hervor, die er in einer der Seitentaschen verstaut hat. Er schaltet sie ein und schiebt sich durch einen Spalt, um in der Finsternis zu verschwinden.

Penny ist noch immer von den kaputten Puppen und den ausgenommenen Stofftieren fasziniert. Brian behalt sie ununterbrochen im Auge. Er will ihr unbedingt helfen und erreichen, dass alle wieder ein Ziel vor Augen haben. Aber im Augenblick kann er nicht mehr tun, als sich neben dem Madchen hinzuknien und es abzulenken, so gut es geht.

»Willst du vielleicht einen Schokoriegel?«

»Nein.« Ihre Stimme klingt so mechanisch wie die einer Aufziehpuppe.

»Sicher?«

»Ja.«

»Wir haben auch Kuchen – mit Cremefullung«, lockt Brian, um die Stille zu fullen. Aber er kann den Blick nicht von dem Ausdruck in Philips Gesicht und der brutalen Gewalt in seinen Augen abwenden. Seine Welt – ihre Welt – ist am Zusammenbrechen, das ist eindeutig.

»Nein, mir geht es gut«, erwidert Penny. Unter einem Haufen kaputten Spielzeugs erspaht sie einen kleinen Hello-Kitty-Rucksack. Zielstrebig geht sie darauf zu, zieht ihn hervor und mustert ihn. »Stort es jemand, wenn ich mir paar Sachen mitnehme?«

»Was denn, Kleine?«, will Brian wissen und schaut sie an. »Spielzeug?«

Sie nickt.

Brian verspurt einen Stich von Trauer und Scham in der Brust. »Bedien dich ruhig«, murmelt er.

Sie liest zertrampelte Puppen und ramponierte Stofftiere vom Boden auf. Brian kommt es beinahe wie ein Ritual vor, als sie Barbies ohne Gliedma?en und Teddybaren mit aufgetrennten Nahten mustert und dann die gewissenhaft, ausgewahlten Spielzeuge mit einer Vorsicht in ihren Rucksack steckt, als ob sie sich der Verletzungen bewusst ware. Brian seufzt.

Plotzlich ertont Philips Stimme aus dem dunklen Korridor im hinteren Teil des Ladens. Brian springt auf und ruft: »Was ist los?«

Hinter der Kasse spitzt Nick die Ohren. »Ich hab keine Ahnung. Hab’s auch nicht verstanden.«

»Philip?« Brian eilt zu dem schwarzen Vorhang. Vor nervoser Anspannung lauft es ihm kalt den Rucken hinunter.

»Ist bei dir alles klar?«

Schritte sind hinter dem Vorhang zu horen. Dann zieht eine Hand den Stoff zuruck, und Pilips Gesicht zeigt sich – verzerrt vor Aufregung. »Schnappt euch eure Sachen! Wir haben gerade einen Sechser im Lotto!«

Philip fuhrt die Gruppe durch den dunklen Flur, vorbei an Regalen voller Spielzeug und Brettspiele. Sie treten durch eine Sicherheitstur, die bei der Flucht des Ladeninhabers wahrscheinlich offen gelassen wurde. Es folgt ein weiterer schmaler Korridor, der von Philips Taschenlampe durftig beleuchtet wird, bis sie zu einem Notausgang kommen. Die Metalltur steht einen Spalt breit offen. Sie konnen einige Schatten im Flur auf der anderen Seite ausmachen.

»Schaut euch an, was sich hinter diesem Laden befindet.« Philip tritt gegen die Tur. »Unser Fahrschein aus dieser verdammten Holle.«

Die Tur schwingt auf, und Brian sieht nichts weiter als einen weiteren Flur, der genauso aussieht wie der, den sie gerade durchlaufen haben.

Am anderen Ende befindet sich eine weitere Metalltur, die ebenfalls offensteht. Brian lugt hindurch und erkennt in der Dunkelheit eine Reihe glanzender Speichen. »Wahnsinn«, stammelt er. »Sehe ich da richtig?«

Der Raum ist riesig – er umfasst das gesamte Erdgeschoss des angrenzenden Gebaudes – und auf drei Seiten mit Sicherheitsglas ausgestattet. Durch die Fenster kann man die Stra?enecke sehen, an der schemenhafte Gestalten ziellos durch die Gegend stolpern. Aber hier, in der blitzsauberen Welt des Champion Cycle Centers, Atlantas erster Adresse fur alles, was Motorrader angeht, ist es warm, aufgeraumt und auf Hochglanz poliert.

Der Ausstellungsraum scheint von der Plage unberuhrt geblieben zu sein. Das schwache Tageslicht, das durch die riesigen Scheiben dringt, beleuchtet vier lange Reihen unterschiedlicher Motorrader, die sich durch die gesamte Lange der Halle erstrecken. Es riecht nach Gummi, geoltem Leder und fein geschliffenem Stahl. An den Seiten ist die Halle mit Teppichboden ausgelegt, auf dem das Logo des Champion Cycle Centers zu sehen ist – wie in einem Funfsternehotel. Stromlose Leuchtreklamen hangen an mehreren Stellen von der Decke und preisen die verschiedenen Hersteller an: Kawasaki, Ducati, Yamaha, Honda, Triumph, Harley-Davidson und Suzuki.

»Glaubst du, dass in irgendeinem dieser Bikes Benzin ist?«, fragt Brian und dreht sich staunend um die eigene Achse.

»Unglaublich, was, Junge?« Philip weist mit dem Kopf uber die Motorrader, die Verkaufstheke und Tische hinweg zu Regalen, die von oben bis unten mit Ersatzteilen voll sind. »Dahinten gibt es eine Werkstatt und eine Garage … Da finden wir schon, was wir brauchen.«

Penny starrt emotionslos auf die Auswahl von fahrbaren Untersatzen. Auf dem Rucken tragt sie ihren neuen Hello-Kitty-Rucksack.

Brians Kopf dreht sich. Unterschiedlichste Gefuhle wallen in ihm auf: Aufregung, Angst, Hoffnung und Panik. »Da gabe es nur ein Problem …«, beginnt er leise. Die erneute Verunsicherung lastet schwer auf ihm.

Philip blickt seinen Bruder an. »Was soll denn jetzt schon wieder ein Problem sein?«

Brian fahrt sich uber den Mund. »Ich habe keine Ahnung, wie man so ein Ding fahrt.«

Die anderen lachen laut auf. Es war an der Zeit, etwas Dampf abzulassen, und die allgemeine Nervositat schwingt horbar mit. Aber sie lachen. Wenn auch nur uber Brian. Philip versichert seinem Bruder, dass es nicht das Geringste ausmache, ob er jemals auf einem Motorrad gesessen habe oder nicht. Denn selbst ein Idiot konne so etwas innerhalb von zwei Minuten lernen. Sowohl Philip als auch Nick hatten zudem jahrelang eines besessen, weshalb Brian und Penny problemlos bei den beiden mitfahren konnen. Sie mussen sich nur entscheiden, wer bei wem hintendraufsitzt.

»Je schneller wir aus Atlanta rauskommen, desto bessere Chancen haben wir«, verkundet Philip kurz darauf, wahrend er sich durch die Hosen, Jacken und Kombianzuge aus Leder und sonstiges Zubehor in der Nahe der Verkaufstheke wuhlt. Er zieht eine braune Harley-Jacke und schwere schwarze Motorradstiefel hervor. »Ich schlage vor, dass jeder aus seinen nassen Klamotten steigt und in funf Minuten fertig zur Abfahrt ist. Brian, du hilfst Penny.«

Sie wechseln die Kleidung. Der Regen drau?en lasst immer mehr nach.

»Siehst du, wie sich die Bei?er da drau?en sammeln?«, flustert Nick Philip zu. Nick tragt bereits trockene Klamotten und schlie?t den Rei?verschluss seiner schwarzen Lederjacke. Er nickt in Richtung der Schaufensterfront. »Ein paar von denen sind schon ganz schon weit fortgeschritten.«

»Und?«

»Na ja, manche sind vielleicht schon drei oder vier Wochen alt.«

»Wenn nicht mehr.« Philip lasst sich das durch den Kopf gehen, wahrend er seine nasse Jeans auszieht. Die Unterwasche klebt an seinem Korper, und er hat fast Schwierigkeiten, sich herauszupellen. Er wendet sich von Penny ab, damit sie ihn nicht nackt sieht. »Das Ganze fing vor mehr als einem Monat oder so an … Was willst du damit sagen?«

»Sie verwesen.«

»Was?«

Nick senkt die Stimme weiter, damit ihn Penny nicht horen kann. Sie ist gerade dabei, einen etwas zu kleinen Wintermantel anzuziehen. Brian hilft ihr dabei und versucht, ihn zuzumachen. »Denk mal nach, Philly. Die Natur hat es so eingerichtet, dass ein toter Korper innerhalb eines Jahres zu Staub wird.« Er spricht jetzt noch leiser. »Insbesondere einer, der den Elementen ausgesetzt ist.«

»Was willst du damit sagen, Nick? Dass wir nur Tee trinken und abwarten mussen? Dass wir die Arbeit den Maden uberlassen sollen?«

Nick zuckt mit den Achseln. »Na ja. Ich habe laut nachgedacht …«

»Nun pass mal auf, mein Freund«, sagt Philip. »Hor mir mit deinen verdammten Thesen auf.«

»Ich wollte doch nur …«

»Die verschwinden nicht einfach so, Nicky. Schreib dir das hinter die Ohren. Ich will nicht, dass meine Tochter deine Thesen hort. Die ernahren sich von Lebenden, und sie vermehren sich, und wenn sie verrotten, wird es neue Bei?er geben, die an ihre Stelle treten. Wenn wir etwas von der Sache mit dem alten Mann Chalmers gelernt haben, dann braucht man nicht erst gebissen zu werden, um so zu enden. Das hei?t, dass das Ende der

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