Ihre Stimme war fast tonlos vor Entsetzen.
»Aber so nette Leute wie die Cloades begehen doch keinen Mord.«
»Ich bin nicht so sicher, dass es nicht gerade die netten Leute wie die Cloades sind, die Morde begehen. Aber solange ich da bin und auf dich aufpasse, werden sie keinen Erfolg haben. Zuerst mussen sie mich aus dem Weg schaffen, wollten sie an dich ran. Falls ich jemals aus dem Weg geraumt werden sollte, Rosaleen, dann gib Acht auf dich, horst du?«
»Sag nicht so furchtbare Dinge, David!«
Er packte ihren Arm.
»Gib Acht auf dich, Rosaleen, wenn ich nicht da sein sollte, um dich zu beschutzen. Das Leben ist keine Spazierfahrt, es ist eine gefahrliche Angelegenheit, und ich habe so das Gefuhl, als sei es fur dich ganz besonders gefahrlich.«
8
»Kannst du mir funfhundert Pfund leihen, Rowley?«
Rowley starrte Lynn fassungslos an. Atemlos vom Laufen, die Lippen trotzig zusammengepresst und mit blassem Gesicht stand sie in der Tur.
Besanftigend und in einem Ton, wie er ihn einem erregten Pferd gegenuber anzuwenden pflegte, sagte Rowley:
»Aber beruhige dich doch, Madchen. Was gibt’s denn? Was ist denn los?«
»Ich brauche funfhundert Pfund.«
»Die konnte ich auch gebrauchen, ehrlich gesagt.«
»Es ist kein Witz, Rowley. Kannst du mir das Geld leihen?«
»Ich bin vollig blank, Lynn. Der neue Traktor – «
Lynn wehrte ungeduldig ab.
»Ja, ja, ich wei?, aber du konntest das Geld doch irgendwo aufnehmen. Du konntest es dir doch sicher beschaffen, wenn es sein musste.«
»Wofur brauchst du es, Lynn? Ist irgendetwas passiert?«
»Ich brauche das Geld fur ihn.«
Eine jahe Bewegung mit dem Kopf deutete in Richtung des Hauses auf dem Hugel.
»Fur Hunter? Ja, aber um Himmels willen – «
»Mama hat sich das Geld von ihm geborgt. Sie steckt in Schwierigkeiten mit irgendwelchen Zahlungen.«
»Sie sah in letzter Zeit schlecht aus. Ich kann mir vorstellen, dass es schwer ist fur sie.« Rowley nickte voller Verstandnis. »Ich wunschte, ich konnte dir helfen, Lynn.«
»Ich ertrage es nicht, dass sie sich von diesem Menschen Geld leiht.«
»Sei vernunftig, Lynn. Schlie?lich ist es Rosaleen, die uber das Geld zu verfugen hat, nicht Hunter. Und was ist schlie?lich dabei?«
»Was dabei ist? Rowley! Wie kannst du nur so fragen!«
»Ich finde beim besten Willen nichts dabei«, beharrte Rowley. »Sie wei?, dass Gordon uns alle stets unterstutzt hat, und es ist nur naturlich, dass sie jetzt einspringt, wenn Not am Mann ist.«
»Rowley, du wirst dir doch nicht etwa auch von ihr geborgt haben?«
»Nein, aber das ist etwas anderes. Ich kann nicht gut zu einer Frau gehen und sie bitten, mir Geld zu geben.«
»Begreifst du denn nicht, dass es grasslich ist fur mich, David Hunter fur etwas dankbar sein zu mussen?«, fragte Lynn eindringlich.
»Du bist ihm in keiner Weise zu Dank verpflichtet. Es ist nicht sein Geld.«
»Doch, es ist sein Geld. Er allein ist ma?gebend. Rosaleen tut nur, was er sagt.«
»Wenn du es so betrachtest – moglich. Aber juristisch gesehen gehort das Geld ihr und nicht ihm.«
»Du willst oder kannst mir also nichts leihen?«
Sie schnitt alle vom Thema abweichenden Erorterungen mit einer schroffen Handbewegung ab.
»Nimm doch an, Lynn, und sei nicht so hartnackig. Wenn du in wirklicher Not warst, ich meine, wenn’s um Erpressung oder druckende Schulden ginge, da konnte ich naturlich ein Stuck Land verkaufen oder Vieh, aber so etwas sollte man nur tun, wenn’s wirklich keinen anderen Ausweg mehr gibt, wenn es ums Letzte geht. Was wei? ich, was die Regierung einem nachstens an neuen Lasten aufburdet? Es ist einfach zu viel fur einen Mann allein, eine solche Farm zu bewirtschaften.«
»Ich wei?«, entgegnete Lynn voller Bitterkeit, »wenn nur Johnnie nicht gefallen ware – «
»Lass gefalligst Johnnie aus dem Spiel«, fuhr Rowley auf.
Er hatte regelrecht geschrien. Entgeistert starrte Lynn ihn fur einen Augenblick an. Dann drehte sie sich um und ging langsam heim.
»Kannst du es ihm nicht zuruckgeben, Mama?«
»Ausgeschlossen, Lynn, ausgeschlossen. Ich ging geradewegs zur Bank damit. Und dann habe ich gleich Arthurs und Bodgham und Knebworth bezahlt. Knebworth hat in letzter Zeit entsetzlich gedrangt. Ach, was war das fur eine Erleichterung, diese druckenden Schulden los zu sein. Seit Nachten habe ich kein Auge mehr zugetan. Rosaleen war sehr nett und verstandnisvoll.«
»Da wirst du wohl jetzt von Zeit zu Zeit zu ihr pilgern.«
»Das wird hoffentlich nicht notig sein. Was in meinen Kraften steht, tue ich; aber bei der heutigen Lage! Alles wird teurer, und dies durfte sich auch kaum bald andern.«
»Wir hatten sie nicht um Geld angehen durfen«, erklarte Lynn hartnackig. »Jetzt hat jeder das gute Recht, uns zu verachten.«
»Wer verachtet uns?«
»David Hunter.«
»Es will mir nicht einleuchten, was das David Hunter angehen soll. Zum Gluck war er heute Morgen nicht daheim, als ich vorsprach. Er hat sie vollkommen in der Gewalt.«
»Den ersten Morgen nach meiner Heimkehr hast du eine so sonderbare Bemerkung gemacht, Mama. ›Wenn er uberhaupt ihr Bruder ist.‹ Was meintest du damit?«
»Ach…« Mrs Marchmont sah leicht irritiert drein. »Man hort so mancherlei reden. Du wei?t doch…«
Lynn begnugte sich damit, ihre Mutter fragend anzusehen. Mrs Marchmont hustelte verlegen und fuhr dann fort:
»In Gesellschaft von Frauen dieser Art, Abenteuerinnen – der gute Gordon hat sich naturlich einfangen lassen? –, ist meist ein junger Mann anzutreffen, der so gut wie dazugehort. Angenommen, Rosaleen kabelte nach Kanada, oder was wei? ich wohin, dem jungen Mann, und dann tauchte der junge Mann plotzlich auf, und Rosaleen gab ihn als ihren Bruder aus. Wie hatte Gordon wissen sollen, ob es wirklich ihr Bruder war oder nicht?«
»Ich glaube es nicht«, erklarte Lynn. »Ich glaube es einfach nicht.«
Mrs Marchmont zog zweifelnd die Augenbrauen hoch. »In diesen Dingen, liebes Kind, wei? man nie…«
9
Eine Woche spater entstieg dem Zug, der um funf Uhr zwanzig nachmittags in Warmsley Heath halt, ein Mann mit einem Rucksack.