ausgetrocknete Flussbett etwas sudlich vom Zeltplatz zerren. Das ist eine durchaus ertragliche Anzahl Angreifer … zumindest bis jetzt.
»Verdammt, Lilly. Warum schluckst du es nicht einfach runter und entschuldigst dich bei dem Mann?« Die junge Frau namens Megan sitzt auf einer Decke vor dem Zirkuszelt und starrt auf das Fruhstuck, von dem Lilly noch keinen Bissen genommen hat.
Die Sonne steht schon im blassen, kalten, klaren Himmel – ein weiterer Tag in der Zeltstadt –, und Lilly hockt vor einem ramponierten Campingkocher und nippt an ihrem Papierbecher voll Kaffee. Die geronnenen Uberreste gefriergetrockneter Eier liegen in der Bratpfanne, wahrend Lilly versucht, Schuldgefuhle und Scham des vergangenen Tages nach einer schlaflosen Nacht abzuschutteln. Diese Welt lasst
Rund um das gro?e, zerfledderte Zirkuszelt – mittlerweile fertig aufgebaut – wuseln die Uberlebenden. Es kommt einem beinahe so vor, als ob die Attacke des Vortags nie stattgefunden hatte. Man tragt Campingstuhle und -tische durch die breite Offnung, die fruher wahrscheinlich mal als Eingang fur Elefanten oder Feuerwagen fur Clowns gedient haben durfte, in das gro?e Zelt. Die Au?enwande flattern im sich standig drehenden Wind. Die Bewohner sind beschaftigt, weitere Unterschlupfmoglichkeiten im ganzen Camp zu errichten. Vater sammeln Feuerholz, uberprufen Vorrate an Wasser, Munition, Waffen und Konserven, wahrend Mutter auf die Kinder aufpassen und sich um Decken, Mantel und Medizin kummern.
Bei genauerem Hinsehen wurde ein geschulter Beobachter eine nur dunn verschleierte Unruhe in jeder Bewegung erkennen. Nur eines bleibt unklar: Welches stellt die gro?te Bedrohung dar – die Zombies oder der drohende Winter?
»Ich wei? immer noch nicht, was ich sagen soll«, murmelt Lilly endlich und nippt erneut an ihrem lauwarmen Kaffee. Ihre Hande zittern nach wie vor. Seit der Attacke sind achtzehn Stunden vergangen, aber Lilly verspurt unvermindert die Scham, vermeidet jeden Kontakt mit Josh, ist davon uberzeugt, dass er sie nun hasst, weil sie ihn einfach so dem sicheren Tod uberlassen hat. Josh hat schon mehrere Male versucht, ein paar Worte mit ihr zu reden, aber es war ihr einfach zu viel gewesen, und sie hat ihn stets abblitzen lassen, ist ihm ausgewichen und hat ihm erzahlt, dass es ihr nicht gut gehe.
»Was gibt es da schon zu sagen?« Megan sucht in ihrer Jeansjacke nach der Haschpfeife. Dann krumelt sie ein kleines Stuckchen Gras hinein und zundet es mit einem Feuerzeug an, ehe sie tief daran zieht. Die junge Frau in ihren spaten Zwanzigern mit olivfarbener Haut und mit hennagefarbten Locken, die ihr schmales, durchtriebenes Gesicht einrahmen, blast den grunen Rauch aus und hustet. »Schau dir doch nur den Typen an! Der ist riesig!«
»Und was zum Teufel soll das hei?en?«
Megan grinst. »Der sieht so aus, als ob er auf sich selbst aufpassen kann. Nicht mehr, nicht weniger.«
»Das hat doch damit nichts zu tun.«
»Schlafst du mit ihm?«
»Was?« Lilly starrt ihre Freundin entgeistert an. »Was soll das denn?«
»Ist doch eine einfache Frage.«
Lilly schuttelt den Kopf und stohnt laut auf. »Eine Frage, die ich nicht mal einer Antwort wurdige …«
»Nein, oder? Ach, du gutes, kleines, braves Ding. Gut bis zum Letzten.«
»Horst du jetzt endlich damit auf?«
»Aber warum denn nur?« Megans Lacheln verzieht sich zu einem Grinsen. »Warum hast du so ein Exemplar noch nicht bestiegen? Ich meine, worauf wartest du noch? Dieser Korper … Der ist doch reif zum Pflucken …«
»Jetzt hor endlich auf damit!«, fahrt Lilly ihre Freundin wutend an, so dass ihr ein scharfer Schmerz durch den Kopf schie?t. Obwohl sie das Herz auf der Zunge tragt und ihre Stimme zittert, ist Lilly uberrascht von der Lautstarke ihres Ausrufs. »Ich bin nicht wie du … okay? Ich fliege nicht von einem zum anderen. Verdammt, Meg. Ich komme gar nicht mehr hinterher. Mit wem teilst du gerade dein Bett?«
Megan wirft ihrer Freundin einen Blick zu, hustet und ladt ihre Pfeife erneut. »Wei?t du was?«, fragt Megan und reicht Lilly das brennende Gras. »Warum ziehst du nicht mal daran, um ein bisschen runterzukommen, ein bisschen zu chillen?«
»Nein, danke.«
»Aber das ist gute Medizin fur dich. Das lasst den Stock in deinem Arsch verschwinden.«
Lilly reibt sich die Augen und schuttelt den Kopf. »Du bist vielleicht ein Miststuck, Meg.«
Megan zieht erneut und blast dann den Rauch in die Luft. »Lieber ein Miststuck als ein Stuck Schei?e.«
Lilly sagt nichts, schuttelt nur weiter den Kopf. Die traurige Wahrheit ist, dass Lilly sich manchmal gar nicht so sicher ist, ob genau das auf Megan Lafferty zutrifft – ist sie ein Stuck Schei?e? Die beiden kennen sich seit dem letzten Jahr an der Sprayberry Highschool in Marietta. Damals waren sie untrennbar gewesen, hatten alles von Hausaufgaben uber Drogen bis hin zu Freunden geteilt. Aber dann begann Lilly, die Karriereleiter zu erklimmen, verbrachte zwei Jahre des Fegefeuers am Massey College of Business in Atlanta, ehe sie zum Georgia Institute of Technology wechselte, um ihr A.-Studium zu beginnen, das sie nie abgeschlossen hat. Sie hatte es in der Modebranche zu etwas bringen wollen, wollte ein eigenes Geschaft aufmachen, aber fur ihr erstes Interview war sie nicht weiter als bis zur Rezeption von Mychael Knight Fashions gekommen – es ging um ein hoch begehrtes Praktikum –, ehe sie gekniffen hatte. Ihr alter Wegbegleiter – die Furcht – war wieder einmal aufgetaucht, um ihre Plane zu durchkreuzen.
Es war die Furcht gewesen, die sie aus der eindrucksvollen Rezeption hatte fliehen lassen, um nach Hause nach Marietta zuruckzukehren. So konnte sie ihr Luderleben mit Megan weiterfuhren, Gras rauchen, auf Sofas rumgammeln und Wiederholungen von
Aber wahrend der letzten Jahre hat sich etwas in ihrer Beziehung geandert, etwas Fundamentales. Lilly spurte es tief im Inneren, es war wie eine Sprachbarriere. Megan besa? keinerlei Ehrgeiz, keinen Willen, keine Ausrichtung, und es kratzte sie nicht die Bohne. Lilly aber hegte immer noch Traume – hoffnungslose vielleicht, aber trotzdem Traume. Insgeheim wollte sie nach New York oder eine Webseite aufbauen oder zuruck zur Rezeption von Mychael Knight und sagen: »Huch, tut mir leid. Ich musste nur mal kurz eineinhalb Jahre Luft schnappen …«
Lillys Vater – ein pensionierter Mathelehrer und Witwer namens Everett Ray Caul – hatte seine Tochter in all ihren Vorhaben stets unterstutzt. Everett war ein liebenswurdiger, rucksichtsvoller Mann, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, seine einzige Tochter nicht zu streng zu erziehen, nachdem seine Frau Mitte der Neunzigerjahre langsam und qualvoll an Brustkrebs gestorben war. Er wusste, dass sie mehr vom Leben wollte, war sich aber auch bewusst, dass sie Liebe brauchte, eine Familie, ein Zuhause. Und Everett war alles, was sie hatte. Und genau das war es, was die letzten paar Monate fur Lilly zur Holle gemacht hat.
Der erste Ausbruch der Untoten hatte das nordliche Cobb County hart getroffen. Sie stammten aus den Arbeitervierteln, den Industrieparks nordlich von den Waldern von Kennesaw, und die Bei?er unterwanderten die Bevolkerung wie bosartige Krebszellen. Everett entschied sich, Lilly zu nehmen und ihre Siebensachen zu packen, um sich mit dem klapprigen VW aus dem Staub zu machen. Sie waren bis zur US 41 gekommen, ehe die Wracks auf den Stra?en ihr Fortkommen behinderten. Eineinhalb Kilometer sudlich stie?en sie auf einen Stadtbus, der die Gegend nach Uberlebenden abklapperte und hatten es beinahe an Bord geschafft. Bis zu diesem Tag verfolgt Lilly das Bild, wie ihr Vater sie trotz der Scharen sich nahernder Zombies durch die Tur geschubst hat.
Der alte Mann hatte ihr das Leben gerettet. Sobald sie in Sicherheit war, schloss er die Tur hinter ihr und wurde dann von drei wandelnden Leichen zu Boden gerissen. Sein Blut spritzte gegen die geschlossene Tur, noch ehe der Busfahrer Gas geben konnte. Lilly schrie sich den Hals wund, bis ihre Stimmbander nicht mehr konnten. Danach wurde sie ruhig, ganz ruhig, richtiggehend katatonisch, rollte sich auf einer Bank zusammen und starrte den ganzen Weg nach Atlanta auf die mit Blut besudelte Tur.
Es grenzte an ein kleines Wunder, dass Lilly Megan gefunden hatte. Zu diesem Zeitpunkt des Ausbruchs konnte man noch per Handy telefonieren, und sie verabredete sich mit ihrer Freundin am Flughafen von Heartsfield. Die beiden Frauen machten sich per pedes auf, trampten gen Suden, ubernachteten in verlassenen Hausern. Ihr Dasein fristete sie damit zu uberleben. Die Spannung zwischen den beiden wuchs zusehends. Eine jede verarbeitete den erlebten Terror und Verlust auf ihre Weise. Lilly zog sich zuruck, Megan nahm den anderen Weg, rauchte die ganze Zeit Gras, redete unablassig und hangte sich an jeden Uberlebenden, der ihren Weg kreuzte.
Funfzig Kilometer sudwestlich von Heartsfield schlossen sie sich einer Karawane von Uberlebenden an – drei Familien aus Lawrenceville, die in zwei Mini-Vans unterwegs waren. Megan uberzeugte Lilly davon, dass man zu mehreren sichererer sei, und Lilly fugte sich, zumindest fur eine Weile. Wahrend der folgenden Wochen redete sie nicht viel, tauschte sich nicht aus, wahrend sie durch den Obstgurtel Atlantas reisten, aber Megan begann schon bald, sich fur einen der Manner zu interessieren. Er hie? Chad, hatte eine knallharte Art an sich, immer Uberreste