Chad und der Schwarze haben einander die ganze Zeit, seitdem sie im Konvoi waren, immer wieder angestarrt, taxiert, Krafte gemessen, ohne dass es gekracht hatte. Sie haben zwar kein Wort miteinander geredet, aber Chad spurt, dass der Typ ihm nicht viel zutraut. Der Riese wurde ihn in einem Zweikampf leicht besiegen, aber Chad hat keinerlei Bedurfnis, es so weit kommen zu lassen. Eine Kugel Kaliber .38 fragt nicht erst, wie gro? der Widersacher ist. Und genau eine solche Kugel steckt, wie der Zufall es so will, in einem Modell 52 von Smith & Wesson in Chads breitem braunem Ledergurtel.

Jetzt aber erwidert der schwarze Mann seinen Blick, und Chad sieht eine unerwartete Anerkennung, ja, Bestatigung in den Augen des Riesen. Lilly kniet noch immer vor ihm und haut wutentbrannt auf die stahlernen Pfahle ein, aber jetzt macht sich etwas Dunkles, Beunruhigendes in den Augen des Giganten breit. Fur Chad kommt die Erkenntnis schnell, wie Strom in einem sich schlie?enden Stromkreis.

Spater werden die beiden Manner unabhangig voneinander wahrscheinlich sagen, dass sie zu diesem Zeitpunkt – zusammen mit dem Rest der Leute – zwei sehr wichtige Gesichtspunkte unbeachtet gelassen haben: erstens den Larm, den das Aufbauen des Zelts verursacht hat und der die Untoten seit Stunden angelockt haben muss und zweitens, dass der Zeltplatz einen einzigen, aber dafur umso gravierenderen Nachteil besitzt.

Im Nachhinein werden die beiden Manner insgeheim und mit viel Verdruss einsehen, dass die naturliche Barriere des angrenzenden Waldes, der sich bis zum Gipfel des Hugels erstreckt, samtliche Gerausche verschluckt.

Verdammt, eine ganze Blaskapelle hatte uber den Hugel kommen konnen, und niemand hatte es bemerkt!

Fur ein paar Minuten bleibt Lilly Caul in volliger Unwissenheit, kriegt den Angriff uberhaupt nicht mit, obwohl sich die Geschehnisse um sie herum beinahe uberschlagen. Das Gehammer und Gerede macht vereinzelten Schreien von Kindern Platz, aber Lilly haut weiterhin Pfahle in den Boden, glaubt, das Brullen der Kleinen komme vom Spielen – genau bis zu dem Augenblick, als Josh sie im Nacken packt.

»Was …« Lilly dreht sich schlagartig um und starrt den gro?en Mann mit fragenden Augen an.

»Lilly, wir mussen …«

Josh schafft es nicht, den Satz zu Ende zu sprechen, weil eine dunkle Gestalt keine funf Meter vor ihm aus dem Wald kommt. Josh hat keine Zeit mehr, um zu fluchten, keine Zeit mehr, Lilly zu retten, keine Zeit mehr, um etwas anderes zu machen, als sich den Vorschlaghammer in Lillys Handen zu schnappen und sie hinter sich zu schubsen.

Lilly fallt und rollt sich instinktiv auf dem Boden ab. Sie orientiert sich, rappelt sich wieder auf die Beine, und will schon laut aufschreien, kriegt aber vor Schock den Mund nicht auf.

Dem ersten Untoten, der aus dem Wald kommt – ein gro?er, kasiger Zombie in einem verdreckten Krankenhauskittel, dem eine halbe Schulter fehlt, aus der Sehnen wie Wurmer hangen – folgen namlich zwei weitere: eine Frau und ein Mann, die beide klaffende Locher als Munder haben. Uber ihre blutlosen Lippen quillt dunkle Flussigkeit, und ihre schwarzen Pupillen starren glasig vor sich hin.

Die drei stolpern mit ihrem unverkennbaren spasmodischen Gang und schnappenden Kiefern vorwarts. Ihre Lippen losen sich von ihren schwarzen Zahnen wie Piranhas.

In den zwanzig Sekunden, die sie benotigen, um Josh zu umzingeln, geschieht ein rapider und dramatischer Wandel im Zeltlager. Die Manner bewaffnen sich mit allem, das in ihrer Reichweite herumsteht, sei es mit Nageln versehene Keulen, Werkzeuge oder Feuerwaffen wie Pistolen oder Gewehre. Einige Frauen, die mutigeren, schnappen sich Kantholzer, Heu- und Mistgabeln oder rostige Axte. Eltern lesen ihre Kinder auf und verstauen sie in Autos oder Trucks. Kofferraume und Motorhauben werden geschlossen, um den Zombies so wenig Angriffsflache wie moglich zu geben.

Merkwurdigerweise verstummen die wenigen Schreie rasch – hauptsachlich von Kindern und ein paar alten Frauen –, um der unheimlichen Stille eines Drillteams oder einer provisorischen Miliz zu weichen. Innerhalb dieser zwanzig Sekunden verandern sich die Gerausche der allgemeinen Uberraschung rasch zu denen der Verteidigung. Jetzt werden Ekel und Wut benutzt, um den Rausch der kontrollierten Gewalt heraufzubeschworen. Das ist nicht das erste Mal, dass die Menschen hier so etwas durchmachen. Es gibt offensichtlich eine Lernkurve. Einige der bewaffneten Manner breiten sich aus, eilen an die Rander ihres Zeltplatzes, schwingen Vorschlaghammer durch die Luft, laden in aller Ruhe ihre Gewehre, heben die Laufe ihrer Pistolen, egal, ob es sich um ein kostbares Familienerbstuck oder irgendein rostiges altes Schie?eisen handelt. Der erste Schuss kommt aus einer Ruger Kaliber .22 – nicht gerade eine Waffe, die viel Schaden anrichtet, dafur aber umso praziser und leichter zu benutzen ist. Die Kugel zerfetzt den Schadel eines Zombies in circa drei?ig Metern Entfernung.

Der wandelnde Leichnam der Frau schafft es kaum aus dem Wald, ehe er auf dem Boden in einer Lache oliger Gehirnmasse und -flussigkeit zusammensackt, die in dicken Rinnsalen aus ihr herausflie?en. Dieser Kill findet genau siebzehn Sekunden nach den ersten Anzeichen der Attacke statt. Nach bereits zwanzig Sekunden haufen sich die Geschehnisse zusehends.

An der nordlichen Grenze der Lichtung rafft Lilly Caul sich auf die Beine, bewegt sich langsam wie eine Schlafwandlerin, deren Uhrwerk aufgezogen wird. Ihr Instinkt nimmt von ihr Besitz, und beinahe unfreiwillig lasst sie Josh hinter sich, der bereits von drei Leichen umzingelt ist. In den Handen halt er einen Vorschlaghammer, hat aber keine Feuerwaffe. Stattdessen warten drei verwesende Mauler mit schwarzen Zahnen auf ihn, die ihm an die Kehle wollen.

Er dreht sich zum nachsten Zombie, wahrend sich der Rest der Bewohner uber den Zeltplatz verstreut. Josh holt aus und rammt die scharfe Spitze des Hammers in die Schlafe des Typen mit dem Krankenhauskittel. Das Gerausch des brechenden Schadels erinnert an das Krachen einer gro?en Eiswurfelschale. Der Inhalt seines verrottenden Gehirns schie?t aus dem Kopf, tritt mit einem Zischen aus dem unter Druck stehenden Knochen, und der ehemalige Patient sackt in sich zusammen.

Die Spitze bleibt stecken, und der Zombie rei?t den Hammer aus Joshs riesigen Handen.

Gleichzeitig breiten sich weitere Uberlebende uberall auf der Lichtung aus. Am anderen Ende zuckt Chad seine Smith & Wesson und trifft einen spindeldurren alten Untoten mit nur einem halbem Kiefer genau in die Augenhohle. Der tote Greis wirbelt inmitten einer Fontane ranziger Bruhe umher, ehe er zu Boden geht. Hinter der Reihe Autos ragt eine Zeltstange aus dem Maul einer Frau und fixiert sie in einer Eiche. Am ostlichen Ende des Platzes teilt eine Axt einen verfaulenden Schadel, als ob es sich um einen uberreifen Granatapfel handelt. Keine zwanzig Meter entfernt von Josh hallt ein Schuss durch die Luft, der erst etwas Blattwerk pulverisiert, ehe er die gesamte obere Halfte eines verwesenden Anzugtragers in eine blutige Wolke verwandelt.

Lilly Caul scheut das Gemetzel, schleicht sich in Sicherheit, weg von dem umzingelten Josh. Furcht ergreift sie und sticht sie wie Nadeln in die Haut. Ihr stockt der Atem, und sie kann kaum noch denken. Sie sieht den gro?en,schwarzen Mann auf die Knie gehen, verzweifelt nach dem Vorschlaghammer greifend, wahrend die beiden anderen Untoten spinnenartig uber die auf dem Boden gesteckte Zeltplane auf ihn zu stolpern. Ein zweiter Hammer liegt auf dem Gras wenige Zentimeter au?erhalb seiner Reichweite.

Lilly dreht sich um und beginnt zu laufen.

Sie braucht keine Minute, um von der Reihe der au?eren Zelte bis zur Mitte des Lagers zu laufen, wo zwei Dutzend Kampfunwillige oder -unfahige zwischen Kisten und Vorraten unter dem halb aufgebauten Zirkuszelt kauern. Die ersten Motoren springen an, und die Wagen reihen sich jetzt in einer Wolke aus Kohlenmonoxid vor der zusammengedrangten Schar Zombies auf. Bewaffnete Manner auf den Ladeflachen schutzen die Frauen und Kinder, als Lilly hinter einer gro?en Truhe in Deckung geht. Ihre Lungen zittern, sie ringt nach Luft, Gansehaut bedeckt ihren ganzen Korper.

Wahrend der gesamten Attacke kauert sie auf dem Boden, hat die Hande uber die Ohren gestulpt. Sie kann Josh bei der Waldgrenze nicht sehen, der sich jetzt endlich den Stil des Vorschlaghammers geschnappt und im letzten Augenblick aus dem Kadaver gerissen hat, um ihn in Richtung des nachsten Zombies zu schwingen. Sie wei? nicht, dass das stumpfe Ende des Hammerkopfs auf den Unterkiefer des Untoten trifft und aufgrund der unglaublichen Gewalt des Schlages den gesamten verrottenden Kopf pulverisiert. Und Lilly verpasst auch den letzten Teil des Kampfes, wie die Frau beinahe ihre schwarzen Schneidezahne in Joshs Ferse versenkt, ehe sie eine Schaufel im Hinterkopf trifft. Mehrere Manner haben sich gerade noch rechtzeitig zu Josh durchgekampft, um den letzten Zombie zu eliminieren, und Josh rollt beiseite, unversehrt, aber zitternd vor Aufregung wegen des nur um Haaresbreite entgangenen Endes als Untoter.

Der gesamte Angriff – mittlerweile unter Kontrolle – hat weniger als hundertachtzig Sekunden gedauert.

Spater zahlen Chad und seine weiteren Alphatier-Kumpane vierundzwanzig Untote, die sie in das

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