»Na, die Cloades! Angenommen, ich gehe zu ihnen mit meiner Geschichte? ›Entschuldigen Sie, bitte, wenn ich Sie store, aber es interessiert Sie vielleicht, dass Robert Underhay noch lebt!‹ Mein Lieber, stellen Sie sich den Empfang vor, den man mir bereiten wurde. Mit offenen Armen kame die gesamte Familie mir entgegen.«
»Es wurde Ihnen wenig nutzen. Von denen kriegen Sie keinen roten Heller. Die sind samt und sonders arm wie die Kirchenmause«, entgegnete David grimmig.
»Es gibt doch so etwas wie – die Juristen nennen es so – ein Erfolgshonorar. Man einigt sich darauf, dass soundsoviel in bar zu zahlen ist an dem Tag, an dem klipp und klar bewiesen wird, dass Robert Underhay noch lebt, Mrs Gordon Cloade also dem Gesetz nach Mrs Underhay ist und Gordon Cloades vor der Heirat abgefasstes Testament seine volle Gultigkeit behalten hat.«
Einige Minuten sa? David da, ohne ein Wort zu erwidern. Dann fragte er ohne alle Umschweife:
»Wie viel?«
Die Antwort wurde ihm ebenso unverblumt zuteil:
»Zwanzigtausend.«
»Kommt nicht in Frage. Meine Schwester darf das Kapital nicht antasten. Sie hat nur die Nutznie?ung.«
»Also zehntausend. Sie kann sich das Geld leicht irgendwo verschaffen. Und sie wird doch auch Schmuck haben.«
Wieder verfiel David in minutenlanges Schweigen, bevor er erwiderte:
»Gut. Einverstanden.«
Der andere sah ihn fassungslos an und ein wenig unsicher, als sei ihm der unerwartet in den Scho? gefallene Sieg nicht ganz geheuer.
»Keine Schecks«, erklarte er. »Nur bares Geld.«
»Aber Sie mussen uns Zeit geben, damit wir das Geld irgendwo auftreiben konnen.«
»Ich gebe Ihnen achtundvierzig Stunden.«
»Sagen wir nachsten Dienstag.«
»Einverstanden. Bringen Sie mir das Geld hierher.« Und bevor David noch etwas entgegnen konnte, fugte er hinzu: »Sie an einer einsamen Wegbiegung oder einer abgelegenen Stelle am Fluss zu treffen, fallt mir nicht ein. Sie mussen mir das Geld hierher in den ›Hirschen‹ bringen, und zwar am nachsten Dienstag abends um neun.«
»Gro?es Vertrauen bringen Sie mir nicht entgegen«, sagte David hohnisch.
»Ich habe schon allerhand erlebt, und ich kenne Ihren Typ.«
»Also abgemacht. Nachsten Dienstag.«
David verlie? das Zimmer, das Gesicht von Wut verzerrt.
Beatrice Lippincott trat aus dem Zimmer Nummer 4 auf den Korridor. Zwischen den Zimmern Nummer 4 und Nummer 5 gab es eine Verbindungstur, da jedoch der Kleiderschrank von Nummer 5 davor stand, blieb sie den Bewohnern dieses Zimmers meist verborgen.
Miss Lippincotts Wangen waren rosig uberhaucht, und ihre Augen glanzten vor innerer Erregung.
11
Shepherds Court nannte sich das imposante Appartementhaus in Mayfair, das in luxuriose Wohnungen aufgeteilt war. Auch jetzt noch wurden die Raume mit Bedienung vermietet, obwohl die Bedienung nicht mehr so erstklassig war wie vor dem Krieg. Fruher hatten zwei Portiers den Dienst in der Halle unten versehen; nun musste einer dieser Aufgabe gerecht werden. Im Restaurant konnte man auch jetzt noch alle Mahlzeiten bekommen, doch wurde mit Ausnahme des Fruhstucks nichts mehr aufs Zimmer serviert.
Das von Mrs Gordon Cloade gemietete Appartement befand sich im dritten Stock und umfasste einen Salon mit eingebauter Bar, zwei Schlafzimmer mit eingebauten Schranken und ein hochelegantes Bad, in dem auf Hochglanz polierte Kacheln mit den verchromten Hahnen und Handtuchhaltern um die Wette funkelten.
David Hunter ging im Salon mit gro?en Schritten auf und ab, wahrend Rosaleen angstlich und eingeschuchtert in der Ecke eines Sofas sa? und ihn beobachtete.
»Erpressung!«, murmelte David. »Erpressung, gemeine Erpressung. Himmel, bin ich der Mensch, der sich erpressen lasst?«
Rosaleen schuttelte ratlos den Kopf.
»Wenn ich nur eine Ahnung hatte«, sagte David. »Wenn ich nur eine Ahnung hatte.«
Von Rosaleen kam ein unterdruckter Schluchzer.
»Dies im Dunklen tappen macht mich verruckt.« Unvermittelt drehte er sich zu seiner Schwester um. »Hast du die Smaragde in die Bond Street zu Greatorix gebracht?«
»Ja.«
»Und wie viel?«
»Viertausend. Viertausend Pfund. Er hat gesagt, falls ich sie nicht verkaufe, mussten sie neu versichert werden.«
»Ja, Edelsteine sind im Wert gestiegen. Wenn’s sein muss, konnen wir naturlich das Geld auftreiben. Aber wenn wir zahlen, ist das ja nur der Anfang, Rosaleen. Es bedeutet, dass man uns aussaugen wird, buchstablich aussaugen bis auf den letzten Heller.«
»Konnen wir denn nicht einfach wegfahren, David? Nach Irland oder nach Amerika, irgendwohin?«, weinte Rosaleen.
»Du bist keine Kampfernatur, Rosaleen. Mach dich aus dem Staube, sobald es brenzlig wird, das ist dein Motto.«
»Ach nein, aber das alles ist schrecklich, und wir sind im Unrecht. Von Anfang an. Es war schlecht von uns«, jammerte sie.
»Hor auf mit dem moralischen Getue«, fuhr David sie an. »Wir sa?en schon drin im warmen Nest. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich in einem warmen Nest gesessen, und ich denke nicht dran, mich so mir nichts, dir nichts hinauswerfen zu lassen. Wenn nur diese Ungewissheit nicht ware! Wenn man wusste… Begreifst du denn nicht, dass die ganze Geschichte ein Bluff sein konnte? Ein billiger Bluff, und wir kriechen zitternd und zagend gleich auf den Leim. Wer wei?… Underhay liegt vielleicht, wahrscheinlich sogar, irgendwo in Afrika friedlich begraben, so wie wir’s immer angenommen haben.«
Ein Schaudern uberlief Rosaleen.
»Nicht, David, sag nicht so etwas«, bat sie.
Er blickte ungeduldig zu ihr hinuber, als er jedoch ihre vor Angst geweiteten Augen sah, beherrschte er sich. Er kam zu ihr, setzte sich neben sie und nahm ihre kalten Hande in seine.
»Mach dir keine Sorgen, Rosaleen«, sagte er trostend. »Ich werde schon alles ins Reine bringen. Tu nur, was ich dir sage. Das kannst du doch, nicht wahr?«
»Das tue ich doch immer, David.«
Er lachte.
»Ja, Schwesterchen, das tust du immer. Lass mich nur machen. Wir werden uns schon zu helfen wissen. Mr Enoch Arden wird sich an mir noch die Zahne ausbei?en.«
»Gibt es nicht ein Gedicht, David, das von einem Mann handelt, der zuruckkommt und – «
»Ja«, unterbrach er sie. »Das macht mir ja eben Sorgen. Aber ich werde der Sache schon auf den Grund kommen.«
»Und Dienstagabend bringst du ihm – das Geld?«
Er nickte.
»Ja. Aber nur funftausend. Ich werde ihm erklaren, dass ich unmoglich auf einmal die ganze Summe auftreiben konnte. Auf alle Falle muss ich ihn daran hindern, zu den Cloades zu laufen. Ich glaube, es war eine leere Drohung, aber ich bin nicht sicher.«
Er hielt inne und lehnte sich zuruck. In seine Augen trat ein nachdenklicher Ausdruck. Die Gedanken hinter