so ging das die gesamte Familie Cloade an. Die neue Situation durfte nicht verheimlicht werden, und die in dieser Lage geeignetste Person, eine Entscheidung zu treffen, war ohne Zweifel Onkel Jeremy. Jeremy Cloade in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt wurde gleich wissen, was sich mit der uberraschenden Mitteilung anfangen lie? und welche Schritte zu unternehmen waren.
Obwohl Rowley im ersten Impuls die Dinge lieber selbst in die Hand genommen hatte, hielt er es schlie?lich doch fur gescheiter, einen mit schwierigen Situationen vertrauten Rechtsanwalt uber die Lage urteilen zu lassen. Je eher Jeremy von den Vorfallen unterrichtet wurde, desto besser, und dieser Erkenntnis entsprechend lenkte Rowley seine Schritte direkt zu seines Onkels Haus. Das Dienstmadchen offnete ihm die Tur und teilte ihm mit, die Herrschaften sa?en noch bei Tisch. Sie wollte Rowley ins Speisezimmer fuhren, aber er zog es vor, im Arbeitszimmer seines Onkels zu warten. Ihm lag nichts daran, Frances bei der Unterredung dabei zu haben.
Ungeduldig schritt er im Zimmer auf und ab. Nach einem Weilchen lie? er sich in einen Sessel fallen.
»Was Rowley nur plotzlich von dir will?«, fragte Frances nachdenklich ihren Mann.
»Wahrscheinlich kennt er sich mit den Formularen nicht aus, die er ausfullen muss. Die meisten Farmer verstehen nur die Halfte von dem, was man da von ihnen wissen will«, entgegnete Jeremy Cloade gleichgultig. »Rowley nimmt’s vermutlich sehr genau und will sich Rat holen.«
»Er ist ein netter Bursche«, meinte Frances, »aber entsetzlich schwerfallig. Er tut mir Leid. Ich habe das Gefuhl, als stimme in letzter Zeit nicht mehr alles so ganz zwischen ihm und Lynn.«
»Wieso… Ach so, ja, Lynn… du musst entschuldigen, meine Liebe, es fallt mir entsetzlich schwer, mich auf irgendetwas zu konzentrieren. Ich zermartere mir standig mein Gehirn…«
Jeremy fuhr sich mit der Hand uber die Stirn.
»Mach dir keine Sorgen«, fiel Frances hastig ein.» Es kommt schon alles in Ordnung. Du wirst sehen, ich habe Recht.«
»Du machst mir manchmal Angst, Frances. Du bist so unbekummert. Du bist dir nicht im Klaren uber die Situation – «
»Ich bin mir absolut im Klaren daruber, und ich laufe vor der Erkenntnis nicht davon. Im Gegenteil, im Grunde versetzt es mich in eine Art Spannung, in eine gehobene Stimmung – «
»Das eben macht mir ja Angst, meine Liebe«, gab Jeremy zu bedenken.
Frances lachelte ihrem Mann beruhigend zu.
»Lass unseren armen jungen Farmer nicht zu lange warten. Hilf ihm Formular Nummer elfhundertundneunundneunzig ausfullen oder was er sonst auf dem Herzen hat.«
Doch als sie aus dem Speisezimmer traten, fiel eben die Haustur ins Schloss. Edna kam und richtete aus, dass Mr Rowley beschlossen habe, wieder zu gehen, da es doch nichts Wichtiges sei, was er mit Mr Cloade habe besprechen wollen.
14
An jenem bewussten Dienstagnachmittag machte Lynn Marchmont einen langeren Spaziergang. Eine innere Unruhe trieb sie aus dem Haus. Sie hatte das Gefuhl, einmal grundlich und in aller Ruhe uber Verschiedenes nachdenken zu mussen.
Sie hatte Rowley schon seit ein paar Tagen nicht mehr gesehen. Wohl waren sie sich seit jenem Nachmittag, an dem sie ihn mit der Forderung uberfallen hatte, ihr funfhundert Pfund zu leihen, wieder begegnet, aber es herrschte doch eine gewisse Spannung zwischen ihnen. Lynn war mittlerweile selbst zu der Erkenntnis gekommen, dass ihr Anliegen unvernunftig gewesen war und Rowley im Grunde keinen Vorwurf dafur verdiente, dass er es abgeschlagen hatte. Aber Vernunftgrunde haben selten Aussicht, von Liebenden berucksichtigt zu werden.
Sie hatte sich in den letzten Tagen verlassen gefuhlt und Langeweile empfunden, wagte sich aber nicht einzugestehen, dass dies vielleicht mit David Hunters Abreise zusammenhangen konnte. David war eine anregende Personlichkeit. Das lie? sich nicht bestreiten.
Die Familie ging ihr in diesen Tagen mehr als sonst auf die Nerven. Ihre Mutter war strahlender Laune und hatte erst heute beim Fruhstuck angekundigt, dass sie nach einem zweiten Gartner Umschau halte.
»Der arme alte Tom kann es wirklich nicht mehr allein schaffen.«
»Aber wir konnen es uns nicht leisten!«, hatte Lynn protestiert. Doch war dieser Protest auf unfruchtbaren Boden gefallen.
»Gordon ware entsetzt, wurde er unseren Garten sehen«, war Mrs Marchmonts Antwort gewesen. »Alles war immer so schon in Ordnung, und schau dir einmal an, wie vernachlassigt der Rasen und die Wege und die Beete sind. Nein, Gordon ware von ganzem Herzen einverstanden damit, dass wir den Garten in Ordnung bringen.«
»Auch, wenn wir uns zu diesem Zweck Geld von seiner Witwe borgen mussen?«
»Ich habe dir doch gesagt, dass Rosaleen sehr nett gewesen ist. Sie war sehr verstandnisvoll. Ich denke, sie hat unseren Standpunkt absolut begriffen. Ubrigens habe ich noch einen ganz hubschen Uberschuss auf der Bank, obwohl ich alle Rechnungen bezahlt habe. Ich sage dir, Lynn, ein zweiter Gartner ware keine Verschwendung, sondern eher Sparsamkeit. Stell dir vor, wie viel Gemuse wir anpflanzen konnten.«
»Du kriegst auf dem Markt mehr Gemuse, als du auf den Tisch bringen kannst, fur bedeutend weniger als drei Pfund in der Woche.«
»Ich bin sicher, wir konnten jemand zu einem niedrigeren Gehalt finden. Es werden jetzt so viele Manner demobilisiert, die alle Arbeit suchen.«
»In Warmsley Heath oder Warmsley Vale wirst du kaum solche Arbeitskrafte finden«, wandte Lynn trocken ein.
Obwohl Mrs Marchmont es fur diesmal dabei bewenden lie?, bedruckte Lynn der Gedanke, dass ihre Mutter sich anscheinend darauf eingestellt hatte, Rosaleen als Spenderin regelma?iger Unterstutzungen zu betrachten. Bei solchen Uberlegungen wurden Davids spottische Worte qualvoll lebendig.
Um sich von der schlechten Laune zu befreien, in die das morgendliche Gesprach mit der Mutter sie versetzt hatte, war Lynn zu einem Spaziergang aufgebrochen.
Dass sie ihre Tante Kathie vor der Post traf, trug nicht gerade zur Hebung ihrer gesunkenen Lebensgeister bei. Tante Kathie hingegen befand sich in ihrem Element.
»Ich glaube, meine Liebe, wir werden bald interessante Neuigkeiten horen«, verhie? sie.
»Was willst du damit andeuten?«, erkundigte sich Lynn.
Tante Kathie lachelte, schuttelte viel sagend den Kopf und machte ein uberlegenes Gesicht.
»Ich habe erstaunliche Verbindungen bei unserer letzten Seance gehabt. Wahrhaft erstaunlich. Verbindung mit der Welt der Geister. Alle unsere Sorgen finden ein Ende, Lynn. Einen Dampfer habe ich erhalten, aber das war am Anfang, und dann hie? es immer wieder: ›Gib’s nicht auf! Gib’s nicht auf!‹ Ich will nicht aus der Schule plaudern, Lynn, und ich bin sicher die letzte, die falsche Hoffnungen wecken mochte, aber glaube mir, die Stimmen aus der Geisterwelt trugen nicht, und bald, sehr bald, hat unser aller Elend ein Ende. Hochste Zeit ware es, wei? Gott. Dein Onkel macht mir gro?e Sorgen. Er hat wahrend der vergangenen Jahre viel zu schwer gearbeitet. Es ist zu viel fur ihn; er musste sich zuruckziehen und ganz seinen Studien widmen konnen. Aber ohne ein festes Einkommen kann er sich das naturlich nicht leisten. Manchmal versagten ihm in den letzten Wochen die Nerven. Wirklich, ich mache mir gro?e Sorgen seinetwegen. Er ist zuzeiten so merkwurdig.«
Lynn nickte nachdenklich. Die mit ihrem Onkel vorgegangene Veranderung war auch ihr aufgefallen. Sie hatte ihn im Verdacht, manchmal zu einer aufputschenden Droge Zuflucht zu nehmen, und fragte sich insgeheim, ob er wohl bis zu einem gewissen Grad suchtig geworden war. Das wurde auch den uberreizten Zustand seiner Nerven erklart haben. Ob Tante Kathie etwas vermutete oder gar wusste? Sie war keineswegs so nichtsahnend, wie sie sich manchmal gab.
Auf dem Weg uber die Hauptstra?e sah Lynn von weitem ihren Onkel Jeremy sein Haus betreten. Sie beschleunigte ihren Schritt. Das Verlangen, Warmsley Vale so schnell wie moglich hinter sich zu lassen und die Wiesen und Hugel au?erhalb zu gewinnen, trieb sie voran. Sie hatte sich vorgenommen, wahrend eines ausgiebigen