sauste mir um das Gesicht, der Schnee war schwer und zahe, aber ich stemmte mich immer aufs neue ab, ich suchte immer steilere Abfahrten, immer schwierigeres Gelande, und als es wieder und wieder gelang, dachte ich: Gerettet!, und wu?te, da? es toricht war, und wurde doch froh wie lange nicht.

Am Samstagabend war gro?er, heimlicher Aufbruch. Antonio hatte etwas abseits und unterhalb vom Sanatorium Schlitten bestellt. Er selbst rodelte mit Lackschuhen und offenem Mantel, unter dem die wei?e Frackbrust herausblitzte, frohlich jodelnd die Anhohe hinunter.

»Er ist verruckt«, sagte ich.

»Das macht er oft«, erwiderte Pat. »Er ist grenzenlos leichtsinnig. Damit halt er hier durch. Sonst ware er nicht immer guter Laune.«

»Dafur werden wir dich um so mehr einpacken.«

Ich wickelte sie in alle Decken und Schals, die wir hatten. Dann stampften die Schlitten bergab. Es war eine lange Kolonne. Alle, die konnten, waren ausgerissen. Man hatte meinen konnen, eine Hochzeitsgesellschaft fuhre zu Tal; so festlich nickten die bunten Federbuschel auf den Kopfen der Pferde im Mondlicht; und so viel wurde gelacht und von Schlitten zu Schlitten gerufen.

Der Kursaal war verschwenderisch dekoriert. Es wurde schon getanzt, als wir ankamen. Fur die Gaste des Sanatoriums war eine Ecke reserviert, die vor Zugwind von den Fenstern her geschutzt war. Es war warm, und es roch nach Blumen, Parfum und Wein.

Eine Menge Leute sa? an unserm Tisch – der Russe, Rita, der Geiger, eine alte Frau, ein geschminkter Totenkopf, ein Gigolo, der dazugehorte, Antonio und noch einige mehr.

»Komm, Robby«, sagte Pat,»wir versuchen einmal zu tanzen.«

Das Parkett drehte sich langsam um uns. Die Geige und das Cello erhoben sich zu einer sanften Kantilene uber das raunende Orchester. Leiser schleiften die Fu?e der Tanzenden uber den Boden.

»Aber mein geliebter Liebling, du kannst ja plotzlich wunderbar tanzen«, sagte Pat uberrascht. »Na, wunderbar…«

»Doch. Wo hast du das gelernt?«

»Das hat Gottfried mir noch beigebracht«, sagte ich. »In eurer Werkstatt?«

»Ja – und im Cafe International. Wir brauchten doch auch Damen dazu. Rosa, Marion und Wally haben mir den letzten Schliff gegeben. Ich furchte nur, es ist nicht gerade sehr elegant dadurch geworden.«

»Doch!« Ihre Augen strahlten. »Zum erstenmal tanzen wir so miteinander, Robby!«

Neben uns tanzte der Russe mit der Spanierin. Er lachelte und nickte uns zu. Die Spanierin war sehr bleich. Das schwarze, glanzende Haar umfa?te ihre Stirn wie ein Rabenflugel. Sie tanzte mit unbewegtem, ernstem Gesicht. Auf ihrem Handgelenk lag ein Armband von viereckigen, gro?en Smaragden. Sie war achtzehn Jahre alt. Vom Tisch her verfolgte der Geiger sie mit gierigen Augen.

Wir gingen wieder zuruck. »Jetzt mochte ich eine Zigarette«, sagte Pat.

»Das solltest du lieber nicht«, erwiderte ich vorsichtig. »Nur ein paar Zuge, Robby. Ich habe so lange nicht geraucht.« Sie nahm die Zigarette, legte sie aber bald wieder weg. »Sie schmeckt mir nicht, Robby. Sie schmeckt mir einfach nicht mehr.«

Ich lachte. »Das ist immer so, wenn man etwas lange entbehrt hat.«

»Hast du mich auch lange entbehrt?« fragte sie.

»Es ist nur bei Giften so«, erwiderte ich. »Nur bei Schnaps und Tabak.«

»Menschen sind ein viel schlimmeres Gift als Schnaps und Tabak, Liebling.«

Ich lachte. »Du bist ein kluges Kind, Pat.«

Sie stutzte die Arme auf den Tisch und sah mich an.

»Richtig ernst genommen hast du mich doch eigentlich nie, was?«

»Ich habe mich selbst nie richtig ernst genommen«, erwiderte ich.

»Mich auch nicht. Sag mal die Wahrheit.«

»Das wei? ich nicht. Aber uns beide zusammen habe ich immer furchtbar ernst genommen, das wei? ich.«

Sie lachelte. Antonio forderte sie zum Tanzen auf. Beide gingen zum Parkett. Ich sah sie an, wahrend sie tanzte. Sie lachelte mir im Vorbeikommen jedesmal zu. Ihre silbernen Schuhe beruhrten kaum den Boden. Sie hatte die Bewegungen einer Antilope. Der Russe tanzte wieder mit der Spanierin. Beide schwiegen. Sein gro?es, dunkles Gesicht war voll verschatteter Zartlichkeit. Der Geiger hatte einen Versuch gemacht, mit der Spanierin zu tanzen. Sie hatte nur den Kopf geschuttelt und war mit dem Russen zum Parkett gegangen.

Der Geiger zerkrumelte eine Zigarette in den langen, knochigen Fingern. Er tat mir plotzlich leid. Ich bot ihm eine Zigarette an. Er lehnte ab. »Ich mu? mich schonen«, sagte er mit seiner abgehackten Stimme.

Ich nickte. »Der da«, fuhr er kichernd fort und zeigte auf den Russen,»der raucht jeden Tag funfzig Stuck.«

»Der eine macht es so, der andere so«, erwiderte ich. »Wenn sie jetzt auch nicht mit mir tanzen will, ich kriege sie doch noch.«

»Wen?«-»Rita.«

Er ruckte naher. »Ich stand gut mit ihr. Wir spielten zusammen. Dann kam der Russe und schnappte sie mir weg mit seinen Tiraden. Aber ich kriege sie wieder.«

»Dann mussen Sie sich aber anstrengen«, sagte ich. Der Mann gefiel mir nicht.

Er brach in ein meckerndes Gelachter aus. »Anstrengen? Sie ahnungsloser Engel! Nur zu warten brauche ich.«

»Dann warten Sie nur.«

»Funfzig Zigaretten«, flusterte er,»taglich. Ich habe sein Rontgenbild gestern gesehen. Kaverne neben Kaverne. Fertig.« Er lachte wieder. »Zuerst waren wir gleich. Die Rontgenbilder zum Verwechseln. Jetzt mu?ten Sie den Unterschied sehen! Ich habe zwei Pfund zugenommen. Nein, mein Lieber, ich brauche nur zu warten und mich zu schonen. Ich freue mich schon auf die nachste Aufnahme. Die Schwester zeigt sie mir jedesmal. Wenn er weg ist, komme ich dran.«

»Auch 'ne Methode«, sagte ich.

»Auch 'ne Methode«, affte er nach,»die einzige Methode, Sie Grunhorn! Wenn ich versuchen wollte, ihm in die Quere zu kommen, wurde ich mir bei ihr die Chancen fur spater verderben. Nein, Sie Neuling – freundlich, ruhig – warten…« Die Luft wurde dick und schwer. Pat hustete. Ich merkte, da? sie mich angstlich dabei ansah, und ich tat, als hatte ich nichts gehort. Die alte Frau mit den vielen Perlen sa? still und in sich versunken da. Ab und zu lachte sie gellend auf.

Dann war sie sofort wieder ruhig und unbewegt. Der Totenkopf zankte mit dem Gigolo.

Der Russe rauchte eine Zigarette nach der andern. Der Geiger gab ihm Feuer. Ein Madchen schluckte plotzlich krampfhaft, hielt das Taschentuch vor den Mund, sah hinein und wurde bla?.

Ich blickte den Saal entlang. Da waren die Tische der Sportsleute, da die Tische mit gesunden Burgern, da sa?en Franzosen, da Englander, Hollander mit den behabigen Silben ihrer Sprache, die nach Wiesen und Meer klang – und zwischen ihnen hockte die kleine Kolonie der Krankheit und des Todes, fiebrig, schon und verloren. Wiesen und Meer – ich sah Pat an – Wiesen und Meer – Schaum und Sand und Schwimmen -, ach, dachte ich, du geliebte schmale Stirn! Ihr geliebten Hande! Du geliebtes Leben, das man nur lieben, aber nicht retten kann.

Ich stand auf und ging nach drau?en. Mir war hei? vor Bedrangnis und Ohnmacht. Ich ging langsam den Weg entlang. Die Kalte durchrieselte mich, und der Wind hinter den Hausern lie? meine Haut frosteln. Ich ballte die Fauste und starrte lange gegen die harten wei?en Berge, in einem wilden Gemisch von Haltlosigkeit, Wut und Schmerz.

Ein Schlitten klingelte unten auf der Stra?e vorbei. Ich ging zuruck. Pat kam mir entgegen. »Wo warst du?«

»Mal drau?en.«

»Bist du schlecht gelaunt?«

»Gar nicht.«

»Liebling, sei froh! Sei froh heute! Meinetwegen! Wer wei?, wann ich wieder auf einen Ball gehen kann.«

»Noch sehr oft.«

Sie legte ihren Kopf an meine Schulter. »Wenn du es sagst, ist es sicher wahr. Komm, wir wollen tanzen. Zum erstenmal tanzen wir miteinander.«

Wir tanzten, und das warme, weiche Licht war barmherzig; es verdeckte alle Schatten, die die vorgeschrittene

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