»Die Bomben… als London bombardiert wurde…« Sie schloss die Augen. »Nie werde ich das vergessen, nie!«

»Naturlich wirst du das vergessen. Nimm dich zusammen, Rosaleen. Es ist vorbei mit den Bombardierungen.«

Er stand auf, nahm Rosaleen bei den Schultern und ruttelte sie sanft.

»Der Arzt hat gesagt, Landluft und Landleben fur geraume Zeit wurden dir gut tun. Deshalb will ich nicht mit dir nach London.«

»Ist das der wirkliche Grund, David? Ich dachte… vielleicht…«

»Was hast du gedacht?«

»Ich dachte, du willst vielleicht ihretwegen hier bleiben.«

»Ihretwegen?«

»Du wei?t schon, wen ich meine. Das Madchen von neulich Abend. Die beim Frauenhilfsdienst war, in Agypten und uberall.«

Davids Gesicht wurde plotzlich abweisend.

»Lynn? Lynn Marchmont?«

»Sie gefallt dir.«

»Lynn Marchmont? Sie ist mit Rowley verlobt. Mit diesem temperamentlosen Daheim-Bleiber Rowley, diesem gutmutigen, langweiligen Ochsen.«

»Ich habe euch beobachtet, wie ihr zusammen gesprochen habt«, spann Rosaleen ihren Faden weiter.

»Ach, hor doch schon auf, Rosaleen!«

»Ihr habt euch seither gesehen, nicht wahr?«

»Ja, ich habe sie gestern oder vorgestern in der Nahe der Farm getroffen, als ich ausritt.«

»Und du wirst sie wieder treffen.«

»Naturlich werde ich sie wieder treffen! Das lasst sich gar nicht vermeiden in diesem Nest. Du kannst keine zwei Schritte tun, ohne uber einen Cloade zu stolpern. Wenn du dir einbildest, ich hatte mich in Lynn Marchmont verliebt, dann bist du auf dem Holzweg. Sie ist eine eingebildete Person mit einem unverschamten Mundwerk. Weit entfernt von meinem Typ.«

»Bist du sicher, David?«

»Jawohl.«

»Ich wei?, du haltst nichts vom Kartenlegen.« Sie lachelte halb entschuldigend. »Aber die Karten lugen nicht. Und da war ein Madchen, das Unruhe ins Haus bringt. Ein Madchen, das ubers Meer kommt. Und au?erdem war ein dunkler Fremder da, der sich in unser Leben drangt und Gefahr mit sich bringt. Und die Todeskarte – «

»Du und deine dunklen Fremden!« David lachte laut auf. »Lass dich nicht mit dunklen Fremden ein, das ist mein gut gemeinter Rat fur dich. Wie kann man nur so aberglaubisch sein.«

Noch lachend schlenderte er aus dem Haus ins Freie, aber kaum hatte er sich ein paar Schritte entfernt, verfinsterte sich sein Gesicht, und die schwarzen Brauen zogen sich zusammen.

Rosaleen sah ihm nach, wie er quer durch den Garten auf ein Tor zuging, durch das man auf einen schmalen offentlichen Weg kam. Dann stieg sie in ihr Zimmer hinauf und stellte sich vor den Schrank. Nie wurde sie mude, ihren neuen Nerzmantel zu betasten und zu streicheln und sich voller Staunen der Freude hinzugeben, ein so herrliches Kleidungsstuck zu besitzen. Sie befand sich noch in ihrem Schlafzimmer, als das Madchen Mrs Marchmont meldete.

Adela sa? steif auf einem der Stuhle im Salon. Ihre Lippen waren fest aufeinander gepresst; ihr Herz schlug doppelt so schnell wie sonst. Seit Tagen kampfte sie mit dem Entschluss, Rosaleen aufzusuchen und um Hilfe anzugehen, aber getreu ihrer Natur zogerte sie jedes Mal von neuem, wenn sie endlich meinte, genugend Mut fur das Unternehmen gefasst zu haben. Was sie zusatzlich aus dem Gleichgewicht gebracht hatte, war, dass Lynns Einstellung sich sonderbarerweise verandert hatte, und Mrs Marchmont nun im ausgesprochenen Gegensatz zum Willen ihrer Tochter handelte, als sie sich zu guter Letzt doch aufraffte, bei Gordon Cloades Witwe Erlosung aus ihrer finanziellen Bedrangnis zu erbitten.

Ein weiterer Brief der Bank hatte Mrs Marchmont veranlasst, zur Ausfuhrung des langst gehegten Plans zu schreiten. Es blieb ihr gar keine andere Wahl. Lynn war schon fruhzeitig aus dem Haus gegangen, und als Mrs Marchmont David Hunter erspahte, wie er den Fu?weg entlangschlenderte, schien der Moment gekommen. Auf keinen Fall wollte sie mit David zu tun haben. Rosaleen allein wurde viel leichter zu einer Anleihe zu bewegen sein. Daruber war sich Adela Marchmont im Klaren.

Trotz allem war sie entsetzlich nervos, wahrend sie in dem sonnenuberfluteten Salon wartete. Doch als Rosaleen eintrat und auf ihrem Gesicht das von Mrs Marchmont stets als »leicht blod«, bezeichnete Lacheln lag, wurde ihr etwas wohler zumute.

Ob sie erst nach dem Schock des Bombardements so geworden ist oder schon immer so war? Mrs Marchmont stellte sich diese Frage nur stumm, wahrend ihre Augen auf der eintretenden Rosaleen ruhten.

»Oh, guten Morgen«, sagte Gordon Cloades Witwe unsicher. »Was gibt es denn?«

»Was fur ein herrlicher Morgen«, eroffnete Mrs Marchmont mit betonter Frische die Unterhaltung. »Meine Fruhtulpen sind alle schon drau?en. Ihre auch?«

Die junge Frau schaute ihren Besuch verlegen an.

»Ich wei? nicht.«

Was fing man nur mit einem Menschen an, der weder uber Hunde noch uber Garten zu reden verstand, diese beiden eisernen Bestandteile jeder Konversation auf dem Lande, dachte Adela unbehaglich.

»David ist leider nicht da…«, begann Rosaleen hilflos. Ihre Stimme erstarb gegen Ende des Satzes, als wusste sie nichts mehr hinzuzufugen, aber auf Adela Marchmont hatten ihre Worte eine alarmierende Wirkung. David konnte jeden Augenblick zuruckkehren. Sie musste die Gelegenheit beim Schopf packen. Sie nahm einen Anlauf und platzte heraus:

»Ich bin hergekommen, um Sie um Hilfe zu bitten.«

»Hilfe? Ich soll helfen? Ihnen?«, stammelte Rosaleen.

»Ja. Sehen Sie, fur uns ist alles sehr, sehr schwer geworden. Gordons Tod hat unser aller Situation von einem Tag zum anderen grundlegend verandert.«

Du blodes Ding! dachte sie. Musst du mich anstarren, als ob du keine Ahnung hattest, wovon ich rede? Du warst doch selbst ein Habenichts…

Hass gegen Rosaleen glomm in ihr auf. Sie hasste die junge Frau, weil sie, Adela Marchmont, hier in Gordons Salon sa? und um Geld winselte. Ich kann es nicht, dachte sie verzweifelt. Ich bringe es einfach nicht fertig!

Im Bruchteil einer Sekunde flogen die vielen Tage und Nachte qualvoller Uberlegungen und bedruckender Sorgen an ihr voruber. Und dann sagte sie, aus Arger daruber, dass sie hier sitzen und um Geld betteln musste, gereizter, als es ihre Absicht war:

»Es handelt sich um Geld.«

»Geld?«, wiederholte Rosaleen.

Ihr Ton war von naivem Staunen erfullt, als sei Geld das Letzte, woruber zu horen sie erwartet hatte.

Adela fuhr fort zu reden, und die Worte ubersturzten sich.

»Ich habe mein Konto auf der Bank uberzogen, und zu Hause liegen unbezahlte Rechnungen – notwendige Reparaturen –, und selbst meinen dringendsten Verpflichtungen bin ich noch nicht nachgekommen. Es hat sich alles so erschreckend verringert, sogar mein Einkommen, meine ich. Die Steuern fressen alles auf. Und Gordon half uns immer. Mit dem Haus, verstehen Sie? Er hat immer alle Reparaturen bezahlt und das Dach ausbessern und die Wande streichen lassen, und was es eben so gab. Au?erdem hat er jedes Vierteljahr der Bank eine gewisse Summe fur mich uberwiesen. Und immer wieder hat er mich beruhigt, mir keine Sorgen zu machen, und darum habe ich das naturlich auch nie getan. Solange er lebte, war das alles recht schon und gut, aber – «

Adela hielt inne. Sie war zutiefst beschamt, und zugleich fuhlte sie sich von einer Zentnerlast befreit. Das Schlimmste war uberstanden. Lehnte Rosaleen ab, so lehnte sie eben ab. Es lie? sich nichts daran andern.

Rosaleen schaute vollig fassungslos drein.

»Ach, du lieber Gott«, stammelte sie hilflos. »Ich hatte ja keine Ahnung… ich werde mit David reden.«

Die Hande um die Stuhllehne gekrampft, stie? Adela verzweifelt hervor: »Konnten Sie mir nicht einen Scheck geben? Jetzt, meine ich, sofort?«

»Doch, naturlich.«

Rosaleen hatte sich von ihrer Verwirrung noch nicht erholt. Sie erhob sich hastig, trat zum Schreibtisch und

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