Und wenn du an mich denkst, sollst du nur denken, da? es schon war mit uns – mehr nicht. Da? es vorbeigegangen ist, das werden wir doch nie begreifen. Traurig sollst du nicht sein.«

»Ich bin traurig, wenn du so etwas sagst.«

Sie sah mich eine Zeitlang an. »Wenn man so liegt, denkt man uber manches nach. Und vieles kommt einem sonderbar vor, was man sonst gar nicht beachtet. Wei?t du, was ich jetzt nicht mehr verstehen kann? Da? man sich so liebt wie wir und da? trotzdem einer stirbt.«

»Sei still«, sagte ich. »Einer mu? immer zuerst sterben, immer im Leben. Aber so weit sind wir noch lange nicht.«

»Man durfte nur sterben, wenn man allein ist. Oder wenn man sich ha?t – aber nicht, wenn man sich liebt.«

Ich zwang mich zu einem Lacheln. »Ja, Pat«, sagte ich und nahm ihre hei?en Hande in meine,»wenn wir die Welt machen wurden, wurde sie besser aussehen, was?«

Sie nickte. »Ja, Liebling. Wir wurden solche Sachen nicht zulassen. Wenn man nur wu?te, was dahinter ist. Glaubst du, da? es weitergeht, nachher?«

»Ja«, erwiderte ich. »Es ist so schlecht gemacht, da? es nicht zu Ende sein kann.«

Sie lachelte. »Das ist auch ein Grund. Aber findest du das auch schlecht gemacht?« Sie zeigte auf einen Busch gelber Rosen neben ihrem Bett.

»Das ist es ja gerade«, erwiderte ich. »Die Einzelheiten sind wunderbar, aber das Ganze hat keinen Sinn. Als wenn es von einem gemacht ist, dem auf die wunderbare Vielfalt des Lebens nichts anderes eingefallen ist, als es wieder zu vernichten.«

»Und es wieder neu zu machen«, sagte Pat.

»Auch da sehe ich den Sinn nicht«, erwiderte ich. »Besser ist es dadurch bis heute nicht geworden.«

»Doch Liebling«, sagte Pat,»mit uns, das hat er schon gut gemacht. Besser ging's gar nicht. Nur zu kurz. Viel zu kurz.«

Ein paar Tage spater spurte ich Stiche in der Brust und hustete. Der Chefarzt horte den Larm, als er uber den Korridor ging, und steckte den Kopf in mein Zimmer. »Kommen Sie doch mal mit ins Sprechzimmer.«

»Es ist weiter nichts«, sagte ich.

»Das ist egal«, erwiderte er. »Mit so einem Husten durfen Sie nicht bei Fraulein Hollmann sitzen. Kommen Sie mal gleich mit.«

Ich zog mir mit einer sonderbaren Befriedigung im Sprechzimmer das Hemd aus. Hier oben erschien einem Gesundheit fast wie ein unberechtigter Vorteil; man kam sich wie ein Schieber und Druckeberger vor.

Der Chefarzt sah mich eigentumlich an. »Sie scheinen sich ja noch zu freuen«, sagte er stirnrunzelnd.

Dann untersuchte er mich sorgfaltig. Ich sah mir die blanken Dinge an den Wanden an und atmete tief und langsam und schnell und kurz ein und aus, wie er es verlangte. Dabei spurte ich wieder die Stiche und war zufrieden, Pat jetzt etwa weniger voraus zu haben.

»Sie sind erkaltet«, sagte der Chefarzt. »Legen Sie sich ein oder zwei Tage ins Bett oder bleiben Sie wenigstens in Ihrem Zimmer. Zu Fraulein Hollmann durfen Sie nicht hinein. Nicht Ihretwegen – Fraulein Hollmanns wegen.«

»Kann ich durch die Tur mit ihr sprechen?« fragte ich. »Oder uber den Balkon?«

»Uber den Balkon ja, aber nur ein paar Minuten, und durch die Tur meinetwegen auch, wenn Sie flei?ig gurgeln. Sie haben au?er der Erkaltung auch noch einen Raucherkatarrh.«

»Und die Lunge?« Ich hatte irgendwie die Erwartung, da? wenigstens eine Kleinigkeit daran nicht in Ordnung ware. Ich hatte mich Pat gegenuber besser gefuhlt.

»Aus Ihrer Lunge konnte man drei machen«, erklarte der Chefarzt. »Sie sind der gesundeste Mensch, den ich seit langem gesehen habe. Sie haben nur eine ziemlich harte Leber. Wahrscheinlich trinken Sie zuviel.«

Er verschrieb mir etwas, und ich ging zuruck.

»Robby«, fragte Pat aus ihrem Zimmer,»was hat er gesagt?«

»Ich darf nicht zu dir, einstweilen«, erwiderte ich unter der Tur. »Strenges Verbot. Ansteckungsgefahr.«

»Siehst du«, sagte sie erschrocken,»ich habe es immer schon nicht mehr gewollt.«

»Ansteckungsgefahr fur dich, Pat. Nicht fur mich.«

»La? den Unsinn«, sagte sie. »Erzahle mir genau, was los ist.«

»Es ist genau so. Schwester«- ich winkte der Stationsschwester, die mir gerade die Medikamente brachte -,»sagen Sie Fraulein Hollmann, wer der Gefahrlichere von uns beiden ist.«

»Herr Lohkamp«, erklarte die Schwester. »Er darf nicht 'raus, damit er Sie nicht ansteckt.«

Pat sah unglaubig von der Schwester zu mir. Ich zeigte ihr die Medikamente durch die Tur. Sie begriff, da? es stimmte, und begann zu lachen, immer mehr, sie lachte, bis ihr die Tranen kamen und sie schmerzhaft zu husten anfing, so da? die Schwester hinlaufen und sie stutzen mu?te. »Mein Gott, Liebling«, flusterte sie,»das ist zu komisch. Und wie stolz du aussiehst!« Sie war den ganzen Abend frohlich. Ich lie? sie naturlich nicht allein, sondern sa? in einem dicken Mantel, einen Schal um den Hals, bis Mitternacht auf dem Balkon, eine Zigarre in der einen und ein Glas in der andern Hand, eine Kognakflasche zu meinen Fu?en, und erzahlte ihr Geschichten aus meinem Leben, immer wieder von ihrem leisen Vogelgelachter unterbrochen und angetrieben, ich log, was ich konnte, um das Lachen, uber ihr Gesicht gleiten zu sehen, ich war glucklich uber meinen bellenden Husten und trank die Flasche leer und war am nachsten Morgen gesund.

Der Fohn kam wieder. Der Wind ruttelte an den Fenstern, die Wolken hingen tief, der Schnee schob sich zusammen und polterte durch die Nachte, und die Kranken lagen gereizt und aufgepeitscht wach und horchten hinaus. An den geschutzten Hangen fingen die Krokusse an zu bluhen, und auf der Stra?e erschienen zwischen den Schlitten die ersten Wagen mit hohen Radern.

Pat wurde immer schwacher. Sie konnte nicht mehr aufstehen. In den Nachten hatte sie oft Erstickungsanfalle. Dann wurde sie grau vor Todesangst. Ich hielt ihre nassen, kraftlosen Hande. »Nur diese Stunde uberstehen!« keuchte sie,»nur diese Stunde, Robby. Da sterben sie…«

Sie hatte Angst vor der letzten Stunde zwischen Nacht und Morgen. Sie glaubte, da? mit dem Ende der Nacht der geheime Strom des Lebens schwacher wurde und fast erlosch – und nur vor dieser Stunde hatte sie Furcht und wollte nicht allein sein. Sonst war sie so tapfer, da? ich oft die Zahne zusammenbei?en mu?te.

Ich lie? mein Bett in ihr Zimmer stellen und setzte mich zu ihr, wenn sie erwachte und wenn in ihre Augen das verzweifelte Flehen kam. Ich dachte oft an die Morphiumampullen in meinem Koffer, und ich hatte es ohne Nachdenken getan, wenn sie nicht so dankbar fur jeden neuen Tag gewesen ware.

Ich sa? bei ihr am Bett und erzahlte ihr, was mir gerade einfiel. Sie durfte nicht viel sprechen, und sie horte gern zu, wenn ich ihr erzahlte, was mir alles schon so passiert war. Am liebsten horte sie Geschichten aus meiner Schulzeit, und manchmal, wenn sie kurz vorher noch einen Anfall gehabt hatte und bla? und zerschlagen in den Kissen sa?, verlangte sie schon wieder, da? ich ihr irgendeine Type von meinen Lehrern vormachte. Fuchtelnd und schnaufend, einen imaginaren roten Vollbart streichend, wanderte ich dann durchs Zimmer und gab mit knarrender Stimme Kathederbluten von mir. Ich erfand taglich neue hinzu, und Pat wu?te allmahlich unter den Raufbolden und Lummeln unserer Klasse, die den Lehrern immer neuen Arger bereitet hatten, sehr gut Bescheid. Einmal kam die Nachtschwester dazu, angelockt durch den polternden Ba? unseres Rektors, und es dauerte eine ganze Weile, ehe ich ihr zum Vergnugen Pats klargemacht hatte, da? ich nicht verruckt geworden sei, weil ich mitten in der Nacht in einer Pelerine und einem Schlapphut im Zimmer herumhopste und einem gewissen Karl Ossege furchtbar die Leviten las, der heimtuckisch das Katheder angesagt hatte.

Langsam sickerte dann das Tageslicht durch das Fenster. Die Bergrucken wurden messerscharfe, schwarze Silhouetten. Der Himmel hinter ihnen fing an, kalt und bla? zuruckzuweichen. Die Nachttischlampe verrostete zu bleichem Gelb, und Pat legte ihr feuchtes Gesicht in meine Hande. »Es ist vorbei, Robby. Jetzt habe ich wieder einen Tag dazu.«

Antonio brachte mir seinen Radioapparat. Ich schlo? ihn an die Lichtleitung und die Heizung an und probierte ihn abends bei Pat aus. Er quarrte und quakte, dann loste sich plotzlich aus dem Schnarren eine zarte, klare Musik.

»Was ist das, Liebling?« fragte Pat.

Antonio hatte mir eine Radiozeitschrift mitgegeben. Ich schlug nach. »Rom, glaube ich.«

Da kam auch schon die tiefe, metallische Stimme der Ansagerin. »Radio Roma – Napoli – Firenze…«

Ich drehte weiter. Ein Klaviersolo. »Da brauche ich gar nicht nachzuschlagen«, sagte ich. »Das ist die Waldsteinsonate von Beethoven. Die habe ich auch mal spielen konnen in den Zeiten, als ich noch glaubte,

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