Die Polizeistreife rattert uber die Gleise und rast dann in den Rangierbahnhof. Philip kann nicht mehr gegensteuern, und das Auto beginnt zu schlingern. Die Reifen werden auf die Felgen gedruckt, und es fliegen Funken, als das Fahrgestell auf dem Boden aufsetzt.
Brian und Nick halten sich so fest es nur geht, wahrend das Auto ohne Kontrolle durch den Rangierbahnhof schlittert, ehe es in einer dichten Wolke schwarzen Nebels zum Stehen kommt.
»Nehmt eure Sachen! Sofort!« Philip rei?t die Tur auf und zieht Penny nach sich aus dem Wagen. Brian und Nick lockern ihre verkrampften Hande und beobachten, wie sich Philip seine Tasche uber die eine Schulter wirft und seine Tochter auf die andere setzt. »Hier entlang!«, ruft er und weist mit dem Kopf in Richtung einer schmalen Stra?e, die nach Westen fuhrt.
Zusammen rennen sie aus dem Rangierbahnhof hinaus.
Eine Reihe mit Brettern zugenagelter Laden erstreckt sich entlang einer Stra?e mit Kopfsteinpflaster.
Die drei Manner beeilen sich. Sie kommen gut voran, obwohl sie sich unter einer Reihe Markisen entlangschleichen und an mit Graffiti bemalte Turen und schmutzige Fenster drucken. Die Sonne ist bereits am Untergehen und taucht alles in unheimliches Dammerlicht.
Das Gefuhl, von Zombies umzingelt zu sein, ist uberwaltigend, obwohl sie keine einzige Kreatur sehen – nur eine lange Stra?e mit ausgedienten Laden, die einmal dieses Viertel von Atlanta pragten: Pfandleiher, Geldwechsler, Auktionshauser, Autowerkstatten, Kneipen und Ramschladen.
Wahrend sie die kaputte und verlassene Einkaufsstra?e entlangeilen und dabei unter der Last ihres Gepacks stohnen, schweigen sie. Aber den Drang, sich in Sicherheit zu bringen, in einen Laden einzusteigen oder etwas Ahnliches, teilen sie auch ohne Worte. Die Nacht bricht herein, und in weniger als einer Stunde wird es hier so finster wie auf der Schattenseite des Mondes sein. Sie haben keine Landkarte, kein GPS, keinen Kompass und keinerlei Anhaltspunkte au?er der im Nebel versunkenen Skyline von Atlanta.
Brian spurt das Unbehagen in seinem Nacken wie eine kalte Hand. Sie schleichen um eine Ecke.
Brian erspaht die Autowerkstatt als Erster. Aber Philip, der sie Sekundenbruchteile nach ihm sieht, geht bereits darauf zu. »Da, an der Ecke. Siehst du sie?«
Auch Nick versteht jetzt, worum es geht. »Ja … Sieht gut aus.«
Die Werkstatt sieht wirklich gut aus.
Sie eilen auf das Gebaude zu.
Als sie naher kommen, sehen sie, dass das Gelande erst vor kurzem neu gepflastert wurde. Vor der Werkstatt stehen zwei Zapfsaulen. Sie machen einen sauberen Eindruck und sehen so aus, als ob sie noch funktionieren wurden. Daruber hangt ein riesiges Chevron-Schild. Das Gebaude, an dem seitlich gro?e Reifenmengen aufgestapelt sind, weist auf einer Seite Garagentore auf. Die Fassade besteht aus schimmernden Metallpanelen und verstarktem Glas. Es gibt einen ersten Stock, in dem entweder die Buros oder ein Laden untergebracht sind.
Philip fuhrt sie um das Gebaude herum. Der Hinterhof ist sauber aufgeraumt. Hier stehen frisch lackierte Mullcontainer neben einer Mauer aus Gasbetonsteinen. Sie suchen nach einer offenen Tur oder einem Fenster, finden aber nichts, wo sie leicht Zutritt erlangen konnen.
»Und was ist mit dem Haupteingang?«, schlagt Brian flusternd und au?er Atem vor, als sie neben den Mullcontainern stehen. Sie konnen die Kirchengemeinde horen, wie diese die Stra?e entlangschlurft und gemeinsam stohnt und achzt – alle funfzig.
»Ich wette, der ist abgeschlossen«, meint Philip, und sein markantes Gesicht glanzt von der Anstrengung, seine Tochter und die Tasche zu schleppen. Penny saugt nervos an ihrem Daumen.
»Woher willst du das wissen?«
Philip zuckt mit den Achseln. »Probieren konnen wir es ja.«
Sie schleichen sich um das Gebaude herum und achten dabei darauf, stets im Schatten des Uberdachs zu bleiben. Dann setzt Philip Penny ab, legt die Tasche auf den Boden und eilt zur Haupttur. Er druckt die Klinke herunter.
Die Tur ist offen.
Acht
Zusammengekauert warten sie unter der Verkaufstheke neben einem Gestell mit Schokoladenriegeln und Chips im Eingangsbereich der Autowerkstatt.
Philip schlie?t die Tur hinter ihnen ab, ehe er sich zu den anderen begibt und den Untoten auf der Stra?e zuschaut, wie sie an der Werkstatt vorbeiwanken. Offensichtlich haben sie keine Ahnung, wo sich ihr Frischfleisch befindet. Sie suchen zwar die Gegend mit ihren toten Augen ab und gleichen dabei Hunden, die manisch nach etwas suchen, sind aber zu tumb, um sich die Gegend genauer anzusehen.
Aus ihrem Versteck hinter den vergitterten Fenstern kann Brian die toten Priester und die zerlumpte Gemeinde genauer unter die Lupe nehmen. Was ist passiert, dass die gesamte Gemeinde zu Zombies wurde? Fanden sie sich als gottesfurchtige Christen zusammen, nachdem die Plage ausgebrochen war? Suchten sie Beistand und Hilfe? Predigten ihnen die Priester Angst ein und heizten die Stimmung noch auf, indem sie die Offenbarung des Johannes vorlasen? Redeten sich die Priester in Rage und bombardierten die Gemeinde mit Geschichten uber den bevorstehenden Untergang? »Und der funfte Engel blies in seine Trompete, und ich sah einen Stern aus dem Himmel auf die Erde fallen, und er trug den Schlussel fur eine Grube ohne Boden!«
Doch wie verwandelte sich der Erste von ihnen? Handelte es sich um einen in den hintersten Reihen, der einen Schlaganfall erlitt? Oder vielleicht um eine Art rituellen Suizid? Brian stellt sich eine der alten schwarzen Ladys vor – ihr Korper voll Cholesterin, wahrend ihre dicken, behandschuhten Finger im Einklang mit dem Heiligen Geist winken – und wie sie sich plotzlich an die Brust fahrt, als sie die ersten Anzeichen eines Infarkts spurt. Minuten oder auch eine Stunde spater steht die Frau wieder auf, ihr aufgedunsenes Gesicht ein Spiegelbild der neuen Religion, einem einzigartig brutalen Glauben.
»Verdammte Schei?e«, murmelt Philip unter der Verkaufstheke. Dann dreht er sich zerknirscht zu Penny um. »Tut mir leid, wenn ich solche Worte benutze, Schatz.«
Sie sehen sich in der Autowerkstatt um. Die Werkstatt ist makellos sauber und sicher. Die Boden sind gefegt, die Regale geordnet, und es riecht nach neuem Gummi und den fluchtigen Geruchen von Benzin und Losungsmitteln. Hier konnen sie die Nacht verbringen. Die beste Entdeckung machen sie jedoch erst, als sie die Garage genauer unter die Lupe nehmen.
»Wow! Das ist fast ein Panzer«, sagt Brian. Er steht auf dem kalten Betonboden und richtet seine Taschenlampe auf das schwarze Unding, das von einer Plane bedeckt ist.
Die anderen treten zu ihm. Sie stellen sich um das einzige Fahrzeug, das sich in der Garage befindet. Philip rei?t die Plane herunter. Es handelt sich um einen Cadillac Escalade neueren Baujahrs in einem gro?artigen Zustand. Die schwarze Farbe glanzt im gelben Licht der Lampe.
»Der hat wahrscheinlich dem Besitzer der Werkstatt gehort«, vermutet Nick.
»Heute sind anscheinend Weihnachten und Ostern auf einen Tag gefallen«, freut sich Philip und sto?t mit dem Fu? gegen einen der Reifen. Der Luxus-SUV ist gigantisch. Er hat gro?e, speziell geformte Sto?stangen, langliche Autoscheinwerfer und glanzende Chromfelgen. Er sieht wie ein Auto aus, das von einer Geheimorganisation der Regierung benutzt wurde. Die dunklen, getonten Scheiben spiegeln den Strahl von Brians Taschenlampe wider.
»Da sitzt aber niemand drin, oder?«, fragt Brian und richtet die Taschenlampe gezielt auf den Wagen.
Philip zieht seine Waffe heraus, offnet eine Tur und halt den Lauf in den leeren, scheinbar unangetasteten Wagen. Er hat einer Innenausstattung aus Holz, Ledersitze und ein Armaturenbrett, das in einem Passagierflugzeug nicht fehl am Platz gewesen ware.
»Ich wette, dass wir hier irgendwo auch den Schlussel dazu finden«, sagt Philip.
Die Geschichte mit dem Polizisten und der Kirchengemeinde hat Penny noch weiter verstort. Sie verbringt die Nacht zusammengerollt in einigen Decken auf dem Boden der Werkstatt und nuckelt dabei unentwegt an ihrem Daumen.