die Hande uber die Augen.

Sie halten sich erneut Richtung Westen, als sie schweigend losmarschieren. Vorsichtig setzen sie einen Fu? vor den anderen – wie Diebe, die sich verstohlen durch die Morgensonne davonschleichen.

Sie gehen den Snapfinger Drive entlang, der parallel zur Interstate verlauft. Die Stra?e windet sich durch Waldstucke, verlassene Wohnviertel und entlang geplunderter Laden. Als sie naher zum Stadtzentrum vordringen und die Bebauung dichter wird, kommen sie an grauenvollen Szenen vorbei, die ein Kind niemals sehen sollte.

Das Fu?ballfeld einer Schule ist mit enthaupteten Leichen ubersat. Ein Leichenschauhaus ist ubersturzt mit Brettern vernagelt worden, und die gedampften Gerausche der Wiederauferstandenen dringen an ihre Ohren, als diese versuchen, aus ihrem Gefangnis auszubrechen. Philip sucht die Gegend mit den Augen in der Hoffnung ab, einen passenden Wagen ausfindig zu machen, aber die meisten Autos entlang Snapfinger Drive liegen ausgebrannt in Graben oder stehen mit kaputten Reifen auf dem Burgersteig. Die Ampeln, von denen manche noch gelb blinken, die meisten aber gar nicht mehr funktionieren, baumeln uber den mit Autos verstopften Kreuzungen.

Der Highway, der circa hundert Meter von ihnen entfernt hinter einer Boschung liegt, wimmelt nur so vor Untoten. Immer wieder verirrt sich ein Zombie in ihre Richtung, sodass Philip seine Truppe bittet, in Deckung zu gehen und keinen Mucks von sich zu geben. Doch trotz des Zeitverlusts, der entsteht, weil sie sich immer wieder hinter Baumen oder Autowracks verstecken, sobald sie eine der unheimlichen Kreaturen bemerken, kommen sie relativ gut voran.

Andere Uberlebende treffen sie keine.

Am spaten Nachmittag andert sich das Wetter. Es wird auf einmal hell und heiter, und die Temperaturen liegen um die funfzehn Grad. Gegen siebzehn Uhr sind alle am Schwitzen. Penny hat sich ihr Sweatshirt um die Taille gebunden. Philip rechnet nach, wie weit sie gekommen sind. Er zieht eine halbe Stunde Pause fur das Mittagessen ab und schatzt, dass sie etwa eineinhalb Kilometer pro Stunde zurucklegen. Seiner Rechnung nach mussten sie demnach bisher zwolf Kilometer durch die vorstadtische Wildnis geschafft haben.

Niemand bemerkt, wie nahe sie ihrem Ziel in Wirklichkeit bereits sind, bis sie an einen Hugel kommen, der sich westlich von Glenwood aus einem Wald erhebt. Oben steht eine Baptistenkirche, die nach einer erloschenen Feuersbrunst noch immer raucht. Der Kirchturm ist eine schwelende Ruine.

Erledigt und hungrig folgen sie der gewundenen Stra?e bis zum Gipfel des Hugels. Als sie den Parkplatz vor der Kirche erreichen, atmen sie erst einmal durch, ehe sie nach Westen blicken – und vor Verbluffung beinahe erstarren.

Die Silhouette der Stadt glanzt in der Abendsonne – und ist hochstens noch funf Kilometer entfernt.

Fur Kinder, die kaum dreihundert Kilometer entfernt von der gro?en Stadt des Neuen Sudens aufwuchsen, haben Philip und Brian Blake erstaunlich wenig Zeit in Atlanta verbracht. Wahrend der zweieinhalb Jahre, die Philip als Fahrer fur Harlo Electric angestellt war, hatte er die eine oder andere Lieferung in Atlanta zu erledigen. Brian hingegen hatte mehr als nur ein paar Konzerte im Civic Center, dem Earl, dem Georgia Dome und dem Fox Theater besucht. Doch keiner von beiden kannte die Stadt uberma?ig gut.

Als sie auf dem Parkplatz stehen, den bei?enden Geruch der Apokalypse in ihren Nasenflugeln, stellt die glitzernde Skyline in der diesigen Ferne eine Art unerreichbare Grandezza dar. Im traumerischen Licht sehen sie die Turme des Kapitols mit der vergoldeten Kuppel, die beiden Glasfassaden der Concourse-Turme, die riesigen Peachtree-Plaza-Turme und die Spitze des Atlanta-Gebaudes. Der Anblick wirkt wie eine Fata Morgana, und sie fuhlen sich eher, als ob sie auf das versunkene Atlantis blicken wurden.

Brian will gerade sagen, wie nahe und wie weit es doch noch bis ins Zentrum sei, als er im Augenwinkel eine schnelle Bewegung wahrnimmt.

»Da!«

Penny ist plotzlich losgesturmt, ihre Stimme klingt aufgeregt.

»PENNY!«

Brian eilt ihr hinterher. Doch sie ist schnell und lauft bereits am westlichen Rand des Parkplatzes entlang.

»HALTE SIE FEST!«, ruft Philip ihm nach und nimmt ebenfalls die Verfolgung auf.

»Schau doch! Schau doch!« Pennys kleine Beine tragen sie in Windeseile in eine kleine Seitenstra?e auf der anderen Seite des Hugels. »Da ist ein Polizist!« Sie zeigt auf einen Mann. »Der wird uns retten!«

»PENNY! STOP!«

Aber das kleine Madchen rennt um eine Schranke herum auf die andere Seite der Stra?e. »Er wird uns retten!«

Brian hat im vollen Sprint ebenfalls den Zaunrand erreicht und sieht einen Polizeiwagen auf der gegenuberliegenden Stra?enseite, der unter einer gro?en Eiche parkt. Penny nahert sich dem blauen Crown Victoria mit dem Wappen der Polizei von Atlanta, dem ublichen roten horizontalen Streifen und dem Blaulicht auf dem Dach. Brian entdeckt eine dunkle Silhouette hinter dem Lenkrad.

»Bleib stehen, Liebling!«

Plotzlich halt Penny inne. Sie keucht vor Anstrengung und starrt auf den Mann im Inneren der Streife.

Mittlerweile haben auch Philip und Nick aufgeholt. Philip rast an seinem Bruder vorbei. Mit voller Geschwindigkeit nahert er sich Penny und rei?t sie in seine Arme, als ob er sie aus einem lodernden Feuer retten musste.

Brian steht vor dem Polizeiwagen und mustert den Fahrer durch die halb heruntergekurbelte Fensterscheibe.

Der Polizist war einmal ein gut beleibter Mann mit langen Koteletten gewesen.

Alle halten den Atem an.

Penny starrt durch das Fenster auf den Toten in Uniform, der verzweifelt am Sicherheitsgurt zerrt. Seiner Dienstmarke, der Uniform und dem Wort TRAFFIC nach zu urteilen, das in Gro?buchstaben auf der Kuhlerhaube steht, handelt es sich um einen Verkehrspolizisten, der an den Stadtrand abkommandiert wurde, um Fahrern abgeschleppter Autos den Weg zum Abschlepphof an der Fayetteville Road zu zeigen.

Jetzt dreht er sich auf seinem Sitz, ein Gefangener seines Sicherheitsgurtes, den er nicht loszuwerden vermag. Sein Mund steht angesichts des frischen Fleisches offen, das drau?en auf ihn zu warten scheint. Seine Miene ist verzerrt, sein Gesicht aufgedunsen. Er hat eine Hautfarbe wie Mehltau, wahrend die Augen wie abgegriffene Munzen aussehen. Er knurrt die vier an, wahrend er mit seinen schwarzen Zahnen wild nach ihnen zu schnappen beginnt.

»Das ist alles ein schlechter Witz! Mann, welch ein erbarmlicher Anblick«, murmelt Philip.

»Ich nehme sie«, bietet Brian an, tritt auf Penny zu und streckt die Arme nach ihr aus.

Brians Geruch steigt dem toten Polizisten in die Nase, sodass er seine schnappende Fratze in dessen Richtung dreht und so sehr am Gurt zerrt, dass dieser zu zerrei?en droht.

Brian schreckt zuruck.

»Er kann dir nichts mehr tun«, belehrt ihn Philip. »Er wei? ja nicht einmal, was er mit dem Sicherheitsgurt anstellen soll.«

»Was soll das?«, erkundigt sich Nick und wirft einen Blick uber Philips Schulter.

»Dumpfbacke.«

Der tote Polizist beginnt zu knurren.

Penny klettert in Brians ausgestreckte Arme. Er tritt einige Schritte zuruck und druckt sie fest an sich. »Los, Philip. Verziehen wir uns.«

»Einen Augenblick mal. Nicht so schnell, wenn ich bitten darf«, entgegnet Philip und zieht seine Ruger aus der Jeans.

»He, Mann«, warnt Nick. »Der Larm zieht doch nur mehr von denen an … Lass uns lieber verschwinden.«

Philip richtet die Waffe auf den Polizisten, der ihn bei dem Anblick noch starker anknurrt. Aber Philip druckt nicht ab. Er lachelt nur und afft das Gerausch eines Schusses nach: »Peng!«

»Philip, nun mach schon«, drangt ihn Brian und wiegt dabei Penny hin und her. »Der versteht doch …«

Da halt Brian inne und starrt auf den untoten Cop.

Der Zombie ist bei dem Anblick des auf ihn gerichteten Laufes nun doch wie versteinert. Brian uberlegt. Ob sein rudimentares Nervensystem, das tief im Inneren seiner toten grauen Zellen schlummern muss, irgendwie ein Signal an einen kaum noch existierenden Muskel geschickt hat? Auf jeden Fall verandert sich sein Gesichtsausdruck. Die monstrose Abscheulichkeit, die das ursprungliche Gesicht ersetzt hat, fallt wie ein Souffle in sich zusammen und

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