wie kaum einen anderen

Deutschen, des Dichters, der die Heimat verlassen mu?te, weil er die Diktatur der Reaktionare und Soldatenstiefel nicht mehr ertrug, hatte sein Freund Fehlin Angst vor dem Wort?

Otto Heinrich lachte, legte den Arm um Fehlins Schulter, deutete mit erhobenem Zeigefinger hoch zum Mond und zitierte weiter, so laut, so volltonend, so dramatisch er das nur vermochte.

«Girre nicht mehr wie ein Werther, welcher nur fur Lotten gluht, was die Glocke hat geschlagen, sollst du deinem Volke sagen, redet, Dolche, redet, Schwerter…«

Und Fehlin, der gute, der treue Fehlin hielt ihm den Mund zu.

«Nun schrei nicht so, Herrgott noch mal.«

«Angst, Fehlin? Selbst hier? Allein am Uferweg?«

«Allein?«knurrte Fehlin.»In dieser gottverfluchten Stadt ist man niemals allein. «Vorsichtig blickte er uber die Schulter zuruck. Da waren nur Schatten.»Das ist es ja nicht. Ich leide, weil du so schauerlich falsch deklamierst. Deine Stimme verwundet mein asthetisches Empfinden. Du magst hundertmal selbst Gedichte schreiben, aber die der anderen brauchst du deshalb noch lange nicht zu verstummeln.«

«Girre nicht mehr wie ein Werther!«rief Otto Heinrich erneut.»Das gilt Goethe! — Heine hat es in Paris geschrieben, Hans. Im Paris der Juli-Revolution. Ach, wenn ich dort sein konnte! Aber ich seh' ja alles vor mir. Ich brauch' nicht dort zu sein. Ich sehe Alexandre Dumas, Stendhal, und beide tragen die Tricolore in der Hand, beide singen beim Sturm auf den Louvre. Und sie singen die Marseillaise. Und sie siegen, Hans. Denk doch, die Marseillaise! Atmet nicht jede ihrer Zeilen Heines Geist?«

«Kann ja sein. Aber wenn du nicht aufpa?t, fallst du noch hin. Du stolperst ja schon die ganze Zeit. Und uberhaupt.«

Fehlin blieb stehen und drehte witternd den breiten Schadel. Hat-te da nicht was geknackt? Dort hinten.

«Ach, verdammt noch mal. «Fehlin dampfte die Stimme und zog den Freund weiter.»Nun komm doch endlich mal in die Wirklichkeit zuruck. Auch wenn's hier nicht so toll ist wie in Paris. Ist ja alles schon und gut, aber wei?t du — du mit deinem ewigen Uberschwang, du gehst mir manchmal auf die Nerven.«

«Uberschwang? Uberschwang, das bedeutet Gefuhl, Hans. Und Gefuhle sind nicht zu ketten. Jedes Gefuhl, das echt sein will, anerkennt keine Grenzen.«

«Na, vielleicht. Aber deine Gefuhle brodeln wie in einem deiner Apotheker-Kolben, wenn sie zu lange uber dem Feuer hangen.«

Otto Heinrich lachte. Dann ging er weiter und wurde nachdenklich. War es so, wie Fehlin sagte? Schimmerte nicht ein Funken Wahrheit hinter seinem Spa?? Bestand er tatsachlich nur aus Emotionen? Was war es, das ihn Heines Freiheits-Verse in die Nacht schreien lie?? Sein eigenes Bedurfnis nach Freiheit? Wie sollte er es nicht mitfuhlen, was in diesem gro?en Dichter vorging? Heine hatte man die Heimat entzogen. Und Goethe? Der erlauchte, der gro?te, der gottliche Goethe ging nach Karlsbad zur Kur und erholte sich bei seiner jungen Geliebten Ulrike, wahrend um ihn die Welt zu Bruch ging.

Und all dies sollte kein Gefuhl erregen?

«Sie haben langst angefangen«, sagte Fehlin.

Schon von weitem, ehe sie die Pappeln erreichten, die den flachen Ziegelbau des Ausflugslokals verbargen, waren Stimmen zu horen. Mannerstimmen. Singen. >Gaudeamus igitur< Das Lied der Burschenschaft.

Die Kameraden. Na also.

Fehlin lachte. Fehlin rannte. Rannte ihm sogar voran. Und so stie?en sie endlich, lachend und au?er Atem, die Ture des Schankraums auf.

Da waren sie! Alle. - Da waren die geroteten Gesichter, lagen die Studenten-Mutzen: Alemannen, die von >Germania<, das schwarzrot-goldene Band um die Brust gespannt. Da blitzten die endlosen

Reihen der Glaser durch den grauen Tabaksqualm, rannten die beiden Schankmadchen mit geroteten Gesichtern zwischen Bankreihen hin und her. Und da war auch Sartorius, der ihnen lachend, einen Bierhumpen in der Hand, entgegenkam:»Los, Bruder! Trinkt!«

Und Otto Heinrich trank, trank mit zuruckgebogener Kehle, als habe er nie etwas Kostlicheres uber die Zunge rinnen gefuhlt wie diesen prickelnden, braunen, schaumenden Gerstensaft.

Die anderen johlten.

Er wu?te nicht, woher er den Mut nahm. Hei? war seine Stirn, sein Herz pochte, das Feuer gluhte, in ihm sang es, und in einem Fieber, das starker war als alles, was er je gespurt hatte, sprang er auf den Tisch, ri? beide Arme hoch, sah sie an, horte Sartorius':»Silentium! Unseren Dichter hat wieder mal die Muse geku?t.«

«Nicht mich!«rief Kummer.»Einen Helden! Einen der gro?en deutschen Geister, die Tyrannei und Willkur au?er Landes jagten — Heine!«

Er griff in die Tasche. Er brauchte die Abschrift nicht zu lesen. Jedes Wort, jedes einzelne hatte sich ihm eingegraben. Aber er schwenkte sie wie eine Siegesstandarte:»Hier, sein letztes Gedicht! Alles, was uns, die wir mit dem Worte streiten, bewegt — hier ist es ausgedruckt.

Deutscher Sanger! Sing und preise, deutsche Freiheit, da? dein Lied unserer Seelen sich bemeistere und zu Taten uns begeistere.

Girre nicht mehr wie ein Werther, welcher nur fur Lotten gluht, was die Glocke hat geschlagen, sollst du deinem Volke sagen, redet, Dolche, redet, Schwerter!

Sei nicht mehr die weiche Flote, das idyllische Gemut,

sei des Vaterlands Posaune, sei Kanone, sei Kartaune, blase, schmettere, donnere, tote…«

Ihre Blicke galten nur ihm. Und dann das jahe Schweigen, das sie alle ergriff.Und die Arme, die hochflogen, die Hande, die zu Fausten sich ballten.

Und der Chor, der wie ein Echo sein Herz ausfullte:

«. sei Kanone, sei Kartaune, blase, schmettere, donnere, tote!«

Kurz nach elf war es, als Kummer sich zusammen mit Hans Fehlin wieder auf den Weg nach Hause machte: Ein schwieriger Weg. Zwar hielt die Begeisterung, die die Versammlung des Bundes getragen hatte, noch an, ja, noch zitterte der Zorn in ihm, der sie gegen die Reaktion, gegen Presse-Zensur und Fursten-Willkur vereinigte, aber der Treibstoff der Gefuhle, das viele Bier machte sich unliebsam bemerksam. In Kummers Knien. Im unsicheren Gang. Die Humpen, die sie tranken, waren das Siegel der Bruderschaft gewesen. Nun aber.

«Weiter links. - Hier rennst du doch gegen eine Mauer. «Fehlin stutzte den Freund. Doch Otto Heinrich stolperte, und hatte Fehlin ihn nicht gehalten, ware er gesturzt.

«Bin das nicht gewohnt, Hans.«

«Ja, richtig. Und deshalb mu?test du beweisen, da? du der gro?te Zecher bist.«

«Ich bin nichts als ein Idiot, Hans.«

«Du bist ein lieber Kerl. Und ein romantischer Schwarmgeist. -Aber beim Bier wurde ich zu mehr Vorsicht raten.«

«Beim Bier?«

Der Mond hatte sich hinter dunkle Wolken verzogen. Das Wasser unten am Ufer rauschte leise und unbeteiligt an ihnen voruber. Der Weg war nichts als ein graues Band, die Pappeln und Erlen dro-hende Schatten.

«Wenn ich dich nicht hatte. «Dankbar umfa?te Otto Heinrich die Hand des Freundes. Hans Fehlin zog ihn weiter.

Als sie endlich die Residenz-Brucke erreicht hatten, war es Otto Heinrich ein wenig besser. Ihre Absatze klangen auf dem harten Stein. Wo waren nur all die Visionen, die Traume von einer besseren, nein, einer neuen Welt? Vielleicht war es stets das gleiche. Vielleicht folgte auf jeden Uberschwang die Ernuchterung, vielleicht folgte dem Traum von der gro?en Reform, nein, der Revolution stets der Absturz in die bittere Realitat.

Hinter ihnen klirrten Hufe, rumpelten Rader.

Ein schwarzer, gro?er Wagen rollte voruber. Die Manner, die das Gefahrt begleiteten, trugen lange Stangen. Eine Wolke stechenden Gestanks hullte nun alle ein, die einsamen Spazierganger wie die Arbeiter, die die Latrinen der Stadt leerten.

Der Eimerwagen.

Hastig drehte sich Heinrich um. Seine Hande umklammerten die Steinbalustrade der Brucke. Sein Magen krampfte sich zusammen, revoltierte, nur die Furcht vor der Demutigung hinderte ihn, sich auf der Stelle zu

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