»Er redet nicht mehr so viel wie fruher mit mir.«

Nick bremst das Karussell langsam ab, bis es steht. Penny schaukelt jetzt mit dem Kopf vor und zuruck. Nick klopft ihr sanft auf die Schulter. »Hor zu. Ich verspreche dir, dass dich dein Daddy mehr als alles andere auf der Welt liebt.«

»Ich wei?.«

»Er hat nur gerade sehr viel um die Ohren. Deshalb ist er so.«

»Glaubst du nicht, dass er sauer auf mich ist?«

»Nie und nimmer. Er hat dich sehr lieb, Penny. Das kannst du mir glauben. Er hat nur … nur viel um die Ohren.«

»Ja … Kann sein.«

»Wir alle haben viel um die Ohren.«

»Ja.«

»Ich bin mir sicher, dass keiner von uns in letzter Zeit viel geredet hat.«

»Onkel Nick?«

»Ja, Su?e?«

»Glaubst du, dass Onkel Brian sauer auf mich ist?«

»Um Gottes willen, nein. Warum in aller Welt sollte Onkel Brian sauer auf dich sein?«

»Vielleicht, weil er mich die ganze Zeit durch die Gegend tragen muss?«

Nick lachelt traurig. Er mustert ihre Miene, ihre sorgenvoll gerunzelte Stirn und streichelt ihr uber die Wange. »Jetzt hor mir mal zu. Du bist das mutigste kleine Madchen, das mir je uber den Weg gelaufen ist. Und das sage ich nicht einfach so. Du bist eine Blake … Und darauf kannst du stolz sein.«

Sie denkt uber seine Worte nach, und ein Lacheln zeichnet sich auf ihrem Gesicht ab. »Wei?t du, was ich tun werde?«

»Nein, Liebes. Verrat es mir.«

»Ich werde die kaputten Puppen wieder heil machen. Du wirst schon sehen. Ich werde sie alle wieder gesund machen.«

Nick lachelt sie an. »Das ist ein prima Plan.«

Er fragte sich schon, ob er das kleine Madchen jemals wieder frohlich erleben wurde.

Einen Augenblick spater sieht Brian Blake aus dem Augenwinkel, wie sich etwas auf der anderen Seite der Raststatte zwischen den Picknicktischen bewegt. In hundert Meter Entfernung, hinter der Raststatte inmitten der zerfallenen Grabsteine mit ihren verblassten Inschriften und kaputten Plastikblumen braut sich etwas zusammen.

Brian starrt auf die drei Gestalten in der Ferne, die jetzt aus dem Schatten der Baume treten. Unsicher stolpern sie auf Brian und die anderen zu – wie trage Bluthunde, die ihre Beute aufgespurt haben. Es ist schwer, es aus dieser Entfernung genau einzuschatzen, aber ihre Kleider machen den Anschein, als ob sie aus Versehen in einen Mahdrescher geworfen worden waren. Ihre Munder stehen in immerwahrender Qual offen.

»Zeit, dass wir uns auf die Socken machen«, meint Philip locker und lauft zum Spielplatz. Sein Gang ist schwer und hat etwas beinahe Mechanisches an sich.

Brian eilt ihm hinterher. Plotzlich drangt sich ihm der Gedanke auf, dass sein Bruder, dessen muskulose Arme an den Seiten herabhangen und auf dessen Schultern die Sorgen der Welt zu lasten scheinen, beinahe selbst ein Zombie sein konnte.

Sie fahren und fahren. Hauptsache weg von Atlanta. Immer wieder kommen sie an kleinen Stadtchen vorbei, die so still in der Landschaft liegen, als ob sie Modellbauten in einem Museum waren. Das blaue Licht der Abenddammerung zieht seinen Schleier uber den bewolkten Himmel, und der Wind schlagt eiskalt gegen ihr Visier, wahrend sie Autowracks und menschenleeren Wohnwagen ausweichen. Sie befinden sich noch immer auf dem Highway 85. Brian uberlegt. Sie mussen bald ein Nachtquartier suchen.

Auf dem Sitz hinter Nick hat Brian mit tranenden Augen und drohnenden Ohren vom Rauschen des Windes und dem Gerausch des Doppelnockenwellenmotors der Harley genugend Zeit, sich die perfekte Bleibe fur den erschopften Reisenden im Land der Toten vorzustellen. Er traumt von einer riesigen Festung mit Garten und Wachturmen. Er wurde seine linke Hand fur ein Steak mit Pommes geben. Oder fur eine Flasche Cola. Selbst ein Stuck des Fleisches, das die Chalmers immer aufgetischt haben …

Etwas spiegelt sich auf der Innenseite seines Visiers wider und rei?t ihn abrupt aus den Gedanken.

Er wirft einen Blick uber die Schulter.

Merkwurdig. Fur einen winzigen Augenblick verspurte er etwas in seinem Nacken – fluchtig wie ein Kuss kalter Lippen. Es passierte genau im selben Moment, in dem er einen dunklen Punkt uber sein Visier huschen sah. Vielleicht bildete er es sich nur ein, aber er glaubt, auch etwas im Seitenspiegel gesehen zu haben – und zwar kurz bevor Nick nach Suden lenkte.

Er wirft erneut einen Blick nach hinten, sieht aber nichts als die leere Stra?e, die sich durch die Landschaft schlangelt und hinter einem Waldchen verschwindet. Er zuckt mit den Achseln und widmet sich erneut seinen Fantasien.

Sie fahren immer tiefer ins Hinterland, bis sie an kaputten Farmhausern und wilden Landstrichen vorbeikommen. Die sanfte Hugellandschaft mit ihren Bohnenfeldern fallt nach links und rechts ab. Das hier ist alte Erde – prahistorisch, mude und uber Generationen hinweg zu Tode bewirtschaftet. Die Uberreste alter Maschinen liegen uberwachsen tief im Morast der Felder.

Die Dammerung weicht langsam der Nacht, und das Grau des Himmels verfarbt sich zu einem tiefen Indigoblau. Neunzehn Uhr. Brian hat die Sache mit der Spiegelung in seinem Visier inzwischen vergessen. Sie mussen sich langsam um eine Unterkunft kummern. Philip schaltet sein Licht ein. Das Motorrad wirft einen silbrigen Strahl auf die langer werdenden Schatten.

Brian will den anderen gerade Bescheid geben, dass sie nicht mehr viel Zeit haben, um etwas zu finden, aber Philip kommt ihm zuvor. Er gibt ein Handzeichen, ehe er nach rechts deutet. Brians Blick folgt der Geste nach Norden, und er sieht, worauf es sein Bruder abgesehen hat.

In der Ferne vor den Hugeln kann man die Silhouette eines Hauses erkennen. Es ist noch so klein, dass es wie aus Papier gemacht aussieht. Wenn ihn Philip nicht darauf aufmerksam gemacht hatte, ware es Brian nicht aufgefallen. Jetzt aber wei? er, warum es Philip darauf abgesehen hat. Es scheint eines dieser alten Hauser aus dem neunzehnten Jahrhundert, vielleicht sogar aus dem achtzehnten Jahrhundert zu sein – wahrscheinlich das ehemalige Herrenhaus einer Plantage.

Erneut bemerkt Brian etwas, das in seinen Augenwinkeln vorbeihuscht. Diesmal hat er auch einen Blick im Seitenspiegel erhascht … Es ist hinter ihnen und schnellt fur den Bruchteil einer Sekunde durch sein Blickfeld.

Dann ist es wieder verschwunden, und Brian dreht sich auf seinem Sitz, um einen Blick uber die Schulter zu werfen.

Sie nehmen die nachste Ausfahrt und schie?en dann einen staubigen Feldweg entlang. Wahrend sie sich dem Haus nahern, das einsam auf einer Hugelkuppe eines Gebirgsauslaufers einen knappen Kilometer vom Highway entfernt steht, fahrt Brian die Kalte so sehr in die Knochen, dass er zittern muss. Auf einmal erfullt ihn eine Vorahnung, obwohl das Haus immer einladender aussieht, je naher sie kommen. Dieser Teil von Georgia ist fur seine Pfirsich-, Feigen- und Pflaumenplantagen beruhmt, und als sie die Auffahrt zum Haus entlangfahren, wird es immer offensichtlicher, dass es sich hier um ein in die Jahre gekommenes Prachtexemplar eines Herrenhauses handelt.

Von Pfirsichbaumen umsaumt, die sich wie die Speichen eines Rads mit dem Haus in der Mitte in die Landschaft hineinziehen, steht das zweistockige Ziegelsteingebaude mit seinen kunstvoll verzierten Dachgauben und Dachfenstern und einem Dach, das bei einer alten, verfallenen italienischen Villa nicht fehl am Platz gewesen ware, majestatisch da. Die Veranda ist ein funfzehn Meter langer Saulenvorbau mit Balustraden und Fenstern, die gerade noch unter dem sprie?enden Efeu und der Bougainvillea hervorlugen. In dem dahinschwindenden Licht erscheint das Gebaude wie ein Geisterschiff, das noch aus den Zeiten vor dem amerikanischen Burgerkrieg stammen konnte.

Der Larm und die Abgase der Harleys wirbeln die staubige Luft auf, als Philip vor das Haus fahrt, wo ein Springbrunnen aus Marmor steht; das Becken ist schon seit langem nicht mehr gesaubert worden. Rechts befinden sich mehrere Au?engebaude, die Stallungen sein konnten. Ein mit Hirsegras uberwachsener Traktor steht in der Nahe, wahrend zur Linken der Villa ein Kutschenhaus in die Hohe ragt, in das locker sechs Autos passen.

Brian registriert diesen Uberfluss alten Geldes allerdings uberhaupt nicht, als sie sich langsam einer Seitentur

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