der Modernitat. In seiner Kunst ist auf die verfuhrerischeste Art gemischt, was heute alle Welt am nothigsten hat, — die drei grossen Stimulantia der Erschopften, das Brutale, das Kunstliche und das Unschuldige (Idiotische).

Wagner ist ein grosser Verderb fur die Musik. Er hat in ihr das Mittel errathen, mude Nerven zu reizen, — er hat die Musik damit krank gemacht. Seine Erfindungsgabe ist keine kleine in der Kunst, die Erschopftesten wieder aufzustacheln, die Halbtodten in's Leben zu rufen. Er ist der Meister hypnotischer Griffe, er wirft die Starksten noch wie Stiere um. Der Erfolg Wagner's — sein Erfolg bei den Nerven und folglich bei den Frauen — hat die ganze ehrgeizige Musiker-Welt zu Jungern seiner Geheimkunst gemacht. Und nicht nur die ehrgeizige, auch die kluge… Man macht heute nur Geld mit kranker Musik; unsre grossen Theater leben von Wagner.

6

— Ich gestatte mir wieder eine Erheiterung. Ich setze den Fall, dass der Erfolg Wagner's leibhaft wurde, Gestalt annahme, dass er, verkleidet zum menschenfreundlichen Musikgelehrten, sich unter junge Kunstler mischte. Wie meinen Sie wohl, dass er sich da verlautbarte? —

Meine Freunde, wurde er sagen, reden wir funf Worte unter uns. Es ist leichter, schlechte Musik zu machen als gute. Wie? wenn es ausserdem auch noch vortheilhafter ware? wirkungsvoller, uberredender, begeisternder, zuverlassiger? wagnerischer?… Pulchrum est paucorum hominum. Schlimm genug! Wir verstehn Latein, wir verstehn vielleicht auch unsern Vortheil. Das Schone hat seinen Haken: wir wissen das. Wozu also Schonheit? Warum nicht lieber das Grosse, das Erhabne, das Gigantische, Das, was die Massen bewegt? — Und nochmals: es ist leichter, gigantisch zu sein als schon; wir wissen das…

Wir kennen die Massen, wir kennen das Theater. Das Beste, was darin sitzt, deutsche Junglinge, gehornte Siegfriede und andre Wagnerianer, bedarf des Erhabenen, des Tiefen, des Uberwaltigenden. So viel vermogen wir noch. Und das Andre, das auch noch darin sitzt, die Bildungs-Cretins, die kleinen Blasirten, die Ewig-Weiblichen, die Glucklich-Verdauenden, kurz das Volk- bedarf ebenfalls des Erhabenen, des Tiefen, des Uberwaltigenden. Das hat Alles einerlei Logik.»Wer uns umwirft, der ist stark; wer uns erhebt, der ist gottlich; wer uns ahnen macht, der ist tief.«— Entschliessen wir uns, meine Herrn Musiker: wir wollen sie umwerfen, wir wollen sie erheben, wir wollen sie ahnen machen. So viel vermogen wir noch.

Was das Ahnen-machen betrifft: so nimmt hier unser Begriff» Stil «seinen Ausgangspunkt. Vor Allem kein Gedanke! Nichts ist compromittirender als ein Gedanke! Sondern der Zustand vor dem Gedanken, das Gedrang der noch nicht geborenen Gedanken, das Versprechen zukunftiger Gedanken, die Welt, wie sie war, bevor Gott sie schuf, — eine Recrudescenz des Chaos… Das Chaos macht ahnen…

In der Sprache des Meisters geredet: Unendlichkeit, aber ohne Melodie.

Was, zuzweit, das Umwerfen angeht, so gehort dies zum Theil schon in die Physiologie. Studiren wir vor Allem die Instrumente. Einige von ihnen uberreden selbst noch die Eingeweide (- sie offnen die Thore, mit Handel zu reden), andre bezaubern das Ruckenmark. Die Farbe des Klangs entscheidet hier; was erklingt, ist beinahe gleichgultig. Raffiniren wir in diese in Punkte! Wozu uns sonst verschwenden? Seien wir im Klang charakteristisch

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