irgendwann mal Studienrat, Professor oder Komponist zu werden. Jetzt kann ich sie langst nicht mehr. Wollen lieber weiterdrehen. Sind keine schonen Erinnerungen.«

Ein warmer Alt, sehr leise und einschmeichelnd. »Parlez – moi d'amour.«-»Paris, Pat.«

Ein Vortrag uber die Bekampfung der Reblaus. Ich drehte weiter. Reklamenachrichten. Ein Quartett. »Was ist das?« fragte Pat.

»Prag. Streichquartett, Opus 59, zwei, Beethoven«, las ich vor.

Ich wartete, bis der Satz zu Ende war, dann drehte ich weiter, und auf einmal war eine Geige da, eine wunderbare Geige. »Das wird Budapest sein, Pat. Zigeunermusik.«

Ich stellte die Skala genau ein. Voll und weich schwebte jetzt die Melodie uber dem mitflutenden Orchester von Cimbals, Geigen und Hirtenfloten. »Herrlich, Pat, was?«

Sie schwieg. Ich wandte mich um. Sie weinte mit weit geoffneten Augen. Ich stellte mit einem Ruck den Apparat ab. »Was ist denn, Pat?« Ich legte den Arm um ihre schmalen Schultern.

»Nichts, Robby. Es ist dumm von mir. Nur wenn man das so hort, Paris, Rom, Budapest – mein Gott, und ich ware schon froh, wenn ich noch einmal ins Dorf hinunter konnte.«

»Aber Pat.«

Ich sagte ihr alles, was ich ihr sagen konnte, um sie daruber wegzubringen. Aber sie schuttelte den Kopf. »Ich bin nicht traurig, Liebling. Du mu?t das nicht glauben. Ich bin nicht traurig, wenn ich weine. Es kommt wohl mal so, aber nicht lange. Dafur denke ich viel zuviel nach.«

»Woruber denkst du denn nach?« fragte ich und ku?te ihr Haar.

»Uber das einzige, woruber ich noch nachdenken kann – uber Leben und Sterben. Wenn ich dann traurig bin und nichts mehr verstehe, sage ich mir, da? es besser ist, zu sterben, wenn man noch leben mochte, als zu sterben und man mochte auch sterben. Was meinst du?«

»Ich wei? nicht.«

»Doch.« Sie lehnte den Kopf an meine Schulter. »Wenn man noch leben mochte, dann ist etwas da, was man liebt. Es ist schwerer, aber auch leichter. Sieh, sterben hatte ich doch mussen, und nun bin ich dankbar, da? ich dich hatte. Ich hatte ja auch allein und unglucklich sein konnen. Dann ware ich gern gestorben. Jetzt ist es schwer; aber dafur bin ich auch ganz voll Liebe, wie eine Biene voll Honig, wenn sie abends in den Stock zuruckkommt. Wenn ich wahlen sollte – ich wurde zwischen beiden immer wieder dasselbe wahlen.« Sie sah mich an. »Pat«, sagte ich,»es gibt noch ein Drittes – wenn der Fohn aufhort, dann wird es dir besser gehen, und wir werden hier fortfahren.« Sie blickte mich weiter prufend an. »Um dich habe ich Angst, Robby. Fur dich ist es viel schwerer als fur mich.«»Wir wollen nicht mehr daruber sprechen«, sagte ich. »Ich habe es nur gesagt, damit du nicht denkst, ich sei traurig«, erwiderte sie. »Ich glaube auch nicht, da? du traurig bist.« Sie legte ihre Hand auf meinen Arm. »Willst du nicht dir Zigeuner wieder spielen lassen?«

»Willst du sie horen?«

»Ja, Liebling.«

Ich stellte den Apparat wieder an, und leise, dann immer voller klang die Geige mit den Floten und den gedampften Arpeggien der Cimbals durch das Zimmer.

»Schon«, sagte Pat. »Wie ein Wind. Ein Wind, der einen wegtragt.«

Es war ein Abendkonzert aus einem Gartenrestaurant in Budapest. Das Gesprach der Gaste war manchmal durch das Raunen der Musik zu vernehmen, und ab und zu horte man einen hellen, frohlichen Ruf. Man konnte denken, da? jetzt auf der Margaretheninsel die Kastanien schon das erste Laub hatten und da? es bla? im Monde schimmerte und sich bewegte, als wurde es durch den Geigenwind angeweht. Vielleicht war es auch schon ein warmer Abend, und die Leute sa?en im Freien und hatten Glaser mit dem gelben ungarischen Wein vor sich stehen, die Kellner liefen in ihren wei?en Jacken hin und her, die Zigeuner spielten, nachher ging man durch die grune Fruhjahrsdammerung mude nach Hause, und da lag Pat und lachelte und wurde nie wieder aus diesem Zimmer herauskommen, nie wieder aus diesem Bette aufstehen.

Dann, plotzlich, ging alles sehr schnell. Das Fleisch ihres Gesichtes schmolz. Die Backenknochen traten hervor, und an den Schlafen kam die Stirn durch. Die Arme waren dunn wie Kinderarme, die Rippen spannten sich unter der Haut, und das Fieber raste in immer neuen Sto?en durch den schmalen Korper. Die Schwester brachte Sauerstoffballons, und der Arzt kam jede Stunde.

Eines Nachmittags sank das Fieber unerklarlicherweise rasch. Pat wachte auf und sah mich lange an. »Gib mir einen Spiegel«, flusterte sie dann.

»Wozu willst du einen Spiegel?« sagte ich. »Ruh dich aus, Pat. Ich glaube, du bist jetzt durch. Du hast kein Fieber mehr.«

»Nein«, flusterte sie mit ihrer zerborstenen, verbrannten Stimme,»gib mir den Spiegel.«

Ich ging um das Bett herum, nahm den Spiegel und lie? ihn fallen. Er zersprang. »Entschuldige«, sagte ich. »So was ungeschicktes. Fallt mir einfach aus der Hand und ist auch gleich in tausend Scherben.«

»In meiner Tasche ist noch einer, Robby.«

Es war ein kleiner Spiegel aus verchromtem Nickel. Ich wischte mit der Hand daruber, damit er etwas erblindete, und gab ihn Pat. Sie rieb ihn muhsam sauber und sah angestrengt hinein. »Du mu?t abreisen, Liebling«, flusterte sie dann.

»Warum denn? Magst du mich nicht mehr?«

»Du sollst mich nicht mehr sehen. Das bin ich nicht mehr.«

Ich nahm ihr den Spiegel ab. »Diese Metalldinger taugen nichts, Pat. Sieh nur, wie ich darin ausschaue. Bla? und mager. Dabei bin ich doch braun und kraftig. Ganz wellig ist das Ding.«

»Du sollst eine andere Erinnerung an mich behalten«, flusterte sie. »Fahr weg, Liebling. Ich werde schon allein damit fertig.«

Ich beruhigte sie. Sie verlangte den Spiegel wieder und ihre Tasche. Dann begann sie sich zu pudern, das arme, abgezehrte Gesicht, die zerrissenen Lippen, die schweren, braunen Hohlen unter den Augen. »Nur etwas, Liebling«, sagte sie und versuchte zu lacheln,»du sollst mich nicht ha?lich sehen.«

»Du kannst machen, was du willst«, sagte ich,»du wirst nie ha?lich sein. Fur mich bist du die schonste Frau, die ich je gesehen habe.«

Ich nahm den Spiegel und die Puderdose fort und legte meine Hande vorsichtig um ihren Kopf. Nach einiger Zeit wurde sie unruhig.

»Was ist, Pat?« fragte ich.

»Es tickt so laut«, flusterte sie.

»Was? Die Uhr?«

Sie nickte. »Es drohnt so…«

Ich machte die Uhr von meinem Handgelenk los.

Sie blickte angstvoll auf den Sekundenzeiger. »Tu sie weg…«

Ich nahm die Uhr und warf sie gegen die Wand. »So, jetzt tickt sie nicht mehr. Jetzt steht die Zeit still. Wir haben sie mitten durchgerissen. Nur wir beide sind noch da, nur wir beide, du und ich, und niemand sonst.«

Sie sah mich an. Ihre Augen waren sehr gro?. »Liebling…« flusterte sie.

Ich konnte ihren Blick nicht ertragen. Er kam weit her und ging durch mich hindurch, irgendwohin. »Alter Bursche«, murmelte ich,»mein geliebter, tapferer, alter Bursche.«

Sie starb in der letzten Stunde der Nacht, bevor es Morgen wurde. Sie starb schwer und qualvoll, und niemand konnte ihr helfen. Sie hielt meine Hand fest, aber sie wu?te nicht mehr, da? ich bei ihr war. Irgendwann sagte jemand:»Sie ist tot…«

»Nein«, erwiderte ich,»sie ist noch nicht tot. Sie halt meine Hand noch fest…«

Licht. Unertragliches, grelles Licht. Menschen. Der Arzt. Ich offnete langsam meine Hand. Pats Hand fiel herunter. Blut. Ein verzerrtes, ersticktes Gesicht. Qualvolle, starre Augen. Braunes, seidiges Haar.

»Pat«, sagte ich. »Pat!«

Und zum ersten Male antwortete sie mir nicht.

»Mochte allein sein«, sagte ich.

»Soll nicht erst…« fragte jemand. »Nein«, sagte ich. »'rausgehen. Nicht anfassen.« Ich habe ihr dann das Blut abgewaschen. Ich war aus Holz. Ich habe ihr das Haar gekammt. Sie wurde kalt. Ich habe sie in mein Bett gelegt und die Decken uber sie gedeckt. Ich habe bei ihr gesessen, und ich konnte nichts denken. Ich habe auf dem Stuhl

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