Gesicht, und Brians Magen verkrampft sich bei dem Anblick. Er kann sich nicht daran erinnern, Philip jemals weinen gesehen zu haben – selbst als Kind nicht. Einmal verprugelte ihr Vater den zwolfjahrigen Philip erbarmungslos mit einer Haselnussrute. Die Striemen auf Rucken und Po lie?en ihn die die ganze Nacht auf dem Bauch schlafen. Aber er vergoss auch damals keine Trane. Er tat es aus reinem Trotz nicht. Doch jetzt, da er in Brians Augen blickt, klingt seine Stimme tonlos, als er seinem Bruder sein Herz offnet. »Ich habe Mist gebaut, Junge.«

Brian nickt, sagt aber nichts. Er wartet. Das Feuer prasselt leise.

Philip schaut auf den Boden. »Ich glaube, ich habe mich in sie verknallt.« Eine Trane tropft von seinem Kinn. Seine Stimme bleibt weiterhin tonlos und leise. »Ich will nicht behaupten, dass es Liebe war, aber was ist schon Liebe? Liebe ist eine Krankheit.« Er schuttelt sich, als ob ihn ein Damon in seinem Inneren qualen wurde. »Ich habe es zerstort, Brian. Aus uns hatte etwas werden konnen, etwas Solides. Du wei?t schon – fur Penny und so. Etwas Gutes.« Er verzieht das Gesicht, als ob er eine Woge der Traurigkeit zuruckhalten musste. Tranen steigen ihm bei jedem Blinzeln in die Augen und rinnen ihm ubers Gesicht. »Ich konnte nicht mehr an mich halten. Sie hat mich gebeten, aber ich konnte nicht. Verstehst du … Die Sache ist so … Es hat sich so verdammt gut angefuhlt.« Jetzt flie?en die Tranen in Stromen. »Selbst als sie mich weggedruckt hat, fuhlte es sich noch immer wahnsinnig gut an.« Stille. »Was ist nur mit mir los?« Stille. »Ich wei?, dass es dafur keine Entschuldigung gibt.« Schweigen. »Ich bin nicht blod … Ich kann nur nicht glauben, dass ich je … Ich hatte nie und nimmer gedacht, dass ich so was in mir habe … Ich habe keine Ahnung gehabt …«

Seine Stimme versagt, und um sie herum gibt es nur noch das Prasseln des Feuers und die Dunkelheit um das Haus. Nach einer halben Ewigkeit hebt Philip endlich den Blick und schaut seinen Bruder an.

In dem tanzenden Licht der Flammen sieht Brian, dass Philip nicht mehr weinen kann. Sein Gesicht ist von echter Verzweiflung gezeichnet. Brian sagt noch immer kein Wort, sondern nickt nur stumm.

Es ist inzwischen Anfang November. Sie warten ab, um zu sehen, was das Wetter macht.

Ein eiskalter Schneeregen fegt eines Morgens uber die Obstplantage. Wenige Tage spater legt sich der Frost uber die Felder und verdirbt die ubrig gebliebenen Fruchte an den Baumen. Obwohl sich der Winter in gro?en Schritten nahert, machen sie keine Anstalten, die Villa zu verlassen. Schlie?lich ist hier ihre beste Chance, die bevorstehende harte Zeit zu uberleben. Sie haben genugend konservierte Lebensmittel, um sich mit etwas Umsicht monatelang uber Wasser zu halten. Holz ist auch da, um warm zu bleiben, und die Obstplantage scheint zumindest in der unmittelbaren Umgebung relativ frei von irgendwelchen Bei?ern zu sein.

Philip macht den Anschein, als ob es ihm jetzt besser gehen wurde, da er seine Schuld offen ausgesprochen hat. Brian behalt das Geheimnis fur sich. Er denkt oft daruber nach, spricht aber nie wieder davon. Die beiden Bruder kommen mittlerweile besser miteinander aus, und selbst Penny scheint sich in dem neuen Leben, das sie langsam, aber sicher entwickeln, einigerma?en wohl zu fuhlen.

Sie findet ein altes Puppenhaus in einem der Zimmer im ersten Stock und richtet sich und ihren kaputten Spielsachen eine Ecke im oberen Flur ein. Als Brian eines Tages die Treppe hochkommt, entdeckt er die kaputten Puppen ordentlich nebeneinander daliegen, ihre fehlenden Gliedma?en neben ihnen aufgereiht. Er betrachtet eine Zeit lang das kleine Leichenschauhaus, ehe Penny ihn anspricht. »Los, Onkel Brian«, sagt sie. »Du kannst der Arzt sein … Du kannst mir helfen, sie wieder heil zu machen.«

»Gute Idee«, erwidert er nickend. »Die kriegen wir schon wieder hin.«

Ein anderes Mal hort Brian fruh am Morgen ein Gerausch aus dem Parterre. Er geht die Treppe hinab zur Kuche und sieht Penny, die auf einem Stuhl steht und von oben bis unten mit Mehl bedeckt ist. Sie hantiert mit Topfen und Pfannen. Etwas, das wie Pfannkuchenteig aussieht, ist in ihr verfilztes Haar geschmiert. Die Kuche gleicht einem Katastrophengebiet. Kurz darauf kommen Philip und Nick herunter, und die drei Manner stehen in der Tur und sehen Penny an. »Nicht bose sein«, verkundet sie und wirft ihnen einen Blick uber die Schulter zu. »Ich mache alles wieder sauber.«

Die Manner schauen sich gegenseitig an. Seit Wochen muss Philip endlich wieder einmal lachen. »Wer soll dir denn bose sein? Wir sind nicht bose, sondern haben Hunger. Wann gibt es Fruhstuck?«

Die Tage vergehen, und sie treffen Vorkehrungen. Von jetzt an machen sie nur noch nachts Feuer, da man so den Rauch vom Highway aus nicht sehen kann. Philip und Nick bauen einen Zaun aus Bindedraht, den sie zwischen holzernen Pfeilern straffziehen. Sie hangen leere Dosen an die Drahte, um sie vor etwaigen Eindringlingen zu warnen – ganz gleich, ob es sich um Bei?er oder normale Menschen handelt. Auf dem Dachboden finden sie zudem eine alte Zwolfkaliber-Buchse mit Doppellauf.

Die Flinte ist mit einem feinen Staubfilm uberzogen und mit Putten verziert. Sie sieht so aus, als ob sie einem das Gesicht zerfetzen wurde, falls man auf die Idee kame, sie zu gebrauchen. Aber es gibt keine Munition. Philip glaubt dennoch, dass sie von Nutzen sein konnte. Schlie?lich sieht sie bedrohlich genug aus.

»Man kann nie wissen«, sagt er und lehnt die Flinte an den Kaminsims, ehe er es sich auf der Couch gemutlich macht und sich mit mehr Sherry betaubt.

Die Tage vergehen mit formloser Regelma?igkeit. Mittlerweile sind sie alle ausgeschlafen, erkunden die Obstplantage und ernten die gerade noch essbaren Fruchte. Sie stellen sogar Kastenfallen in der Hoffnung auf, das eine oder andere Tier zu fangen. Eines Tages finden sie tatsachlich einen abgemagerten Hasen. Nick meldet sich freiwillig, das Tier zuzubereiten, und zaubert dann geschmorten Hasenbraten auf dem Holzofen.

Wahrenddessen laufen ihnen nur wenige Bei?er uber den Weg. Eines Tages ist Nick gerade dabei, eine halb verdorrte Pflaume von einem Baum zu pflucken, als er einen herumwandelnden Untoten in Latzhose im Schatten des benachbarten Hofes sieht. Ruhig klettert er vom Baum runter, schleicht sich an den Bei?er heran und rammt ihm eine Heugabel mit aller Wucht in den Hinterkopf, als ob er einen Ballon kaputt machen wollte. Ein anderes Mal macht sich Philip gerade am Traktor zu schaffen, als er einen verstummelten Leichnam in einem der Wassergraben in der Nahe entdeckt. Mit zerfetzten Beinen, die sie muhsam hinter sich her zieht, scheint sich die Frau kilometerweit bis hierher geschleppt zu haben. Philip nimmt die Sense und trennt ihr kurzerhand den Schadel ab, bevor er die Uberreste mit etwas Treibstoff aus dem Traktor verbrennt.

So einfach geht das.

In der Zwischenzeit scheint sich die Villa genauso an sie zu gewohnen wie sie sich an das altehrwurdige Gebaude. Sie nehmen die Laken von den opulenten Mobeln, und schon wirkt alles wesentlich wohnlicher. Mittlerweile hat jeder sein eigenes Zimmer bezogen, und obwohl sie immer noch von Albtraumen verfolgt werden, gibt es nichts Wohltuenderes, als die Treppe herunterzukommen und in die alte, elegante Kuche zu treten, die von den Strahlen der Novembersonne erhellt wird. Dazu duftet es nach Kaffee, der die ganze Nacht uber auf dem Ofen vor sich hingekochelt hat.

Abgesehen von dem wiederkehrenden Gefuhl, unter Beobachtung zu stehen, ist alles ziemlich perfekt.

Die Ahnung, beobachtet zu werden, bestatigt sich fur Brian schon ziemlich rasch – genauer gesagt in der zweiten Nacht ihres Aufenthalts. Er ist an diesem Abend in sein Zimmer im ersten Stock gezogen – einem schlichten Nahzimmer mit einem Himmelbett und einem Kleiderschrank aus dem achtzehnten Jahrhundert –, als er plotzlich mitten in der Nacht aufschreckt.

Er traumte, als Schiffbruchiger auf einem Flo? mitten in einem Ozean von Blut zu schwimmen, als er plotzlich einen Lichtstrahl sieht. Im Traum glaubte er einen fernen Leuchtturm erspaht zu haben, der ihn zu sich lockt, um ihn vor dem unendlichen Meer aus Blut zu erretten. Doch als er aufwacht, merkt er, dass er ein echtes Licht in der richtigen Welt gesehen haben muss – wenn auch nur fur eine Sekunde. Es war ein rechteckiges Licht, das uber die Decke wanderte. Doch kaum blinzelte er, war es verschwunden.

Er ist unsicher, ob er nicht nur getraumt hat. Aber jede Faser in seinem Korper drangt ihn dazu, aufzustehen und zum Fenster zu gehen. Er folgt seinem Drang und starrt in die tiefe, schwarze Nacht hinaus. Im Nachhinein konnte er schworen, ein Auto gesehen zu haben, das keinen halben Kilometer entfernt ist und am Ende des Feldwegs vor dem Highway umdrehte. Dann ist es wie vom Erdboden verschwunden.

Danach ist es fur Brian so gut wie unmoglich, in jener Nacht noch ein Auge zuzumachen.

Als er Philip und Nick am nachsten Morgen davon erzahlt, tun sie es als nichts weiter als einen Traum ab. Wer zum Teufel sollte schon vom Highway abbiegen, um dann wieder umzudrehen und weiterzufahren?

Doch der Verdacht erhartet sich fur Brian wahrend der nachsten eineinhalb Wochen. Nachts sieht er immer wieder Lichter auf dem Highway oder am anderen Ende der Obstplantage. Manchmal kann er in den fruhen Morgenstunden sogar das Knirschen von Reifen auf Kies horen. Zumindest konnte er darauf schworen, es gehort zu haben. Doch die Tatsache, dass er allein diese Gerausche wahrnimmt und zudem zu den unmoglichsten Zeiten, ist schier unertraglich fur ihn. Er kann sich des Gefuhls nicht erwehren, dass die Villa langsam, aber sicher umzingelt wird. Da die anderen seine Mutma?ungen jedoch weiterhin als Verfolgungswahn abtun, hort er auf, ihnen davon zu erzahlen. Vielleicht bildet er sich ja wirklich alles nur ein.

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