Er lachelte Beatrice an, und Beatrice lachelte, zuruck.

»Nichts leichter als das, Mr Rowley, wenn Ihnen daran liegt, es zu wissen.«

Sie holte unter der Theke ein gro?es, in braunes Leder gebundenes Buch hervor, in das die ankommenden Gaste eingeschrieben wurden. Die letzte Eintragung lautete:

Enoch Arden. Kapstadt. Britischer Staatsangehoriger.

10

Es war ein herrlicher Morgen. Die Vogel zwitscherten, die Sonne schien, und Rosaleen, in ihrem teuren, so einfach wirkenden gestreiften Kleid zum Fruhstuck hinunterkommend, war mit sich und der Welt zufrieden.

Die Ahnungen und Angste, die sie in letzter Zeit bedruckt hatten, waren verflogen. David war ebenfalls guter Laune und zu Scherzen aufgelegt. Sein Besuch in London am Vortag war zu seiner Zufriedenheit verlaufen. Das Fruhstuck war ausgezeichnet. Sie waren eben damit fertig, als die Post gebracht wurde.

Sieben oder acht Briefe waren an Rosaleen gerichtet. Rechnungen, Bitten um Unterstutzung verschiedener Wohltatigkeitsorganisationen, nichts von Bedeutung.

David legte ein paar kleine Rechnungen beiseite und offnete einen Umschlag, dessen Adresse in Druckbuchstaben geschrieben war. Auch der inliegende Brief war in der gleichen unpersonlichen Weise abgefasst.

Sehr geehrter Mr Hunter,

da der Inhalt dieses Briefes Ihre Schwester »Mrs Cloade« erschrecken konnte, halte ich es fur richtiger, mein Schreiben an Sie zu richten. Um mich kurz zu fassen: Ich habe Nachrichten von Captain Robert Underhay, was Ihre Schwester sicher freuen wird zu horen. Ich wohne im »Hirschen«. Falls Sie mich dort heute Abend aufsuchen wollen, werde ich Ihnen gern Naheres mitteilen.

Mit vorzuglicher Hochachtung

Enoch Arden

Ein erstickter Laut entfloh David. Rosaleen schaute lachelnd auf, wurde jedoch sogleich ernst, als sie das Gesicht ihres Bruders sah, und fragte beunruhigt:

»Was gibt’s denn, David?«

Er hielt ihr stumm den Brief entgegen.

Rosaleen las das Schreiben.

»Aber David… ich verstehe nicht, was… was hat das zu bedeuten?«

»Du kannst doch lesen, oder hast du’s verlernt?«

»Bedeutet das, dass wir… was sollen wir tun?«

Auf Davids Stirn hatten sich tiefe Querfalten gebildet. Nun nickte er seiner Schwester besanftigend zu.

»Mach dir keine Sorgen. Ich werde die Sache erledigen.«

»Ja, aber bedeutet das, dass wir – «

»Hab nicht gleich Angst, Rosaleen. Ich werde dir sagen, was du tust. Du gehst gleich hinauf, packst ein Kofferchen und fahrst nach London. Bleib in der Wohnung dort, bis du von mir horst. Alles Ubrige uberlass ruhig mir.«

»Ja, aber – «

»Tu, was ich dir gesagt habe, Rosaleen.«

Er lachelte ihr zu und sprach freundlich und mit zuversichtlich klingender Stimme auf sie ein.

»Geh hinauf und pack deine Siebensachen. Ich fahre dich zum Bahnhof. Du kannst den 10-Uhr-32-Zug noch erwischen. Sag dem Portier in London, dass du niemanden zu sehen wunschst. Falls jemand nach dir fragt, per Telefon oder personlich, so lass sagen, du seiest nicht da, du seiest nicht in der Stadt. Druck dem Portier ein Trinkgeld in die Hand, damit er’s nicht vergisst. Er darf niemanden zu dir lassen au?er mir.«

»Oh!« Rosaleens Hande hoben sich in angstlicher Geste.

»Es besteht kein Grund zu Befurchtungen«, versicherte David. »Aber die Situation ist nicht einfach, und du bist ihr nicht gewachsen. Deshalb will ich dich aus dem Weg haben. Ich werde schon damit fertig, hab keine Angst.«

»Kann ich nicht hier bleiben, David?«

»Nein, Rosaleen, sei vernunftig. Ich muss freie Hand haben mit diesem Burschen, wer immer er sein mag.«

»Glaubst du, dass er – «

»Im Augenblick glaube ich uberhaupt nichts«, erwiderte David nachdrucklich. »Wir mussen der Reihe nach vorgehen. Und als Erstes musst du von der Bildflache verschwinden. Dann kann ich herausfinden, wie die Dinge liegen. Sei vernunftig, Rosaleen, und beeil dich.«

Gehorsam verlie? sie den Raum.

David musterte stirnrunzelnd den Brief in seiner Hand. Der Ton war hoflich, der Inhalt nichtssagend. Irgendwelche Schlusse aus den Zeilen zu ziehen, war schwierig. Moglich, dass der Schreiber ehrliche Besorgtheit ausdrucken wollte, moglich aber auch, dass es ihm darum zu tun war, eine versteckte Drohung anzubringen. Was David etwas seltsam erschien an dem Brief, waren die Anfuhrungszeichen vor und nach dem Namen seiner Schwester. Dieses »Mrs Cloade« wirkte beunruhigend.

Er betrachtete die Unterschrift. Enoch Arden. Eine Erinnerung wurde geweckt, blieb aber verschwommen. Irgendwelche Verse hingen damit zusammen.

Als David an diesem Abend die Halle des »Hirschen« betrat, war, wie ublich, niemand da. Eine Tur an der linken Seite trug die Aufschrift »Cafe«, eine Tur an der rechten Seite war bezeichnet mit »Salon«. Eine weiter hinten liegende Tur fuhrte zu Raumlichkeiten, die laut Hinweis »Nur fur Hotelgaste« reserviert waren. Durch einen Korridor, der rechts abzweigte, kam man in die Wirtsstube, aus der gedampftes Stimmengewirr heruberdrang. Auf die durchsichtige Vorderfront eines Glasverschlags war »Buro«, gemalt. Neben dem Schiebefenster stand vorsorglich eine Glocke.

Man mu?te manchmal vier- oder funfmal lauten, bevor sich jemand herablie?, nach den Wunschen des Gastes zu fragen. David wusste das aus Erfahrung. Bis auf die wenigen Stunden, in denen die Mahlzeiten serviert wurden, war die Halle des »Hirschen« meist menschenleer wie Robinson Crusoes Eiland.

Heute hatte David Gluck. Schon beim dritten Lauten tauchte Miss Beatrice Lippincott von der Wirtsstube her auf und betrat, ihren leuchtend blonden Haarschopf zurechtstreichend, die Halle. Mit einem freundlichen Lacheln schlupfte sie in den Glasverschlag: »Guten Abend, Mr Hunter. Kalt drau?en fur diese Jahreszeit, finden Sie nicht?«

»Ja. Ist bei Ihnen ein Mr Arden abgestiegen?«

»Warten Sie, ich will nachschauen«, erwiderte Miss Lippincott und blatterte im Gastebuch, als musse sie sich vergewissern. Es war eine uberflussige kleine Prozedur, auf die sie nie verzichtete, wohl in der irrigen Ansicht, dadurch das Ansehen des »Hirschen« zu steigern.

»Ja, hier haben wir ihn. Nummer 5 im ersten Stock. Sie konnen nicht fehlgehen, Mr Hunter. Die Treppe hinauf und dann nicht zur Galerie, sondern links herum und drei Stufen hinunter.«

Dieser Anweisung folgend, stand David kurz darauf vor Nummer 5. Auf sein Klopfen rief eine Stimme: »Herein.«

David trat ein und schloss die Tur hinter sich.

Beatrice Lippincott verlie? den Glasverschlag und rief: »Lilly!«, woraufhin ein etwas dumm dreinschauendes Madchen mit wassrigen Glotzaugen erschien.

»Konnen Sie mich fur ein Weilchen vertreten, Lilly?«, fragte Miss Lippincott. »Ich muss nach der Bettwasche sehen.«

Lilly kicherte unmotiviert und erwiderte: »Ja, Miss Lippincott.« Und mit einem sehnsuchtigen Seufzer fugte sie hinzu: »Ist der Mr Hunter nicht ein wunderschoner Mann?«

»Ach, ich habe einen Haufen junger Leute von seinem Schlag zu Gesicht bekommen wahrend des Krieges«, tat Miss Lippincott die schwarmerische Bemerkung uberlegen ab. »Junge Piloten vom Flugplatz druben und was

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