damals alles dort so herumschwirrte. Man wusste nie, ob die Schecks auch gut waren, die sie einem gaben. Aber sie hatten eine Art, dass man manchmal wider besseres Wissen handelte. Worauf ich Wert lege, Lilly, ist Klasse. Ein Gentleman ist ein Gentleman und lasst sich auf den ersten Blick erkennen, selbst wenn er einen Traktor fahrt.«
Und mit dieser fur Lilly nicht leicht zu verstehenden Feststellung verschwand Miss Lippincott in den oberen Regionen.
In Zimmer Nummer 5 blieb David bei der Tur stehen und sah zu dem Mann hinuber, der sich Enoch Arden nannte.
In den Vierzigern, taxierte David, weit herumgekommen, aber nicht immer glimpflich behandelt worden – alles in allem sicher kein leicht zu nehmender Mensch.
»Sind Sie Hunter?«, eroffnete Arden das Gesprach. »Nehmen Sie Platz. Was wollen Sie? Einen Whisky?«
Er selbst hatte es sich bequem gemacht, wie David bemerkte. Ein kleiner Vorrat an Flaschen stand bereit; im Kamin brannte Feuer, sehr angenehm an diesem kuhlen Fruhlingsabend. Die Kleidung war nicht von englischem Schnitt, aber salopp, wie Englander sie zu tragen pflegen. Dem Alter nach hatte es stimmen konnen…
»Danke. Einen Whisky nehme ich gern.«
Sie benahmen sich ein wenig wie Hunde, die noch nicht recht wissen, woran sie miteinander sind. Gespannt, jeden Augenblick bereit, sich spielerisch zu balgen oder zuzuschnappen. Doch uber den Glasern loste sich die Spannung etwas. Die erste Runde war beendet.
Der Mann, der sich Enoch Arden nannte, sagte:
»Sie waren wohl uberrascht, als Sie meinen Brief bekamen?«
»Ehrlich gestanden, wei? ich nicht recht, was ich davon halten soll. Ich entnehme Ihren Andeutungen nur, dass Sie den ersten Mann meiner Schwester, Robert Underhay, kannten.«
»Das stimmt. Ich kannte Robert sogar sehr gut.« Arden lachelte und vergnugte sich damit, blaue Rauchringe in die Luft zu blasen.
»So gut, wie man einen Menschen nur kennen kann. Sie sind nie mit ihm zusammengetroffen, Hunter, nicht wahr?«
»Nein.«
»So? Das ist ja gut.«
»Was meinen Sie damit?«, fragte David argwohnisch.
»Es macht alles viel einfacher, mein Lieber, nichts weiter. Entschuldigen Sie, dass ich Sie ersucht habe, hierher zu kommen, aber ich hielt es fur besser« – er schaltete eine kleine Pause ein –, »Rosaleen aus dem Spiel zu lassen. Wozu ihr unnotig Sorgen bereiten?«
»Durfte ich Sie bitten, zur Sache zu kommen?«
»Selbstverstandlich. Haben Sie jemals die Moglichkeit erwogen, es konne mit Robert Underhays Tod eventuell nicht alles mit rechten Dingen zugegangen sein?«
»Was zum Teufel wollen Sie damit sagen?«
»Nun, Underhay war ein sonderbarer Mensch. Er hatte so seine eigenen Vorstellungen. Moglich, dass es Ritterlichkeit war, moglich aber auch, dass ihn andere Motive bewogen haben, doch konnen wir das beiseite lassen und einfach annehmen, Underhay ware es damals, vor einigen Jahren, aus bestimmten Grunden sehr recht gewesen, als tot zu gelten. Er verstand ausgezeichnet, mit den Eingeborenen umzugehen. Sie zu veranlassen, eine Geschichte von angeblichen Ereignissen in Umlauf zu setzen, bereitete ihm sicher keine nennenswerte Schwierigkeit. Mehr brauchte es nicht. Eine Geschichte, mit genugend glaubwurdigen Einzelheiten ausgeschmuckt. Alles, was fur ihn zu tun blieb, war, tausend Meilen vom Schauplatz entfernt unter anderem Namen wieder aufzutauchen.«
»Das erscheint mir eine etwas gewagte Annahme«, wehrte David ab. »Zu phantastisch.«
Arden grinste. Er lehnte sich vor und tatschelte Davids Knie. »Aber angenommen, es ist die Wahrheit. Was dann?«
»Ich wurde unwiderlegbare Beweise verlangen.«
»Ja? Moglich, dass Underhay selbst eines Tages in Warmsley Vale auftaucht. Wurde Ihnen dieser Wahrheitsbeweis gefallen?«
»Jedenfalls ware er eindeutig«, bemerkte David trocken.
»Eindeutig allerdings, aber gleichzeitig doch auch ein bisschen peinlich. Fur Mrs Gordon Cloade, meine ich. Sogar ziemlich peinlich. Das mussen Sie doch wohl zugeben.«
»Meine Schwester ging ihre zweite Ehe im ehrlichen Glauben ein, verwitwet zu sein.«
»Selbstverstandlich. Das bedarf gar keiner Erwahnung. Jeder Richter wurde das anerkennen. Nicht der geringste Vorwurf kann sie treffen.«
»Wieso Richter?«, erkundigte sich David stirnrunzelnd.
Enoch Arden sagte in entschuldigendem Ton:
»Ich dachte an die juristische Seite: Bigamie.«
»Worauf wollen Sie hinaus?«, fragte David ungeduldig.
»Regen Sie sich doch nicht auf, mein Lieber! Lassen Sie uns in Ruhe gemeinsam uberlegen, was am besten zu tun ist. Am besten fur Ihre Schwester, meine ich. Wem liegt schon daran, Staub aufzuwirbeln und den Leuten Gesprachsstoff zu liefern? Underhay war immer ein Kavalier.« Arden machte eine Pause. »Er ist es noch…«
»Er ist es noch?«, wiederholte David.
»Das sagte ich eben.«
»Sie behaupten, Robert Underhay lebt? Wo befindet er sich augenblicklich?«
Arden lehnte sich vor, und sein Ton wurde vertraulich.
»Wollen Sie das wirklich wissen, Hunter? Ware es nicht besser, Sie waren nicht im Bild? Oder sagen wir der Genauigkeit halber: Ware es nicht besser, Sie und Rosaleen konnten erklaren, soweit Sie informiert seien, starb Underhay in Afrika? Na, sehen Sie! Und falls Underhay lebt, wei? er nichts davon, dass seine Frau sich wieder verheiratet hat, denn hatte er eine Ahnung, wurde er sich selbstverstandlich melden… Rosaleen hat von ihrem zweiten Mann ein gro?es Vermogen geerbt. Nun, wie die Dinge stehen, ware Rosaleen doch eigentlich nicht erbberechtigt. Underhay ist ein Mann von ausgepragtem Ehrgefuhl. Es ware ihm entsetzlich zu wissen, dass sie diese Erbschaft unter Vorgabe falscher Tatsachen zugesprochen bekommen hat.« Wieder entstand eine Pause. »Aber Underhay braucht ja, wie gesagt, von dieser zweiten Heirat nichts zu erfahren. Es geht ihm nicht gut, dem armen Kerl. Gar nicht gut.«
»Inwiefern geht es ihm nicht gut?«
»Er ist krank, sehr krank, und braucht dringend arztliche Hilfe und Pflege. Er musste sich einer Kur unterziehen, alles sehr kostspielige Dinge…«
David hakte ein.
»Kostspielig?«
»Ja, leider kostet doch alles Geld. Und Robert Underhay besitzt praktisch nichts au?er dem, was er am Leibe tragt.«
Davids Blick wanderte durch den Raum und blieb auf dem uber einem Stuhlrucken hangenden Rucksack haften. Von einem Koffer war nichts zu sehen.
»Ich hege gewisse Zweifel daran, dass Robert Underhay wirklich so ein vollendeter Kavalier ist, wie Sie es mich glauben machen wollen«, meinte er nach einer Pause.
»Er war es fruher«, versicherte der andere. »Aber die Not hat ihn naturgema? ein wenig harter und zum Zyniker gemacht. Gordon Cloade war ein von Gutern au?ergewohnlich gesegneter Mann. Der Anblick zu gro?en Reichtums erweckt im Armen manchmal die niedrigeren Instinkte.«
»Meine Antwort steht fest.« David Hunter erhob sich. »Scheren Sie sich zum Teufel!«
Ohne seine lassige Haltung zu verandern, erwiderte Arden: »Ich habe diese Antwort von Ihnen erwartet.«
»Sie sind ein regelrechter Erpresser und nichts weiter«, erklarte David. »Und ich hatte die gro?te Lust, die Polizei auf Sie zu hetzen.«
»Mich der Offentlichkeit preisgeben, ja?« Arden grinste. »Doch Ihnen ware es weniger angenehm, wurde ich mich an die Offentlichkeit wenden. Aber beruhigen Sie sich, ich verzichte darauf. Wenn Sie nicht kaufen wollen, wei? ich noch andere Interessenten fur meine Ware.«
»Was soll das hei?en?«